Förderung von Forschungsprojekten im Zeitraum 2023/2024
Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes fördert im Zeitraum von Mai 2023 bis Juni 2024 Forschungsprojekte in den folgenden Bereichen:
- Vorhaben, die innovative Methoden zur Erforschung von Diskriminierung weiterentwickeln und somit einen Beitrag leisten, die Datenlage zur Prävalenz von Diskriminierung aufgrund der im AGG geschützten Merkmale zu verbessern
- Projekte die helfen, Forschungslücken im Hinblick auf die Diskriminierung von Sinti*ze und Rom*nja zu schließen sowie den Wissenstand und die Datenlage zum Thema zu verbessern (Beitrag der Antidiskriminierungsstelle des Bundes zur Umsetzung der Nationalen Strategie „Antiziganismus bekämpfen, Teilhabe sichern!“)
- Vorhaben, die Antislawischen Rassismus in Deutschland bzw. die Diskriminierung von Menschen (zugeschriebener) osteuropäischer Herkunft untersuchen.
- Vorhaben, die Antisemitismus in Deutschland untersuchen.
Insgesamt wurden für die Projekte Zuwendungen in Höhe von rund 1.252.000 Euro bewilligt.
Informationen zu den geförderten Projekten
Förderbereich 1
Innovative Methoden zur Erforschung von Diskriminierung
-
Vignettenexperimente werden zunehmend zur Messung ethnischer, religiöser oder geschlechtsbezogener Diskriminierung eingesetzt. Da hypothetische Personenbeschreibungen präsentiert werden, gilt die Methode als geeignet, heikle Informationen ethisch vertretbar und unaufdringlich zu erfassen. Dabei kann eine Diskriminierung durch die Befragten kausal auf die präsentierten Merkmale zurückgeführt werden. Der Anwendung liegt jedoch die bislang unzureichend geprüfte Annahme zugrunde, dass die mittels Vignettenexperimenten gewonnenen Ergebnisse Rückschlüsse auf tatsächliches Diskriminierungsverhalten in realen Situationen zulassen.
Im Projekt werden am Beispiel internationaler Hochschulabsolvent*innen im deutschen Arbeitsmarkt die Ergebnisse eines Vignettenexperiments mithilfe eines Korrespondenztests unter Arbeitgeber*innen verschiedener Branchen und Arbeitsmarktsegmente validiert. Es wird untersucht, inwieweit mögliche im Feldexperiment beobachtete Diskriminierung im Vignettenexperiment replizierbar ist, wobei eine größtmögliche Vergleichbarkeit sichergestellt wird. Das Ziel sind verallgemeinerbare Aussagen über die Validität von Vignettenexperimenten bei der Messung von Diskriminierung.
Projektlaufzeit: 01.07.2023 bis 30.06.2024
Ansprechperson: Prof. Dr. Knut Petzold
-
Das Projekt untersucht in zwei Modulstudien Diskriminierungserfahrungen bei Waren und Dienstleistungen im digitalen Bereich. Beispielsweise erhalten ältere Menschen oder Menschen mit Behinderungen bzw. chronischen Krankheiten immer wieder schlechtere Konditionen, wenn sie bestimmte Versicherungen abschließen oder Kredite nehmen wollen.
In Modul 1 werden verschiedene Versicherungsprodukte sowie Kreditdienstleistungen untersucht. Mithilfe der Konsultation von Expert*innen im Feld wird ein Testing-Konzept entwickelt, erprobt und anschließend durchgeführt. Zudem werden Interviews mit Betroffenen geführt, um die Folgen entsprechender Erfahrungen und den Umgang zu untersuchen.
Modul 2 fokussiert im Bereich Online-Handel den Aspekt der genderneutralen Ansprache. Dabei werden Kontakt- und Bestellformulare auf die Möglichkeiten für die Angabe non-binärer Geschlechtsidentitäten geprüft. Über Testanfragen bei verschiedenen Unternehmen im Onlinehandel und -dienstleistungen wird geprüft, ob und wie diese mit der Information einer non-binären Geschlechtsidentität umgehen. Dieses Modul wird in Kooperation mit der Deutschen Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität e.V. realisiert.
