Navigation und Service

Paragraph 175

Im Jahr 2002 hob der Bundestag die während der Zeit des Nationalsozialismus ergangenen Urteile auf. Erst am 22. Juli 2017 wurden auch alle Urteile nach 1945 aufgehoben. Vorausgegangen war ein Gutachten im Auftrag der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, das feststellte, dass eine Aufhebung der Urteile verfassungsrechtlich geboten sei

Betroffene können nun in einem niedrigschwelligem Verfahren Entschädigungsansprüche beim Bundesamt für Justiz geltend machen. Bis 1994 waren sexuelle Handlungen zwischen Männern – unter wechselnden Tatbestandsvoraussetzungen – nach Paragraf 175 des Strafgesetzbuchs (StGB) in Deutschland strafbar. Erst am 22. Juli 2017 trat das Gesetz zur strafrechtlichen Rehabilitation der nach dem 8. Mai 1945 wegen einvernehmlicher Handlungen verurteilten Personen (StrRehaHomG) in Kraft.

Das Rechtsgutachten

Der Paragrafen 175 wurde im Deutschen Kaiserreich 1871 eingeführt und stellte „widernatürliche Unzucht“ zwischen Männern unter Strafe. Auch in der Weimarer Republik bestand die Strafvorschrift fort. Die Verschärfung des Gesetzes erfolgte unter dem Nazi-Regime 1935: Allein ein Verdacht war ausreichend, um zu bis zu 10 Jahren Gefängnis verurteilt zu werden.

Trotz seiner Vorgeschichte in der Zeit des Nationalsozialismus sah das Bundesverfassungsgericht 1957 die Strafbestimmung als nicht nationalsozialistisch geprägt und erlaubte ihre weitere Anwendung in der Bundesrepublik. In der DDR hingegen fand die Vorschrift zwischen 1957 und 1968 nur in abgemilderter Form Anwendung und wurde anschließend aus dem Strafgesetzbuch gestrichen. In der BRD wurde das Gesetz 1969 geändert: Homosexuelle Handlungen zwischen erwachsenen Männern über 21 Jahren wurden straflos gestellt. Erst 1994 beschloss der Bundestag die endgültige Streichung des Paragrafen.

Seit März 2019 gilt eine zusätzliche Richtlinie, die es auch Verfolgten ohne Urteil möglich macht, eine einmalige Entschädigung für die negativen Beeinträchtigungen – beispielsweise einen Jobverlust – zu beantragen. Informationen dazu, wie Entschädigungsansprüche geltend gemacht werden können, sowie die
Beratungshotline der Bundesinteressenvertretung schwuler Senioren (BISS) e.V. finden sie hier.

Häufig gestellte Fragen zu Paragraph 175

FAQs zu Paragraph 175

  • Der Paragraf 175 des Strafgesetzbuches (StGB) stellte sexuelle Handlungen zwischen Männern unter Strafe. Damit unterlagen homosexuelle Beziehungen nicht nur einem gänzlich anderen gesellschaftlichen Maßstab, sondern auch strafrechtlichen Sondervorschriften, die oft mit rigoroser Bestrafung der Betroffenen einhergingen.

  • Die Geschichte des Paragrafen 175 umfasst mehr als 120 Jahre. Er wurde im Deutschen Kaiserreich 1871 eingeführt und stellte „widernatürliche Unzucht“ zwischen Männern unter Strafe. Das Strafmaß betrug bis zu 6 Monate Haft. Auch in der Weimarer Republik bestand die Strafvorschrift fort. Die Verschärfung des Gesetzes erfolgte unter dem Nazi-Regime 1935: Allein ein Verdacht war ausreichend, um bis zu 10 Jahren Gefängnis verurteilt zu werden.

    Auch nach 1945 fand das Gesetz unverändert den Weg in die noch junge Bundesrepublik. Trotz seiner Vorgeschichte in der Zeit des Nationalsozialismus sah das Bundesverfassungsgericht 1957 die Strafbestimmung als nicht nationalsozialistisch geprägt und erlaubte ihre weitere Anwendung in der Bundesrepublik. In der DDR hingegen fand die Vorschrift zwischen 1957 und 1968 nur in abgemilderter Form Anwendung und wurde anschließend aus dem Strafgesetzbuch gestrichen. In der BRD kam es in den 60er Jahren zu Veränderungen. 1969 wurde das Gesetz geändert: Homosexuelle Handlungen zwischen erwachsenen Männern über 21 Jahren wurden straflos gestellt. Trotz der Milderung des Paragrafen war die rechtliche Situation vor allem für junge Homosexuelle prekär: Waren die Personen zwischen 18 und 21 Jahre alt, konnten nach Ermessen des Gerichts beide bestraft werden. Falls einer der Partner älter und der andere jünger als 21 Jahre war, wurde nur der ältere zur Verantwortung gezogen. 1973 wurde das Alter dann auf 18 Jahre herabgesenkt. Erst mit der Abschaffung des Paragrafen 175 im Jahr 1994 wurde das Schutzalter für homosexuelle Männer dem für andere Menschen angeglichen.

