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Ageismus – Altersbilder und Altersdiskriminierung in Deutschland

- Steckbrief zum Forschungsprojekt -

Autor*innen: Prof. Dr. Eva-Marie Kessler und Prof. Dr. Lisa Marie Warner (Medical School Berlin), im Auftrag der Antidiskriminierungsstelle des Bundes Erscheinungsjahr: 2022

Kurzüberblick

Bilder über das Altsein und Altwerden können sich auf individuelle Lebensverläufe, die Teilhabe der älteren Bevölkerung am gesellschaftlichen Leben und den gesellschaftlich-kulturellen Fortschritt auswirken. Unter bestimmten Bedingungen können Altersbilder auch altersdiskriminierendes Verhalten begünstigen, und sie können als Rechtfertigung für Altersdiskriminierung herangezogen werden. Ziel der Studie ist es, eine fundierte Datengrundlage zu Vorstellungen, Einstellungen und Bewertungen der Bevölkerung in Deutschland in Bezug auf alte Menschen und die Lebensphase Alter zu schaffen. Dazu wurden 2.000 Personen ab 16 Jahren bundesweit telefonisch befragt. Die Umfrage wurde im Zeitraum vom 10. bis 25. Januar 2022 vom Meinungsforschungsinstitut Kantar Public durchgeführt.

Wichtigste Ergebnisse

Menschen werden früh als „alt“ angesehen

  • Die Befragten wurden zunächst um ihre Einschätzung gebeten, ab welchem Alter Menschen in unserer Gesellschaft als alt wahrgenommen werden. Am häufigsten (27 Prozent der Befragten) wurde die Grenze, ab der man in Deutschland als alt bezeichnet wird, mit 60 Jahren angegeben. Einige sahen sie aber auch erst mit 65 oder 70 Jahren erreicht, wieder andere hingegen bereits ab 50 Jahren. Die große Spannbreite zeigt, dass in der Bevölkerung offensichtlich wenig geteiltes Verständnis darüber herrscht, ab wann Menschen in unserer Gesellschaft als alt eingestuft werden.
  • Im Durchschnitt lag die gesellschaftliche Altersgrenze bei 61 Jahren. Damit fällt sie in Deutschland im Vergleich zu anderen europäischen Ländern recht niedrig aus.

Wenig Wissen über Ältere Menschen vorhanden

  • Die Mehrheit der Befragten (74 Prozent) überschätzte den Anteil an Menschen über 70 Jahre in der Bevölkerung teils deutlich. Lediglich ein Fünftel der Befragten (21 Prozent) schätzte annähernd richtig (2021 lag der Anteil der über 70-Jährigen in Deutschland bei rund 18 Prozent; dementsprechend wurden Schätzwerte zwischen 15 und 21 Prozent als korrekt bewertet).
  • Eine noch deutlichere Überschätzung (81 Prozent der Befragten) betrifft den Prozentsatz der in Pflegeheimen lebenden Menschen im Alter von über 70 Jahren. Die tatsächliche Zahl liegt hier bei etwa 6 Prozent. Annähernd korrekt (mit Werten zwischen 3 und 9 Prozent) schätzten 17 Prozent der Befragten.

Der Blick auf ältere Menschen und die Lebensphase Alter ist ambivalent

  • Im Hinblick auf persönliche Altersfremdbilder zeigt sich ein gemischtes Bild. Einerseits stimmt jeweils eine Mehrheit der Befragten (eher) zu, dass die meisten alten Menschen durch gesundheitliche Probleme im Alltag stark eingeschränkt seien (69 Prozent), einsam seien (66 Prozent) und sich nicht mehr auf Veränderungen einstellen könnten und daher Jüngeren unterlegen seien.
  • Andererseits ist die überwiegende Mehrheit der Befragten (94 Prozent) der Überzeugung, dass es möglich sei, im Alter geistig und körperlich fit zu bleiben. Auch wird alten Menschen mehrheitlich (73 Prozent) ein gelassener und besonnener Umgang mit wichtigen Fragen des Lebens zugesprochen.
  • Die Annahmen über die Lebensphase Alter verhalten sich spiegelbildlich zu jenen der Altersfremdbilder: So geht jede zweite befragte Person davon aus, dass es sich dabei um die schwerste Phase im Lebenslauf handelt (52 Prozent) und dass diese durch weniger Lebensqualität gekennzeichnet ist (48 Prozent). Gleichzeitig sind 73 Prozent der Auffassung, dass die Lebensphase Alter gestaltbar ist, und ebenso viele (74 Prozent) betrachten das höhere Lebensalter als Phase der Weisheit und Gelassenheit.

