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Neues in der Rubrik "Der aktuelle Fall" 21.07.2022

Anna S. ist seit einem Jahr Auszubildende in einem größeren Unternehmen. Bisher mag sie ihre Arbeit und das Team. Doch dann wird sie von einem Kollegen beim Sommerfest sexuell belästigt.

Das wird man auf dem Sommerfest ja wohl noch dürfen.

„Das dürfe man ja wohl noch“, entgegnet er, als sie sich dagegen wehrt, dass er ihr an den Po fasst. S. beschwert sich daraufhin bei ihrem Vorgesetzten. Dieser spielt den Vorfall allerdings herunter. Ein Einschreiten hält er nicht für notwendig. S. belastet der Vorfall sehr. Sie wendet sich an die Antidiskriminierungsstelle des Bundes und fragt, welche Rechte sie gegenüber ihrem Arbeitgeber geltend machen kann.

Rechtliche Einordnung

Immer wieder wenden sich Ratsuchende wegen sexueller Belästigung am Arbeitsplatz an die Antidiskriminierungsstelle. Viele Anfragen zeigen, dass Übergriffe oft mit einem Ausnutzen bestehender Machtstrukturen einher gehen, also etwa Auszubildende, Angestellte oder Arbeitsuchende von ihren Vorgesetzten oder dienstälteren Kolleg*innen sexuell belästigt werden.

Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) verbietet ausdrücklich jede unerwünschte sexuelle Belästigung als Form geschlechtsbezogener Diskriminierung im Erwerbsleben (§ 3 Abs. 4 AGG). Dies gilt nicht nur im Hinblick auf Festangestellte, sondern auch für Auszubildende und arbeitnehmerähnliche Personen.

Sexuelle Belästigung liegt bei unerwünschten Verhaltensweisen vor, die sexualisiert und geschlechtsbezogen sind. Dabei ist es unerheblich, ob sie direkt am Arbeitsplatz stattfinden oder mit dem Arbeitsverhältnis in Zusammenhang stehen wie beispielsweise die Teilnahme an einer betrieblichen Feier. Dass das Verhalten unerwünscht ist, müssen Betroffene dabei nicht ausdrücklich äußern. Entscheidend ist, dass die Person, die belästigt, nach objektiven Umständen davon ausgehen musste, dass das Verhalten unerwünscht ist.

Beschäftigte haben im Fall einer sexuellen Belästigung ein Beschwerderecht gemäß § 13 AGG bei der zuständigen Beschwerdestelle im Unternehmen. Der*die Arbeitgeber*in ist verpflichtet, eine solche Beschwerdestelle einzurichten, an die sich Betroffene wenden können. Der*die Arbeitgeber*in ist außerdem verpflichtet, Maßnahmen zur Unterbindung der Belästigung zu ergreifen, die an den Einzelfall angepasst sind (§ 12 AGG). Dafür stehen Arbeitgeber*innen verschiedene (arbeitsrechtliche) Handlungsmöglichkeiten gegenüber der belästigenden Person zur Verfügung, etwa eine Abmahnung, Umsetzung, Versetzung oder auch Kündigung.

Dauert die Belästigung an und ergreift der*die Arbeitgeber*in keine oder offensichtlich ungeeignete Maßnahmen, können Betroffene ihre Tätigkeit auch ohne Verlust des Arbeitsentgelts einstellen (§ 14 AGG). Hierzu sollten sie sich aber unbedingt rechtlich beraten lassen.

Beschäftigte, die sexuelle Belästigung erfahren, können unter Umständen auch einen Anspruch auf Schadensersatz und Entschädigung nach § 15 AGG gegen den*die Arbeitgeber*in haben. Voraussetzung ist, dass die sexuelle Belästigung von einer Person ausgeht, die eine Arbeitgeber*innenfunktionen wahrnimmt oder Weisungsrecht hat. Das können z.B. Vorgesetzte, die Personalleitung, Geschäftsführer*innen oder Vorstandsmitglieder sein. Bei sexueller Belästigung durch Kolleg*innen haften Arbeitgeber*innen nur, wenn sie keine Schutzmaßnahmen ergriffen haben und es erneut zu einem Vorfall kommt.

Eine sexuelle Belästigung kann, wenn sie mit einer körperlichen Berührung einhergeht, auch strafbar sein. Das bestimmt sich nicht nach Vorschriften des AGG, sondern des Strafgesetzbuchs (StGB).

Ergebnis/Beilegung:

Die Antidiskriminierungsstelle hat Anna S. über ihre Rechte aufgeklärt und holte mit ihrem Einverständnis eine Stellungnahme von ihrem Arbeitgeber ein. Daraufhin mahnte dieser den belästigenden Kollegen ab. S. wechselte jedoch trotzdem die Ausbildungsstelle, da sie sich fortan in dem Unternehmen nicht mehr wohl fühlte.

Leider kommt die Unterstützung in Fällen sexueller Belästigung oft zu spät und wäre nicht notwendig, wenn insbesondere Arbeitgeber*innen ihren Schutzpflichten nach dem AGG nachkommen würden. Erstaunlich viele Arbeitgeber*innen wissen nach wie vor nicht über ihre Pflichten Bescheid. Unter folgendem Link finden Sie Beispiele Guter Praxis gegen sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz.

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