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Barrierefreie Dienstleistungen

Benachteiligungen von behinderten Menschen beim Zugang zu Dienstleistungen privater Unternehmen

- Steckbrief zum Forschungsprojekt -

Autor*innen: Anne Waldschmidt, Arne Müller, im Auftrag der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) Erscheinungsjahr: 2013

Kurzüberblick

Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes untersucht mit der Expertise die Frage, bei welchen Geschäften des Alltags Menschen mit Behinderungen diskriminiert werden und welche Formen der Benachteiligung dabei vorkommen. Für die Studie wurden Expert*inneninterviews durchgeführt sowie 280 dokumentierte Beratungsfälle der Jahre 2006 bis 2011 ausgewertet. Darüber hinaus enthält die Untersuchung eine Analyse der vorhandenen Forschungsliteratur.

Wichtigste Ergebnisse

Bei den überwiegend von der Antidiskriminierungsstelle des Bundes zur Verfügung gestellten Beratungsfällen konnten typische Muster und Formen der Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen beim Zugang zu Gütern und Dienstleistungen identifiziert werden.

Formen der Diskriminierung

Bei den typischen, vorgefundenen Formen handelte es sich um

  • die Verweigerung von Dienstleistungen oder des Zutritts, beispielsweise zu Gaststätten
  • Probleme mit der Barrierefreiheit
  • Ungleichbehandlungen und Belästigungen wie zum Beispiel durch Beschimpfungen und Beleidigungen, Stigmatisierung und die Verweigerung der Anerkennung
  • Verweigerungen des Nachteilsausgleiches.

Diese Formen traten bei den ausgewerteten Beratungsfällen auch teilweise in Kombination oder gleichzeitig auf.

Typische Muster der Diskriminierung

Sieben zentrale Bereiche konnten identifiziert werden, in denen Menschen mit Behinderungen bei Alltagsgeschäften benachteiligt werden.

  • Bei 33 Prozent der untersuchten Fälle handelte es sich um Diskriminierungen im Bereich der Finanzdienstleistungen, also der Versicherungen, Bank- und Postdienstleistungen. In den überwiegenden Fällen wurde der Versicherungsschutz verweigert.
  • Bei 20 Prozent der untersuchten Fälle handelte es sich um Benachteiligungen im Bereich des Transports und der Mobilität. Hierbei ging es vor allem um Probleme mit der Barrierefreiheit, zum Beispiel bei der Deutschen Bahn, auf Reisen, im Luftverkehr und im öffentlichen Nahverkehr.
  • Im Bereich Freizeit und Kultur, also bei Kultur- und Sportveranstaltungen, in Freizeitparks, Kinos und der Gastronomie, ereigneten sich 18 Prozent der Fälle. Hier zeigte sich ein breites Spektrum von Benachteiligungen. Diese reichten von der Verweigerung der Dienstleistung über Probleme mit der Barrierefreiheit, Zutrittsverweigerungen bis hin zu Belästigungen.
  • Dem Bereich Wohnen sind 15 Prozent der Fälle zuzuordnen. Typischerweise handelte es sich um Benachteiligungen bei Vermietungen, aber auch um Diskriminierungen in der Nachbarschaft.
  • Diskriminierungen kamen bei Gesundheitsdienstleistungen und im Einzelhandel mit je 4 Prozent der untersuchten Fälle, in den Bereichen Medien und Kommunikation sowie Sonstiges mit jeweils 3 Prozent der Fälle vor.

Rechtfertigungsgründe in einem Drittel der Fälle

In rund einem Drittel der Fälle (32,5 Prozent) wurden sachliche Rechtfertigungsgründe nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) angeführt. Von den Betroffenen selbst wurde dies massiv kritisiert und das AGG diesbezüglich als ungerecht empfunden.

Situation von Personen, die unter rechtlicher Betreuung stehen

In den untersuchten Fällen kamen Beschwerden von nach § 1896 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) betreuten Menschen nur zu knapp 1,8 Prozent vor. Von rechtlicher Betreuung betroffen sind Erwachsene, die aufgrund einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung ihre Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht erledigen können. Diese Gruppe erlebte insbesondere den Ausschluss von Finanzdienstleistungen. Im Rahmen der Expert*inneninterviews wurde die Vermutung geäußert, dass die Dunkelziffer sehr hoch sei und Betreuungsverhältnisse seitens der Unternehmen und Geschäfte häufig mit großer Unkenntnis und viel Angst besetzt seien.

Begriffserläuterung

  • Barrierefrei sind zum Beispiel Gebäude, Verkehrs- und Kommunikationsmittel, wenn sie für Menschen mit Behinderungen in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe zugänglich und nutzbar sind.
  • Bei Nachteilsausgleichen handelt es sich um Leistungen und Maßnahmen, die Menschen mit Behinderungen erhalten, um die erfahrene Benachteiligung und Mehraufwendungen auszugleichen. Nachteilsausgleiche sind zum Beispiel die kostenlose Mitnahme einer Begleitperson oder ermäßigte Eintritte.

Handlungsoptionen

  • Unternehmen sollten ihre Mitarbeiter*innen im Umgang mit Menschen mit Behinderungen und über deren Gleichbehandlungsrechte aufklären.
  • In Bezug auf Diskriminierungen im Bereich der Finanzdienstleistungen sollte ein Maßnahmenpaket ergriffen werden, angefangen von einem Runden Tisch aller Beteiligten bis hin zur Entwicklung von Fortbildungsangeboten, Aufklärung und Sensibilisierung durch Öffentlichkeitsarbeit sowie der Unterstützung von Musterprozessen von Betroffenen.
  • Um zukünftige Auswertungen zu erleichtern, sollten Beratungs- und Anlaufstellen Beratungsfälle in Anlehnung an die in der Expertise genannten Kategorien dokumentieren. Beratungsstellen benötigen darüber hinaus ausreichende und verlässliche finanzielle Ressourcen.
  • Es wird mehr empirische, vergleichende und interdisziplinäre Forschung zur Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen im Alltag, von Mehrfachdiskriminierungen sowie von betreuten Personen nach § 1896 BGB benötigt.

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