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"Diskriminierung in Deutschland"
Dritter Gemeinsamer Bericht

der Antidiskriminierungsstelle des Bundes
und der in ihrem Zuständigkeitsbereich betroffenen Beauftragten der Bundesregierung und des Deutschen Bundestages

- Steckbrief zu den zentralen Ergebnissen -

Autor*innen: Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) Erscheinungsjahr: 2017

Kurzüberblick

Ziel dieses Berichts ist es, subjektive Diskriminierungserfahrungen sichtbar zu machen und Diskriminierungsrisiken zu identifizieren. Neben den in § 1 des AGG genannten Merkmalen ethnische Herkunft, Geschlecht, Religion/Weltanschauung, Alter, Behinderung und sexuelle Identität spielen auch weitere Erfahrungen – etwa aufgrund der „sozialen Herkunft“, des Familienstatus oder des Aussehens – eine Rolle.

Grundlage bilden die Beratungsanfragen der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS), anderer staatlicher und nichtstaatlicher Antidiskriminierungsstellen, der Beauftragten der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen sowie der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration; und schließlich noch die Rechtsprechung auf nationaler und europäischer Ebene.

Ausführlich werden daneben die Ergebnisse der von der ADS in Auftrag gegebenen Studie „Diskriminierungserfahrungen in Deutschland“ vorgestellt. Diese besteht zum einen aus einer Repräsentativbefragung, mit der ermittelt wurde, wie verbreitet Diskriminierungserfahrungen aufgrund der unterschiedlichen Merkmale in verschiedenen Lebensbereichen sind. Zum anderen besteht sie aus einer nicht repräsentativen Betroffenenbefragung, in der die rund 18.000 Teilnehmenden eigene oder beobachtete Diskriminierungssituationen schildern konnten.

In einem Vertiefungsteil befasst sich der Bericht mit Diskriminierungsrisiken und Diskriminierungsschutz in der öffentlichen Arbeitsvermittlung. Neben den Beschwerdedaten staatlicher und zivilgesellschaftlicher Beratungsstellen sowie den genannten Beauftragten der Bundesregierung fließen hier die Ergebnisse der Studie „Diskriminierungsrisiken in der öffentlichen Arbeitsvermittlung“ im Auftrag der Antidiskriminierungsstelle des Bundes mit ein.

Mehr Informationen:

Wichtigste Ergebnisse

Diskriminierungserfahrungen sind verbreitet

Im repräsentativen Teil der Studie „Diskriminierungserfahrungen in Deutschland“ berichtet knapp ein Drittel der Befragten (31,4 Prozent) davon, in den beiden Jahren vor der Erhebung Diskriminierung aufgrund eines oder mehrerer der im AGG genannten Merkmale erfahren zu haben. Werden auch Diskriminierungserfahrungen aufgrund anderer, vom AGG nicht geschützter Merkmale (z. B. "soziale Herkunft", äußeres Erscheinungsbild) einbezogen, steigt der Anteil auf 35,6 Prozent. 14,8 Prozent berichten von Diskriminierung aufgrund des Lebensalters, jeweils knapp ein Zehntel aufgrund des Geschlechts, wegen der Religion bzw. Weltanschauung, aus rassistischen Gründen bzw. wegen der ethnischen Herkunft oder wegen einer Behinderung bzw. Beeinträchtigung. Diskriminierungserfahrungen aufgrund der sexuellen Orientierung machten 2,4 Prozent der Befragten.

