Antidiskriminierungsstelle des Bundes warnt vor „Genderverboten“ 13.05.2024
Wird ein inklusiver und geschlechtergerechter Umgang mit Sprache durch den Staat verboten, ist das verfassungsrechtlich problematisch. Zu dieser Einschätzung kommt die Antidiskriminierungsstelle des Bundes in einem Kurzgutachten im Rahmen der Schriftenreihe „Standpunkte“.
- Kurzgutachten belegt erhebliche verfassungsrechtliche Risiken bei Sprachverboten an Schulen, Hochschulen, in öffentlich-rechtlichen Medien und der Verwaltung
- Antidiskriminierungsbeauftragte Ataman:
„Menschen zu verbieten, inklusive Sprache zu verwenden, ist ein Rückschritt ins letzte Jahrhundert.“
Nach Ansicht der Jurist*innen der Antidiskriminierungsstelle bestehe „insbesondere die Gefahr, dass staatliche Einrichtungen verpflichtet werden, das Geschlechtsdiskriminierungsverbot (Artikel 3 GG) sowie allgemeine Persönlichkeitsrechte (Artikel 2 I in Verbindung mit Artikel 1 I GG) von Frauen, intergeschlechtlichen sowie nicht-binären Menschen zu verletzen“. Je nach Bereich könnten zudem weitere Grundrechte betroffen sein. Mehrere Länder, darunter der Freistaat Bayern, Hessen, Sachsen und Sachsen-Anhalt haben in den vergangenen Monaten Verbote zum Gebrauch geschlechtergerechter Sprache an Schulen, Hochschulen, in der Verwaltung und teilweise auch für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk verordnet oder angekündigt (detaillierte Übersicht im Kurzgutachten).
„Menschen zu verbieten, inklusive Sprache zu verwenden, ist ein Rückschritt ins letzte Jahrhundert. Der Staat sollte Respekt und Toleranz fördern, nicht verbieten. Er hat nicht das Recht, sich in das Persönlichkeitsrecht der Bürger*innen einzumischen. Die sogenannten Genderverbote sind verfassungsrechtlich problematisch und dienen einem Kulturkampf auf dem Rücken von Minderheiten“
, sagte Ferda Ataman, Unabhängige Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung. Außerdem gebe es einen angeblichen „Genderzwang“, gegen den sich Verbote auf Länderebene richten, überhaupt nicht. „Das ist eine Scheindebatte“
, ergänzte Ataman.
Dem Gutachten zufolge greifen Verbote von geschlechtergerechten Schreibweisen an Hochschulen in die Wissenschaftsfreiheit (Artikel 5 GG) ein. Hochschulen dürfen ihre Angelegenheiten selbst regeln. Laut dem Rat für deutsche Rechtschreibung haben „Hochschulen und Lehrende […] die Freiheit des Studiums nicht nur bei der Wahl von Lehrveranstaltungen, sondern auch bei der Erarbeitung und Äußerung wissenschaftlicher Meinungen der Studierenden zu beachten und zu schützen.“
An Schulen könnten Verbote einer geschlechtergerechten Schreibweise die betroffenen Lehrkräfte und Schüler*innen in ihrer Meinungsfreiheit des Artikel 5 I 1 GG sowie in ihrer allgemeinen Handlungsfreiheit des Artikel 2 I GG verletzen und sie gegebenenfalls selbst diskriminieren. Geschlechtliche Vielfalt abzubilden und Selbstbezeichnungen der Schüler*innen zu respektieren, seien zudem wichtige Bestandteile von Demokratie- und Menschenrechtsbildung an Schulen. Auch die pädagogische Freiheit der Lehrkräfte könnte unzulässig eingeschränkt werden.
Wenn der Staat dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk geschlechtergerechte Schreibweisen oder Sprechweisen verbieten würde, wäre das ein Eingriff in die verfassungsrechtlich gesicherte Programmautonomie und verletze damit die Rundfunkfreiheit aus Artikel 5 Absatz 1 S. 2 GG. Der Gesetzgeber könne zwar teilweise die Organisationsstruktur des Rundfunks regeln, doch die Entscheidung über die Inhalte und Formen des Programms steht den Rundfunkanstalten zu. Einwirkungen auf die Rundfunkfreiheit müssen grundsätzlich besonders gerechtfertigt werden.