Projektlaufzeit: 15.06.2023 bis 30.06.2024
Ansprechperson: Judith Pape
-
Das Forschungsvorhaben entwickelt und erprobt einen neuen qualitativen Forschungsansatz, um strukturelle Diskriminierungen und Ungleichheiten in ihrer intersektionalen Verwobenheit zu untersuchen. Der Fokus des Vorhabens richtet sich auf mehrdimensionale Diskriminierung, das heißt das spezifische Zusammentreffen unterschiedlicher Diskriminierungsachsen im Sinne des AGG (Baer et al. 2010), und die Frage, wie in der Rechts- und Beratungspraxis Diskriminierung konzipiert und mit mehrdimensionaler Diskriminierung umgegangen wird. Das Forschungsvorhaben schließt damit sowohl auf methodischer als auch auf empirischer Ebene eine Forschungslücke hinsichtlich der Erfassung und Bearbeitung mehrdimensionaler Diskriminierung, da es zum Ziel hat
1. eine intersektionale Methodenkopplung zu erproben, um mehrdimensionale Diskriminierung entlang der in § 1 AGG aufgeführten Kategorien auf struktureller Ebene angemessen zu verstehen
und
2. mehrdimensionale Diskriminierung systematisch in der Rechts- und Beratungspraxis untersucht und die Ergebnisse in Empfehlungen zum Umgang mit mehrdimensionaler Diskriminierung für Berater*innen in der Antidiskriminierungsarbeit aber auch für die Fortbildung von Jurist*innen transferiert.
Projektlaufzeit: 01.05.2023 bis 30.06.2024
Ansprechperson: Prof. Dr. Tina Spies
-
Das Forschungsprojekt „Betroffenenzugang und -bewertung der Antidiskriminierungsberatung“ verfolgt folgende Ziele:
Erstens soll das allgemeine Wissen der Bevölkerung in Deutschland über Antidiskriminierung und existierende Beratungsangebote untersucht werden, da Rechte und Pflichten bei Diskriminierung nur wirksam sein können, wenn diese auch bekannt sind.
Zweitens werden die Perspektiven von Betroffenen von Diskriminierung in den Mittelpunkt gerückt, da nur durch ein fundiertes Wissen über die tatsächlichen Bedarfe angemessene und bedarfsgerechte Maßnahmen ergriffen werden können, um eine flächendeckende Antidiskriminierungsberatung zu etablieren. Hierfür soll mithilfe eines multimethodischen, quantitativen sowie qualitativen Datenerhebungsverfahrens umfassenden Ansatzes evaluiert werden, wie das Wissen über, der Zugang zu und die Benutzung von AD-Beratungsangeboten verbessert werden können.
Aufbauend auf den Ergebnissen des Forschungsprojekts sollen, drittens, Handlungsempfehlungen entwickelt werden, die zur Stärkung von Antidiskriminierung in Deutschland beitragen können.
Projektlaufzeit: 01.06.2023 bis 31.05.2024
Ansprechperson: Dr. Tanita Jill Pöggel
Förderbereich 2
Forschung zu Diskriminierung von Sinti*ze und Rom*nja
-
Das Projektvorhaben erhebt in Life History Interviews und in anschließenden thematischen Tiefeninterviews die Diskriminierungs- und Gewalterfahrungen von Rom*nja sowie ihre Strategien der Resilienz und des Widerstands. Hierbei werden diverse Gruppen der Rom*nja mit und ohne Migrationserfahrung betrachtet, um komplexe Verflechtungen von Diskriminierungen sichtbar zu machen und Kontinuitäten über die Zeit (auch entlang von Migrationsgeschichten) nachzuzeichnen. Hierbei wird eine vergleichbare Perspektive gewählt, um Aussagen über Diskriminierung und Gewalt sowie über den individuellen und kollektiven Umgang damit zu entwickeln. Diese detaillierte Untersuchung der Verflechtungen und Kontinuitäten von Diskriminierung sowie Resilienz erlaubt nuancierte Aussagen mit Blick auf eine Stärkung der Resilienz innerhalb der Community sowie für Präventionsbemühungen.
