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Diskriminierung
von und wegen Kindern

Eine rechtliche Betrachtung des Jungen Alters

- Steckbrief zum Rechtsgutachten -

Autor*innen: Prof. Dr. Constanze Janda und Mathieu Wagner,
Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer, im Auftrag der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS)
Erscheinungsjahr: 2022

Kurzüberblick

Das Rechtsgutachten untersucht Diskriminierungen und Diskriminierungsrisiken des Jungen Alters im Zivilrechtsverkehr, also dem vom Abschnitt 3 des AGG abgedeckten Bereich des Zugangs zu und der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen. Das Rechtsgutachten trägt aber nicht die Kinderrechte lediglich zusammen, sondern untersucht vielmehr die jeweiligen Normen und deren Rechtsanwendung durch die Gerichte diskriminierungsrechtlich, identifiziert Schutzlücken und unterbreitet Vorschläge, wie diese Schutzlücken geschlossen werden können.

Wichtigste Ergebnisse

Die Benachteiligung aufgrund „jungen Alters“ wurde bisher nicht systematisch untersucht. Dies deutet auf eine unzureichende Wahrnehmung dieser Art von Diskriminierungserfahrungen hin.

Diskriminierungsschutz für Kinder und Eltern

  • Im Völkerrecht

Das Völkerrecht bekennt sich in vielfältiger Weise zu den Rechten von Kindern und Familien. Die Benachteiligung von Kindern im Zivilrechtsverkehr steht jedoch nicht im Fokus. Die Rechte des Kindes und der Familie werden als Freiheit von Eingriffen in die innerfamiliäre Binnenorganisation gewährleistet und die staatliche Verantwortung für angemessene Lebensbedingungen betont. Für das Lebensalter lässt sich dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte (IPbpR), dem Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (IPwskR) wie auch der UN-KRK ein Rechtssetzungsauftrag zur Verhinderung von Benachteiligungen entnehmen. Damit würde Kindern nicht zuletzt die nach der UN-KRK gebotene freie Entfaltung ihrer Persönlichkeit und der Schutz ihrer Rechte und Freiheiten ermöglicht und ihrem Recht auf Entwicklung aus Art. 27 UN-KRK entsprochen. Im Hinblick auf die Elternschaft lassen sich dem Völkerrecht dagegen keine Vorgaben entnehmen.

  • Im EU-Recht

Das Unionsrecht wirkt sich kaum auf die Rechte von Kindern und Jugendlichen aus. Der Schutz vor Diskriminierung wegen des Alters ist weniger ausgeprägt als der Schutz vor rassistischen oder ethnisch motivierten Benachteiligungen sowie solchen wegen des Geschlechts. Die Kategorie „Alter“ schließt zwar auch das junge Alter ein, ist aber nur im Zusammenhang mit dem Zugang zur Beschäftigung geschützt. Den Mitgliedstaaten ist es jedoch unbenommen, in ihrem nationalen Recht weitere Diskriminierungskategorien zu verankern oder deren sachlichen Anwendungsbereich zu erweitern.

  • Im Grundgesetz

Auch dem Grundgesetz lässt sich kein verpflichtender Auftrag zum Diskriminierungsschutz von Kindern und Jugendlichen bzw. Eltern im Zivilrechtsverkehr entnehmen. Entsprechende Regelungen wären verfassungsrechtlich, wenngleich nicht zwingend geboten, jedoch zulässig und lassen sich insbesondere mit den staatlichen Schutzpflichten für Familien aus Art. 6 Abs. 1 GG rechtfertigen.

  • Im AGG

Nach der Systematik des AGG sind Benachteiligungen wegen des Lebensalters im Zivilrechtsverkehr bereits jetzt unzulässig. Werden Eltern wegen des Vorhandenseins von Kindern benachteiligt, liegt eine assoziierte Benachteiligung wegen des Lebensalters vor.