Ältere Generation wird von vielen als Blockierer wahrgenommen

  • Die Aussage „Alte Menschen tragen zum Fortschritt unserer Gesellschaft entscheidend bei“ wurde von etwas mehr Befragten abgelehnt (53 Prozent) als befürwortet (47 Prozent). Bei immerhin 40 Prozent findet zudem die Aussage Zustimmung, dass junge Menschen von alten Menschen bei der Bewältigung des Klimawandels im Stich gelassen werden. Ein beachtlicher Teil der Befragten sieht die ältere Generation also eher nicht als starke innovative Kraft.
  • Dies geht mit der Wahrnehmung einher, dass ältere Menschen in Deutschland vergleichsweise viel Macht hätten. So gibt jede zweite befragte Person (51 Prozent) an, dass alte Menschen mehr politischen Einfluss als junge hätten. Nur etwa jede zehnte befragte Person (12 Prozent) ist dagegen der Meinung, dass junge Menschen mehr politischen Einfluss hätten.

Ein Drittel der Befragten erwartet von Älteren, wichtige Positionen aufzugeben

  • In der Umfrage wurde nicht nur danach gefragt, wie ältere Menschen nach Ansicht der Befragten sind (deskriptive Altersstereotype), sondern auch, wie ältere Menschen sein sollen (präskriptive Altersnormen). Bei den Befragten zeigt sich eine sehr starke Ausprägung der präskriptiven Norm, wonach alte Menschen körperlich (Zustimmung: 95 Prozent) und insbesondere geistig aktiv (98 Prozent) bleiben sollten.
  • Eine besondere Bedeutung kommt der Norm des sozialen Rückzugs zu, da es sich um einen möglichen Indikator für alters(selbst)diskriminierende Einstellungen handelt. Bei der Aussage, alte Menschen sollten sich mit ihrem Alter abfinden und nicht versuchen jung zu wirken, gab es 41 Prozent zustimmende Antworten. Und immerhin ein Drittel der Befragten (32 Prozent) stimmte der Aussage zu, dass alte Menschen normalerweise Platz machen sollten für die jüngere Generation, indem sie wichtige berufliche und gesellschaftliche Rollen aufgeben.

Altersbilder unterscheiden sich stark in Abhängigkeit vom Alter der Befragten

Junge Befragte (16 bis ca. 30 Jahre):

  • haben einen etwas weniger differenzierten Blick auf alte Menschen und das Alter,
  • sehen seltener Potenziale (persönliche Reife), aber auch seltener Probleme im Alter,
  • nehmen das Problem der Altersdiskriminierung weniger wahr,
  • sind mehrheitlich der Auffassung, dass alte Menschen wenig zum gesellschaftlichen Fortschritt beitragen beziehungsweise ihn sogar blockieren,
  • bei gleichzeitig viel politischer Macht.

Alte und sehr alte Befragte (ab 65 Jahren):

  • nehmen die gesellschaftliche Altersgrenze als deutlich höher wahr,
  • haben ein komplexeres und auch ambivalenteres Bild von alten Menschen und dem Alter(n),
  • sehen häufiger negative Aspekte des Alter(n)s (gerade wenn sie über 85 Jahre alt sind),
  • sehen alte Menschen seltener als Blockierer des gesellschaftlichen Fortschritts und seltener als ökonomische Belastung,
  • haben einen hohen Anspruch an die eigene Altersgruppe, sich selbst zu bescheiden und nicht zur Last zu fallen.

Handlungsoptionen

Aus den Ergebnissen leiten die Autorinnen die Empfehlung ab, dass öffentliche, zivilgesellschaftliche und privatwirtschaftliche Institutionen Angebote machen sollen, die differenziertere und komplexere Altersbilder fördern. Dazu gehören:

  • Förderung eines möglichst eindeutigen und wenig konnotativen Sprachgebrauchs im Zusammenhang mit Alter (z.B. je nach Themenfeld möglichst konkrete Altersangaben machen statt von „alten Menschen“ oder „den Älteren“ zu sprechen);
  • Förderung von Bildungsangeboten im Bereich des individuellen und gesellschaftlichen Alterns zu Themen wie Krankheitsvorsorge im Alter, selbstbestimmtem Leben bei Krankheit und Pflegebedarf oder demografischen Veränderungen;
  • Umsetzung von Kampagnen zur Sensibilisierung von Menschen für eigene altersdiskriminierende Verhaltenstendenzen einerseits sowie zur Förderung des Bewusstseins für Ageismus andererseits;
  • Schaffung von dialogischen Erfahrungsräumen, in denen Menschen in der zweiten Lebenshälfte ihr eigenes Alterserleben reflektieren und planen können (z.B. Lebens- und Zukunftsplanung in den Bereichen des Wohnens, der Gesundheit, des sozialen Engagements und des Nachlasses);
  • Schaffung von Räumen des Austauschs, um generationenübergreifend wahrgenommene Ungleichheiten zwischen Altersgruppen beziehungsweise Generationen auf politischer und gesellschaftlicher Ebene zu thematisieren.

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Altersbilder und Altersdiskriminierung in Deutschland