Diskriminierung trifft alle, aber manche stärker

Bestimmte Gruppen sind – auch das zeigt die Befragung – einem höheren Diskriminierungsrisiko ausgesetzt als andere. So sind es in erster Linie Frauen, die Benachteiligungen wegen ihres Geschlechts erfahren (sie berichten fünf Mal so häufig wie Männer von Diskriminierungserfahrungen aufgrund des Geschlechts). Diskriminierung wegen der sexuellen Orientierung trifft fast ausschließlich homosexuelle Menschen. Zudem weisen Menschen nichtchristlichen Glaubens wie z. B. Muslim*innen ein höheres Risiko auf, Diskriminierung zu erfahren. Zugleich sind Mehrfachdiskriminierungen von hoher Bedeutung. Eine besonders starke Querschnittskategorie ist das Geschlecht: etwa in Kombination mit dem Lebensalter, wenn Frauen wegen möglicher Schwangerschaft oder ihrer Kinder nicht eingestellt werden; wenn es überwiegend lesbische Frauen sind, die homosexuellenfeindlichen und sexualisierten Anfeindungen ausgesetzt sind oder wenn vorwiegend kopftuchtragende muslimische Frauen vom Verbot religiöser Symbole betroffen sind.

Beratungsanfragen

Die Spannweite der Diskriminierungserfahrungen spiegelt sich in den Beratungsanfragen.
Insgesamt erhielt die ADS im Berichtszeitraum 2013–2016 9.099 Anfragen zu Diskriminierungserfahrungen. Auch bei der Beauftragten der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen und der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration ging in den vier zurückliegenden Jahren eine hohe Zahl an Anfragen ein. Vor allem wegen der Merkmale ethnische Herkunft, Behinderung und Geschlecht beklagen Betroffene Diskriminierung.

Diskriminierungserfahrungen jenseits der Grenzen des AGG

Menschen erleben Diskriminierung und suchen Unterstützung, auch wenn die Benachteiligung in keinem vom AGG geschützten Lebensbereich stattfindet oder nicht an ein geschütztes Merkmal anknüpft. Das betrifft vor allem die Lebensbereiche Bildung, Ämter und Behörden sowie Öffentlichkeit und Freizeit. Auch Benachteiligungen wegen Merkmalen außerhalb von § 1 AGG werden als Diskriminierung benannt, insbesondere die „soziale Herkunft“, der Familienstand, die Staatsangehörigkeit oder die äußere Erscheinung.

Diskriminierung hat viele Gesichter

Es hängt sehr von den jeweiligen Lebensbereichen und betroffenen Merkmalen ab, in welcher Form sich Diskriminierung zeigt. Geht es um wichtige Ressourcen wie Arbeit, Bildung, Wohnraum oder Güter sowie Versicherungen äußert sich Diskriminierung häufig als verwehrter Zugang oder als Leistungsverweigerung oder in Form geringerer Chancen durch schlechtere Behandlung.

Diskriminierungsrisiken in der öffentlichen Arbeitsvermittlung

Der zweite Teil des Berichts beschäftigt sich auf der Grundlage der Studie „Diskriminierungsrisiken in der öffentlichen Arbeitsvermittlung“ mit Diskriminierung in Jobcentern und Arbeitsagenturen.

Zentrale Ergebnisse

  1. Diskriminierungsrisiken in der öffentlichen Arbeitsvermittlung entstehen dadurch, dass es Mitarbeiter*innen, die im direkten Kontakt mit Arbeitsuchenden sind, zum Teil an einer ausreichenden Professionalisierung hinsichtlich der Vermittlungs- und Integrationsarbeit fehlt.
  2. Beratungsdefizite sowie Barrieren (z.B. keine Angebote in Leichter Sprache oder eingeschränkte Dolmetscherdienste) beim Zugang zu Dienstleistungen stellen institutionelle Diskriminierungsrisiken für Kund*innen dar.
  3. Das von Arbeitsagenturen und Jobcentern angewandte Kennzahlensystem wird als problematisch gesehen. Fachkräfte richten demnach ihre Vermittlungsanstrengungen zu wenig an Arbeitsuchende, wie bspw. Alleinerziehende oder Menschen mit Behinderungen aus.
  4. Da Verfahren und Entscheidungen in der öffentlichen Arbeitsvermittlung zu großen Teilen mündlich ergehen, bleiben Verfahren und Verfahrensrechte für die Betroffenen oft intransparent und nicht nachvollziehbar.