Benachteiligung von und wegen Kindern im Zivilrechtsverkehr

  • Zugang zu Wohnraum, Gastronomie, Hotels und Vereinen

Diskriminierungen von und wegen Kindern im Hinblick auf den Zugang zu Wohnraum, Gastronomie und Beherbergungsbetriebe knüpfen in aller Regel an das Alter der Kinder bzw. Jugendlichen an. Bestimmten Lebens- und Entwicklungsphasen werden damit stereotyp negative Eigenschaften zugeschrieben – bei Klein- und Kleinstkindern bezieht sich dies auf lautes und unkontrolliertes Lärmen und erhöhten Bewegungsdrang beim Spiel, bei Jugendlichen auf „pubertäres Verhalten“. Solche Vorurteile begründen jedoch keine sachliche Rechtfertigung – auch nicht vor dem Hintergrund der unternehmerischen Freiheit, die Anbieter*innen von Gütern und Dienstleistungen grundsätzlich erlaubt, ihre Zielgruppen selbst zu definieren.

Im Vereinsrecht ist der Diskriminierungsschutz dagegen weniger stark ausgeprägt. Ein Aufnahmezwang besteht nur im Falle einer monopolartigen Stellung des Vereins und eines erheblichen Interesses der benachteiligten Person an der Mitgliedschaft.

  • Zugang zur Kindertagesbetreuung

Einrichtungen der Kinderbetreuung sind nicht nur für die Entwicklung von Kindern von Bedeutung, die Verfügbarkeit von Betreuungsplätzen wirkt sich auch auf die Vereinbarkeit der Sorgearbeit mit der Erwerbstätigkeit der Eltern aus. Der Abschluss eines Betreuungsvertrags darf daher nur in eng umgrenzten Ausnahmefällen verweigert werden. Einziges zulässiges Kriterium ist die Anknüpfung an das Alter im Hinblick auf den Betreuungsschlüssel. Das AGG ist grundsätzlich auch in der Tagespflege anwendbar, sofern diese nicht so familiär ausgestaltet ist, dass sie der Privatsphäre der Anbieter*innen zuzuordnen ist. Auch Beschwerdeverfahren in der Kinderbetreuung müssen diskriminierungsfrei ausgestaltet werden.

  • Autonomie von Kindern

Das Gebot der Achtung der Autonomie von Kindern betrifft auch deren Behandlung im Krankheitsfall. Es ist nicht eindeutig zu beantworten, ob die Einbeziehung der Eltern in die Entscheidung nachteilig oder vorteilhaft ist, auch wenn dies dem geäußerten Willen einer*eines Minderjährigen zuwiderläuft. Die damit verbundenen Rechtsfragen sind jedoch eher im Familienrecht als im Antidiskriminierungsrecht zu verorten.

  • Besondere Preisgestaltungen für Kinder / Familien

Das Angebot von Sondertarifen für Kinder, Schüler*innen und Studierende oder auch für Familien ist sozialadäquat. Die Bevorzugung wegen des Alters durch Preisnachlässe oder sonstige Vergünstigungen bei Massengeschäften stellt einen „klassischen Fall“ des § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AGG dar.

Handlungsoptionen

  1. Der Begriff des Alters in § 1 AGG sollte durch den Begriff „Lebensalter“ oder eine Formulierung wie „junges ebenso wie hohes Alter“ ersetzt werden. Mit einer solchen Klarstellung würden Benachteiligungen von jüngeren Menschen sichtbar gemacht.
  2. Eine Erweiterung des Tatbestands des § 1 AGG um die Kategorien „Elternschaft“ oder „familiärer Status“ ist hilfreich, würde sich aber vor allem im Arbeitsrecht auswirken. Sie sollte so ausgestaltet werden, dass alle Familienkonstellationen ungeachtet der sexuellen Identität und des familienrechtlichen Elternstatus vor Benachteiligungen geschützt werden.
  3. Neben der expliziten Regulierung intersektionaler Benachteiligungen, etwa in § 4 AGG, ist eine Klarstellung in § 3 AGG geboten, dass auch assoziierte Benachteiligungen in den Anwendungsbereich des Gesetzes fallen.
  4. Auch eine Regelung zur Anspruchsinhaberschaft bei Benachteiligungen im Kontext von Verträgen zugunsten Dritter wäre wünschenswert.

Die Verankerung des Diskriminierungsschutzes von Kindern, Jugendlichen und Eltern im AGG würden nicht nur der UN-KRK gerecht, sie böte Verlässlichkeit und Rechtssicherheit und hätte überdies Signalwirkung für eine kinderfreundliche Gesellschaft.

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