Um das Projekt und seine Ergebnisse in der Community zu verwurzeln, wurde es mit dem Landesrat der Roma NRW (und einigen seiner Mitgliedsorganisationen) konzipiert und wählt einen partizipativen Ansatz, bei der für die Datenerhebung und -auswertung Interviewer*innen aus der Rom*nja Community ausgebildet werden.
Projektlaufzeit: 01.06.2023 bis 30.06.2024
Ansprechperson: Prof. Timothy Williams
-
Antiziganismus ist ein Phänomen, das sich auf verschiedenen Ebenen zeigt. Dies können Äußerungen und Handlungen, aber auch institutionelle Praktiken der Marginalisierung sein (vgl. Arbeitsdefinition "anti-gypsism/anti-Roma discrimination" der IHRA).
Ziel der Forschungsarbeit ist es herauszufinden, inwiefern akademische Institutionen in der Bundesrepublik auf Antiziganismen angemessen reagieren, Strukturen schaffen, die studierende Sinti*zze und Rom*nja unterstützen, oder eben selbst ausgrenzend wirken. Hierzu soll zunächst die Lage von Studierenden der Minderheitengruppen qualitativ erhoben und im spezifischen Handlungsfeld eingeordnet werden. Die Ergebnisse werden einer Sensibilisierung dienen sowie in konkrete Handlungsempfehlungen überführt. Auf dieser Grundlage sollen zur Unterstützung der Arbeit von Antidiskriminierungsstellen sowohl Beispiele des "(un)doing" in der akademischen Repräsentation des Gegenstandsbereiches wie einer "good practice" auf organisationaler Ebene identifiziert werden.
Projektlaufzeit: 01.06.2023 bis 30.06.2024
Ansprechperson: Dr. Sven Rößler
Förderbereich 3
Forschung zu Antislawischem Rassismus
-
Jugendliche und junge Erwachsene, die einer ethnischen Minderheit angehören, sind in der BRD gehäuft mit rassistischer Gewalt und Diskriminierung konfrontiert. Dennoch sind rassistische Diskriminierungserfahrungen und die damit einhergehenden Belastungsprozesse nicht ausreichend untersucht. Dies gilt insbesondere für Jugendliche und junge Erwachsene aus dem östlichen Europa, die fast die Hälfte aller in Deutschland lebenden Menschen mit sogenanntem Migrationshintergrund ausmachen.
Das Ziel des Projekts besteht darin, spezifische Diskriminierungserfahrungen von Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit (zugeschriebener) osteuropäischer Herkunft im Rahmen einer einmonatigen Tagebuchstudie zu erfassen und zu charakterisieren. Langfristig soll auf dieser empirischen Datenbasis die Bedeutung notwendiger rassismussensibler Transformationen in psychotherapeutischen Versorgungsstrukturen diskutiert und so, im Sinne einer gleichberechtigten Teilhabe, Maßnahmen für eine adäquatere psychotherapeutische Versorgung betroffener Jugendlicher und junger Erwachsener entwickelt und erprobt werden, die entsprechende Diskriminierungserfahrungen in Diagnostik und Behandlung berücksichtigt.
Projektlaufzeit: 01.07.2023 bis 30.06.2024
Ansprechpersonen: Prof. Dr. Aleksandra Kaurin, Dr. Slieman Halabi, Prof. Dr. Anna Baumert
-
Antiosteuropäischer und antislawischer Rassismus sind im Kontext deutscher Geschichte von zentraler Bedeutung. Während es für die Zeit bis 1945 größtenteils eine solide Forschungsbasis gibt, wissen wir über Kontinuitäten und Wandlungen nach dem Ende des Nationalsozialismus bis heute wenig. Dabei machen Migrant*innen aus dem östlichen Europa mit rund 9,5 Millionen Menschen rund 40 Prozent aller in Deutschland lebenden Menschen mit Migrationsgeschichte und rund ein Neuntel der Gesamtbevölkerung aus.
