Schwerbehinderung? Nicht auffällig genug.
Der Fall
Herr S. konnte es kaum erwarten, den Umschlag zu öffnen, den er soeben dem Briefkasten entnommen hatte. Sicher würde er darin die Einladung zum Vorstellungsgespräch für die Stelle als Verwaltungsangestellter beim Schulamt finden, für die er sich beworben hatte. Noch am selben Tag, an dem er auf die Ausschreibung aufmerksam wurde, hatte er sich beworben, entsprach sein Profil doch genau den Anforderungen und die Aufgaben genau seinen Interessen und Fähigkeiten. Auf seine Schwerbehinderung wies Herr S. sowohl in seinem Bewerbungsanschreiben, als auch in seinem Lebenslauf deutlich hin. Vorfreudig entnahm Herr S. dem Umschlag das Schreiben mit dem Briefkopf des Schulamtes. Was darauf geschrieben stand, konnte und wollte er nicht glauben. Denn entgegen seiner festen Überzeugung, es handele sich hierbei um die ersehnte Einladung zum Vorstellungsgespräch, dankte man ihm für seine Bewerbung und bedauerte, diese nicht berücksichtigen zu können. Ein Grund für die Absage wurde nicht benannt. Daraufhin forderte Herr S. eine Entschädigung. Diese wurde vom öffentlichen Arbeitgeber mit der Begründung abgelehnt, man habe den Hinweis auf dessen Schwerbehinderung übersehen. Eine Benachteiligung liege aber nicht vor – schließlich habe man andere Bewerber*innen mit einer Schwerbehinderung sehr wohl eingeladen.
Rechtslage nach dem AGG
Es liegt sowohl ein Verstoß gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) als auch gegen das Sozialgesetzbuch IX vor. Beide Gesetze untersagen eine Benachteiligung wegen einer Behinderung. Das Sozialgesetzbuch IX legt bestimmte Förderpflichten fest, um die gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Behinderungen an der Gesellschaft zu ermöglichen. Öffentliche Arbeitgeber*innen sind demnach verpflichtet, schwerbehinderte und diesen gleichgestellte Personen zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen. Geschieht dies nicht und wird die Bewerbung abgelehnt, so lässt der Verstoß gegen die Einladungspflicht eine Benachteiligung nach § 7 AGG vermuten.
Bloße Zweifel an der fachlichen Eignung rechtfertigen ein Ausbleiben der Einladung zum Vorstellungsgespräch nicht, da sich bestehende Zweifel im Gespräch gegebenenfalls ausräumen ließen. Zur Beurteilung der fachlichen Eignung ist auf das in der veröffentlichten Stellenausschreibung enthaltene Anforderungsprofil abzustellen, welches Arbeitgeber*innen vorab festlegen. Anhand der darin bestimmten Kriterien werden die Eigenschaften und Fähigkeiten der Bewerbenden gemessen und diese entsprechend ausgewählt und eingeladen.
Die Pflicht zur Einladung besteht selbst dann, wenn Bewerbende einen allgemeinen Eignungstest nicht bestanden haben. Sollten in diesem Rahmen allerdings bestimmte, im Anforderungsprofil festgelegte Kriterien wie Sprachkenntnisse ermittelt werden, kann das Nicht-Bestehen diesbezüglicher Tests zur offensichtlichen Ungeeignetheit führen.
Eine Benachteiligung erfordert kein schuldhaftes Handeln oder gar eine Benachteiligungsabsicht. Dies bedeutet, dass Arbeitgeber*innen sich nicht damit rechtfertigen können, sie hätten die Schwerbehinderung übersehen. Allerdings muss hierüber an einer hervorgehobenen Stelle der Bewerbung klar und eindeutig informiert werden, beispielsweise indem im Bewerbungsschreiben eine Angabe zum Grad der Behinderung (GdB) bzw. einer Gleichstellung gemacht wird oder an hervorgehobener Stelle im Lebenslauf, etwa durch eine besondere Überschrift. Eingestreute oder unauffällige Informationen, wie eine in den weiteren Bewerbungsunterlagen befindliche Kopie des Schwerbehindertenausweises genügen nach der aktuellen Rechtsprechung nicht.
Ergebnis / Beilegung
Herr S. kann Schadensersatz bzw. Entschädigung nach dem AGG verlangen. Diese Ansprüche muss er innerhalb einer Frist von zwei Monaten dem potentiellen Arbeitgeber gegenüber schriftlich geltend machen. Innerhalb von drei Monaten nach dieser schriftlichen Geltendmachung haben Betroffene die Möglichkeit ihre Ansprüche gerichtlich durchzusetzen.
Ein Anspruch auf den gewünschten Arbeitsplatz wird durch das AGG allerdings nicht begründet. Bewerbende im öffentlichen Dienst haben ein Recht darauf, dass der Dienstherr eine rechtsfehlerfreie Entscheidung über die Vergabe der Stelle trifft. Eine rechtswidrige Auswahlentscheidung kann mit einer Konkurrentenschutzklage aufgehoben werden.
In diesem Fall wandte sich Herr S. zunächst selbst an das Schulamt und forderte eine Entschädigung in Höhe von drei Bruttomonatsgehältern. Nachdem man dort seinen Forderungen nicht nachkam und jegliche Diskriminierung abstritt, suchte Herr S. Unterstützung durch die Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Mit seinem Einverständnis klärte diese den öffentlichen Arbeitgeber über die Rechtslage auf und forderte ihn zur Stellungnahme auf. Das Schulamt meldete sich daraufhin unmittelbar und bot Herrn S. eine Entschädigung zur gütlichen Einigung an.