  • Nach der deutschen Wiedervereinigung existierten zwei unterschiedliche Rechtslagen im vereinten Deutschland: Im Osten des Landes war der Paragraf nicht mehr existent und im Westen mussten Homosexuelle, wenn auch in geringerem Ausmaß als früher, weiterhin strafrechtliche Konsequenzen befürchten. 1994 beschloss der Bundestag dann die endgültige Streichung des Paragrafen.

  • Genaue Zahlen über die Anzahl der Verurteilten liegen leider nicht vor. Bis zum Zusammenbruch des Kaiserreichs wurden etwa 10.000 Männer nach diesem Gesetz verurteilt. Im Dritten Reich wurden aufgrund des Paragrafen 175 bis zu 50.000 Männer inhaftiert und etwa 15.000 kamen in Konzentrationslager. Zudem wurden in der Bundesrepublik zirka 50.000 Männer zwischen 1950 und 1969 verurteilt und bis zur Streichung des Gesetzes 1994 noch weitere rund 3.500.

  • Seit der Abschaffung des Paragrafen können homosexuelle Männer ihre Sexualität in der Bundesrepublik straffrei leben. Auf eine Wiedergutmachung des zugefügten Schadens und eine Rehabilitierung seitens des Staates mussten die betroffenen Zeitzeugen jedoch lange warten. Denn lediglich die in der NS-Zeit verurteilten Homosexuellen wurden 8 Jahre nach der Abschaffung des Paragrafen im Jahr 2002 rehabilitiert.

    Erst 15 Jahre später, Ende Juli 2017, trat ein Gesetz in Kraft, das alle Urteile nach 1945 – sowohl die in der Bundesrepublik als auch in der DDR gefällten – aufhob. Damit wurden endlich alle Betroffenen vom Makel einer Verurteilung wegen einer Strafvorschrift befreit, die nach heutiger Auffassung die Menschenwürde verletzt. Sie können nun in einem niedrigschwelligem Verfahren Entschädigungsansprüche beim Bundesamt für Justiz geltend machen.

  • Einen Antrag auf Entschädigung können Betroffene formlos beim Bundesamt für Justiz stellen. Dem Antrag beizufügen ist eine Ausfertigung des damaligen Urteils oder, wenn diese nicht mehr vorhanden ist, eine Rehabilitierungsbescheinigung. Diese ist bei der zuständigen Staatsanwaltschaft zu beantragen und bestätigt die Aufhebung des Urteils. 

    Neben einer Entschädigung aufgrund einer Verurteilung kann auch eine Entschädigung für eine erlittene Freiheitsstrafe beantragt werden. Hierfür benötigt das Bundesamt für Justiz zusätzlich Nachweise über die Freiheitsentziehung oder eine eidesstattliche Versicherung.

    Unter www.bundesjustizamt.de/rehabilitierung gibt das Bundesamt für Justiz weiterführende Auskunft zum Verfahren.

    Die Bundesinteressenvertretung schwuler Senioren (BISS) e.V. hat eine Beratungshotline für Betroffene eingerichtet: Sie ist unter 0800 – 175 2017 von Montag bis Freitag zwischen 9.00 und 11.00 Uhr sowie mittwochs und donnerstags zwischen 16.00 und 18.00 Uhr erreichbar.
    http://schwuleundalter.de/2017/07/19/%C2%A7175-hotline-fuer-betroffene/

  • Die Bundeszentrale für politische Bildung bietet eine kurze Übersicht über den Paragraf 175 und die rechtliche Situation der Homosexuellen weltweit.

    Die Hirschfeld-Eddy-Stiftung erläutert in der Festschrift „Vom Verbot zur Gleichberechtigung: Die Rechtsentwicklung zu Homosexualität und Transsexualität in Deutschland“ unter anderem die rechtliche Lage der Homosexuellen in Deutschland.

    Studierende der Universität Leipzig haben 2013 ein Schulbuchkapitel über den Paragrafen und die Lage der Homosexuellen in Deutschland konzipiert. Es wird ein informativer Überblick über das Thema geboten: Schulbuchkapitel § 175. Weitere Informationen finden Sie hier.

    Der Dokumentarfilm „Paragraph 175“ von Oscar-gekrönten Filmemachern Rob Epstein und Jeffrey Friedman wirft einen Blick auf die Geschichte der Homosexuellen im Dritten Reich.

Weitere Themen