Das Forschungsvorhaben setzt an diesem Punkt an: Mit einem Fokus auf die Schnittstelle zwischen Arbeitsmarkt und Wohlfahrtsstaat werden institutionelle und individuelle Diskriminierungen von Menschen osteuropäischer Herkunft untersucht. Die Studie stützt sich auf die Auswertung von Dokumenten, Archivmaterial und qualitativen Interviews mit Mitarbeitenden in Arbeitsagenturen sowie Interviews, Workshops und Testimonials mit und von Betroffenen. Insbesondere werden dabei drei Kohorten von Migrant*innen in den Blick genommen: (Spät-) Aussiedler*innen seit den 1980er Jahren, Migrant*innen nach der EU-Osterweiterung 2004/2007/2013 und Geflüchtete aus der Ukraine seit dem 24. Februar 2022.
Projektlaufzeit: 01.05.2023 bis 30.06.2024
Ansprechperson: PD Dr. Hans-Christian Petersen
Zur Projektseite auf der Internetseite des BKGE gelangen Sie hier.
-
Das Forschungsprojekt untersucht die materiellen Wirkungen ineinandergreifender Ungleichbehandlungen von Personen aus Osteuropa in der Bundesrepublik in zwei urbanen Sozialräumen. Es fragt dabei nach Diskriminierungserfahrungen beim Zugang zu sozialen Rechten und Leistungen und in verschiedenen Lebensbereichen wie dem Arbeits- und Wohnungsmarkt. Dabei leistet das Projekt einen Beitrag, Diskriminierungserfahrungen von Menschen (zugeschriebener) osteuropäischer Herkunft sichtbar zu machen und Mechanismen multipler, sich überlagernder Diskriminierungen zu identifizieren. Dazu nutzt das Projekt ein community-basiertes partizipatives Forschungsdesign, das seine Erkenntnisse an den Strukturen des Feldes orientiert und gleichzeitig in dieses Feld aktiv hineinwirkt. Es erarbeitet ein modellhaftes Vorgehen zur Beförderung innovativer wissenschaftlicher Reflexions- wie auch Kooperationsformen, zur Befähigung der Communities im Umgang mit multiplen Diskriminierungsmechanismen und gestaltet neue soziale Konstellationen und Sprechräume.
Projektlaufzeit: 01.05.2023 bis 30.06.2024
Ansprechperson: Dr. Thorsten Schlee
Förderbereich 4
Forschung zu Antisemitismus
-
Der Angriff auf Israel markiert für die jüdische und israelische Community in Deutschland einen tiefen Einschnitt. Seit dem Terrorüberfall der Hamas hat sich die Anzahl der dokumentierten antisemitischen Vorfälle in Deutschland vervierfacht (vgl. Bundesverband der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS). Die Beratungsstelle OFEK e.V. verzeichnete in den ersten vier Wochen nach dem Angriff eine Verzwölffachung der Beratungsanfragen.
Das Erkenntnisinteresse der Studie zielt darauf ab, die Mehrfachbelastung der jüdischen Gemeinschaft zu untersuchen. Mit drei qualitativen Zugängen (narrative Interviews, Gruppendiskussionen, Analysen von Fallverläufen) untersucht die Studie die Auswirkungen der Ereignisse auf das psychische und soziale Wohlbefinden sowie den Alltag von Jüdinnen_Juden in Deutschland. Weiterhin fragt die Studie nach Diskriminierungserfahrungen im Kontext der öffentlichen Reaktionen auf den Terror gegen Israel und den Krieg in Israel und Gaza und nimmt Unterstützungsbedarfe in den Blick.
Projektlaufzeit: 01.01.2024 bis 31.12.2025
Ansprechpersonen: Marina Chernivsky / Freiderike Lorenz-Sinai