Früher war das mal Frauensache!
Der Fall
Alexander S. ist seit 2016 in einer leitenden Position angestellt. Als er in seinem Unternehmen ankündigt, in naher Zukunft Elternzeit nehmen zu wollen, drohen seine Vorgesetzten mit Kündigung. Im September 2022 nimmt er dennoch einen Monat Elternzeit. Nach seiner Rückkehr erhält er nur noch wenig anspruchsvolle Aufgaben, die nicht mehr zu seinem Jobprofil passen und ihn unterfordern. Begleitet wird dies von einer Streichung außertariflicher Zulagen, wodurch sein monatliches Gehalt geringer ausfällt. Alexander S. wendet sich an die Beratung der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, da er sich wegen seiner Fürsorgetätigkeit diskriminiert sieht.
Rechtliche Einordnung
Die Beratungspraxis zeigt, dass immer mehr Väter mit, Fürsorgeverantwortung Nachteile am Arbeitsplatz erleiden. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) schützt nur aufgrund der im Gesetz genannten Diskriminierungsgründe – Alter, Behinderung, Geschlecht, ethnische Herkunft, Religion/Weltanschauung und sexuelle Identität. Fürsorgeverpflichtungen gehören nicht dazu. Verboten ist lediglich eine geschlechtsbedingte Benachteiligung.
Erleiden Mütter Nachteile am Arbeitsplatz, weil sie Elternzeit in Anspruch genommen haben, kann in der Regel von einer mittelbaren Benachteiligung wegen des Geschlechts gesprochen werden. Sie ist dann gegeben, wenn scheinbar neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sich benachteiligend auswirken (§ 3 Absatz 2 AGG).
Im Falle einer Benachteiligung aufgrund von Elternzeit bedeutet das zum Beispiel: Statistisch gesehen nehmen weiterhin mehr Frauen eine längere Elternzeit in Anspruch. Wenn Arbeitgeber*innen also aufgrund der Inanspruchnahme von Elternzeit benachteiligen, trifft dies statistisch überwiegend Frauen. Sie werden mittelbar aufgrund des Geschlechts benachteiligt.
Ob eine solche mittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts auch auf Väter zutreffen kann, ist bisher rechtlich nicht einstimmig geklärt. Überwiegend wird das bisher verneint. Die Folge: Väter können sich in dieser Situation nicht auf den Diskriminierungsschutz des AGG berufen. Klar ist: Fürsorgeverantwortung übernehmen schon lange nicht mehr allein Frauen. Gleichberechtigung kann es nur geben, wenn alle Fürsorgeleistenden rechtlich geschützt werden.
Das hat auch der europäische Gesetzgeber erkannt. Mit der sogenannten „Caregiver-Richtlinie“ (EU 2019/1158) werden unter anderem die Rechte von Vätern gestärkt, wenn sie nach der Geburt eines Kindes zur Betreuung freigestellt werden möchten. Artikel 11 der Richtlinie verbietet, dass Personen schlechter gestellt werden, wenn sie diese Rechte in Anspruch nehmen. Im deutschen Recht greift dann das sogenannte Maßregelungsverbot nach § 612a Bürgerliches Gesetzbuch (BGB): Demnach darf keine Person benachteiligt werden, die diese ihr zustehenden Rechte in Anspruch genommen hat.
Ergebnis/Beilegung
Dank der neuen Fürsorge-Richtlinie und ihrer Umsetzung in das deutsche Recht bietet die Antidiskriminierungsstelle des Bundes nun auch eine Beratung für Väter und andere Fürsorgeleistende (zum Beispiel auch für Menschen, die ältere Angehörige pflegen) zu ihren Rechten am Arbeitsplatz an. Alexander S. hat auf unseren Rat hin einen Rechtsanwalt eingeschaltet und wird sich gegen die entstandenen Nachteile wehren.
Dennoch birgt die novellierte Rechtslage in Deutschland weiterhin Schutzlücken: Das Maßregelungsverbot greift grundsätzlich erst, wenn Nachteile bereits eingetreten sind. Wird beispielsweise im Vorhinein mit negativen Konsequenzen gedroht und nimmt der Betroffene dann deshalb keine Elternzeit, greift das Maßregelungsverbot nicht. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes plädiert daher dafür, das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz zu ändern und die geschützten Diskriminierungsgründe zu erweitern: Auch die Fürsorgeverantwortung sollte in das Gesetz aufgenommen werden.