Handlungsoptionen

Die Handlungsempfehlungen beruhen auf den im Bericht erarbeiteten Erkenntnissen zum Vorkommen und Ausmaß von Diskriminierung in Deutschland sowie den von Betroffenen wie auch Beratungsstellen bemängelten Lücken im Diskriminierungsschutz. Sie sind Anregungen dafür, wie diese Lücken auf gesetzlicher Ebene geschlossen werden und Betroffene weiter dabei unterstützt werden können, ihr Recht zu erhalten. Die Empfehlungen richten sich an Gesetzgeber, Länder und Kommunen, aber auch an sonstige staatliche Institutionen und Antidiskriminierungsberatungsstellen.

Zugang zu Diskriminierungsschutz und Rechtsdurchsetzung für Betroffene verbessern

Um Hürden bei der Rechtsdurchsetzung zu senken, sollte Antidiskriminierungsverbänden ein Verbandsklagerecht eingeräumt werden. Die Verbandsklage zählt zu den wichtigsten Instrumenten des kollektiven Rechtsschutzes, da nicht nur die Rechte Einzelner, sondern aller Betroffenen durchgesetzt werden können. So können unter anderem Musterprozesse geführt und der Diskriminierungsschutz in Deutschland vorangebracht werden. Außerdem sollten die Fristen, innerhalb derer Ansprüche aufgrund von Diskriminierung geltend gemacht werden können, von zwei auf sechs Monate verlängert werden. Schließlich bedarf es noch weiterer Klärungen bei der Beweislastregelung, einer Überprüfung der bestehenden Deckelung des Entschädigungsanspruchs sowie im Arbeitsrecht eines Auskunftsanspruchs gegenüber dem Arbeitgeber, sodass abgelehnte Bewerber*innen die Gründe für eine Auswahl bzw. Ablehnung erfahren können.

Ausnahmeregelungen beim zivilrechtlichen Benachteiligungsverbot einschränken

Der umfassende Diskriminierungsschutz sollte für alle geschützten Merkmale des AGG im Bereich Güter und Dienstleistungen gewährleistet werden. Damit zusammenhängend sollte die Bundesregierung ihren Widerstand gegen den Entwurf für die 5. EU-Gleichbehandlungsrichtlinie überdenken, um Diskriminierungserfahrungen wie Alter, Geschlecht, Behinderung, Religion/Weltanschauung oder sexuelle Identität gleich zu behandeln. Auch der gesetzliche Schutz beim Zugang zu Wohnraum sollte verbessert werden: Hierzu bedarf es einer Streichung des zugunsten von Wohnungsunternehmen bestehenden Rechtfertigungsgrunds in § 19 Abs. 3 AGG. Auch die Ausnahmeregelung des § 19 Abs. 5 Satz 3 AGG sollte kritisch geprüft werden.

Diskriminierungsschutz in Bezug auf staatliches Handeln stärken

Der Anwendungsbereich des AGG sollte um ein Diskriminierungsverbot in Bezug auf staatliches Handeln ergänzt werden. Empfohlen wird zudem die Einrichtung einer Schlichtungsstelle bei der Antidiskriminierungsstelle des Bundes in Anlehnung an § 16 BGG, sofern nicht das Merkmal Behinderung betroffen ist, da hier die Zuständigkeit der Behindertenbeauftragten der Bundesregierung greift. Daneben sollten Lücken im Diskriminierungsschutz durch Landesantidiskriminierungsgesetze geschlossen werden.

Diskriminierungsschutz durch angemessene Vorkehrungen und Barrierefreiheit fördern

Der Begriff der „angemessenen Vorkehrungen“, d. h. im Einzelfall notwendige und geeignete Maßnahmen, damit Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt teilhaben können, sollte im Sinne einer Generalklausel in das AGG aufgenommen werden. Damit einhergehend sollte im Sinne der UN-BRK ergänzt werden, dass die Verweigerung von angemessenen Vorkehrungen eine verbotene Diskriminierung darstellt. Private Anbieter*innen von Gütern und Dienstleistungen sollten im AGG zur Barrierefreiheit verpflichtet werden.

