„Ausweiskontrolle! Rein zufällig nur bei Ihnen.“
Der Fall
Herr E. freut sich schon auf das Weihnachtsfest. Gemeinsam mit seiner Frau und seiner kleinen Tochter fährt er von Berlin mit der Bahn zu seiner Familie nach München. Zwischen Nürnberg und Bamberg betreten Beamt*innen der Bundespolizei das volle Abteil des Zuges. Die Beamt*innen gehen gezielt auf die Familie E. zu und fordern die Familie auf Englisch auf, sich auszuweisen. Als der deutsche Staatsbürger Herr E. nach dem Grund fragt, wird ihm keine Auskunft gegeben. Der Polizist fordert ihn vielmehr auch noch auf, seine Taschen zu leeren und sein Gepäck zu öffnen. Herr E., seine Frau und deren Tochter sind die einzigen Schwarzen Personen im Zugabteil. Familie E. erlebt dies zum wiederholten Mal. Herr E. ist ratlos und wendet sich mit der Bitte um Beratung an die Antidiskriminierungsstelle des Bundes.
Einordnung/Einschätzung
Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) verbietet Benachteiligungen wegen der ethnischen Herkunft oder einer rassistischen Zuschreibung. Der Schutz des AGG erstreckt sich hier auf das Arbeitsleben und auf private Verträge. Bei Kontrollen durch private Sicherheitsleute kann das AGG helfen – also dann, wenn Sicherheitskräfte jemandem allein aufgrund der (vermeintlichen) Herkunft eher rechtswidriges Verhalten unterstellen und ohne sachlichen Grund kontrollieren („Racial Profiling“). Das Amtsgericht Konstanz sprach einem Betroffenen, der unberechtigt von einem Ladendetektiv kontrolliert wurde, in einem aktuellen Urteil 1000 € Schmerzensgeld zu. Durch die Ausweiskontrolle verletzte der Ladendetektiv das zivilrechtliche Benachteiligungsverbot des AGG. Die Kontrolle stellte eine nicht gerechtfertigte unmittelbare Benachteiligung wegen der ethnischen Herkunft dar.
Bei Personenkontrollen durch die Polizei gilt das AGG allerdings nicht. Aber: Polizeikontrollen, die aufgrund rassistischer Zuschreibungen erfolgen, sind gesetzlich verboten. Sie verstoßen gegen Art. 3 des Grundgesetzes (GG). Der darin verfassungsrechtlich vorgegebene Gleichbehandlungsgrundsatz verbietet es staatlichen Stellen, zu diskriminieren. Die in Art. 3 Abs. 3 GG geschützten Merkmale dürfen nicht Anknüpfungspunkt für eine Ungleichbehandlung sein. Eine solche Ungleichbehandlung liegt bereits dann vor, wenn die rassistische Zuschreibung ein Kriterium innerhalb eines „Motivbündels“ (zum Beispiel auffälliges Gepäck oder Verhalten) für die Entscheidung für eine Kontrolle war. Eine ausschließliche Anknüpfung an die Hautfarbe ist bei Polizeikontrollen grundsätzlich nicht rechtfertigungsfähig. Wenn die Hautfarbe oder zugeschriebene ethnische Herkunft nicht allein Grund der Kontrolle war besteht ausnahmsweise die Möglichkeit der Rechtfertigung durch andere gewichtige Gründe. Diese anderen Gründe müssen allerdings so gewichtig sein, dass sie Verfassungsrang haben. Die Polizei trifft dann wegen der stigmatisierenden Wirkung eine erhöhte Erklärungslast. Dieser kann nicht durch bloße Behauptungen, Straftaten würden vermehrt von Menschen eines bestimmten Aussehens ausgehen, genügt werden.
Betroffene können in solchen Fällen die hierfür vorgesehenen Verwaltungsverfahren in Anspruch nehmen, etwa eine Dienstaufsichtsbeschwerde oder eine gerichtliche Überprüfung in Form einer Fortsetzungsfeststellungsklage. Mit einer solchen Fortsetzungsfeststellungsklage kann nachträglich die Rechtswidrigkeit der Polizeikontrolle festgestellt werden. Vor Gericht festgestellte Amtspflichtverletzungen können dann in einem weiteren, zivilrechtlichen Verfahren unter Umständen Schadensersatz für die Betroffenen nach sich ziehen.
Ergebnis
Das Erlebnis der Familie E. ist kein Einzelfall. Immer wieder berichten Betroffene der Antidiskriminierungsstelle des Bundes von Racial Profiling durch die Polizei in Zügen, am Flughafen, auf dem Weg zur Arbeit oder vor der eigenen Wohnung. Für Betroffene haben diese Erfahrungen weitreichende Auswirkungen: Sie erleben Racial Profiling als willkürlich, viele fühlen sich bloßgestellt. Oft führen derartige Stigmatisierungserfahrungen auch dazu, dass Betroffene das Vertrauen in die Polizei verlieren und bestimmte Orte meiden oder sich zurückziehen.
Dieses Problem lässt sich nicht an einem Einzelfall lösen – hier muss an vielen Stellen etwas getan werden: Sinnvoll wäre eine bundesweite unabhängige Beschwerdestelle, an die sich Betroffene von Racial Profiling durch Beamt*innen der Bundespolizei wenden können. Solche unabhängigen Beschwerdestellen, sogenannte Beauftragte, gibt es bislang immerhin auf Länderebene - bei der Landespolizei in Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein und Baden-Württemberg. Betroffene können bei diesen Stellen eine Beschwerde gegen eine Polizeimaßnahme von Landespolizist*innen einreichen. Die Beauftragten können dann zwischen den Parteien vermitteln. Wichtig ist es auch, Polizist*innen für das Thema zu sensibilisieren. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes bietet auch deshalb regelmäßig Schulungen rund um den Themenbereich Diskriminierung an.
Im Einzelfall können wir zwar nicht das AGG heranziehen. Wir können jedoch teilweise vermittelnd tätig werden, eine Stellungnahme beispielsweise der Bundespolizei ersuchen oder an spezialisierte Fachstellen weitervermitteln. Familie E. half es schließlich weiter, sie zu einer Beratungsstelle in Berlin weiterzuleiten, welche sich auf die Unterstützung von Betroffenen von Racial Profiling spezialisiert hat. Gemeinsam mit dieser Beratungsstelle hat sich Familie E. dazu entschieden, die Rechtswidrigkeit ihres Erlebnisses durch eine Fortsetzungsfeststellungsklage gerichtlich feststellen zu lassen.