Beratung bei Diskriminierung fördern

Empfohlen wird ein zeitnaher und flächendeckender Ausbau staatlicher und nichtstaatlicher Antidiskriminierungsstellen auf Landes- und kommunaler Ebene. Ländern ohne Landesantidiskriminierungsstellen wird empfohlen, solche einzurichten. Ein solcher Ausbau der Beratung erfordert eine langfristige institutionelle Finanzierung durch Bund, Länder und Kommunen.

Gleichstellungsdaten systematisch sammeln und Diskriminierungsforschung ausbauen

Es sollte eine systematische Bestandsaufnahme geben, um festzustellen, welche existierenden Erhebungen (amtliche Statistik, Bevölkerungsumfragen, Zielgruppenbefragungen) relevante Daten zur Untersuchung von Diskriminierung und Ungleichheit beisteuern können. Auf dieser Basis kann dann geprüft werden, wie diese Erhebungen ggf. erweitert werden können. Um Tendenzen und Trends im Hinblick auf Diskriminierungserfahrungen abbilden zu können, sollten Betroffenenbefragungen – wie im Bericht vorgestellt – regelmäßig wiederholt werden. Die Dokumentation von Beschwerde- und Beratungsfällen durch staatliche und nichtstaatliche Stellen sollte soweit möglich systematisiert und vereinheitlicht werden.

Empfehlungen hinsichtlich Diskriminierungsrisiken in der öffentlichen Arbeitsvermittlung

  1. Rechtlichen Diskriminierungsschutz und Rolle der Beauftragten für Chancengleichheit am Arbeitsmarkt stärken
    Dem Gesetzgeber wird nahegelegt das Diskriminierungsverbot bei der Inanspruchnahme sozialer Rechte (§ 33c SGB I) auf alle Diskriminierungskriterien zu erweitern.
  2. Transparenz der Entscheidungen durch Information, schriftliche Bescheidung sowie Verständlichkeit und Nachvollziehbarkeit der Begründungen ermöglichen. Die Bundesagentur für Arbeit und das Jobcenter sollten u. a. vorab über die Verfahrensrechte der Leistungsberechtigten informieren.
  3. Mitarbeiter*innen von Arbeitsagenturen und Jobcentern stärker professionalisieren.
  4. Zusammenarbeit an Schnittstellen verbessern
    Dem Gesetzgeber wird unter anderem vorgeschlagen, die Bundesagentur für Arbeit rechtskreisübergreifend im Rahmen ihrer Rehabilitationsträgerschaft auch die vollständige Leistungsverantwortung zu übergeben, um mögliche Rehabilitationsbedarfe von Arbeitsuchenden mit Behinderungen im Zuständigkeitsbereich der Jobcenter möglichst frühzeitig zu identifizieren.
  5. Stellung im Verfahren verbessern, Partizipation stärken
    Für Arbeitsuchende mit Behinderungen soll sowohl ein gesetzlicher Anspruch auf Nutzung von Integrationsfachdiensten geschaffen als auch eine gesetzliche Verankerung zum Einsatz von speziellen Beratungskräften (Reha/SB-Teams) auch im SGB II vorgeschrieben werden.
  6. Kennzahlensteuerung weiterentwickeln und überwachen
    Die Kennzahlensteuerung macht Vorgaben zur Anzahl der Beratungen und Vermittlungen die von Arbeitsagenturen und Jobcentern erbracht werden sollen. Es ist daher regelmäßig zu prüfen, dass diese Zielvorgaben nicht zu Diskriminierungsrisiken z.B. von Arbeitslosen mit Vermittlungshemmnissen führen.
  7. Der Herausbildung stereotyper Arbeitsmarktsegmente aktiv entgegensteuern
    So sollte unter anderem die Berufsberatung sich ausschließlich an den Perspektiven einer Tätigkeit auf dem Arbeitsmarkt und individuellen Ressourcen und Bedarfen von Arbeitssuchenden orientieren und beispielsweise Frauen nicht in typische Frauenberufe im Bereich der Erziehung und Pflege vermitteln.

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