Beispiele Guter Praxis zur Prävention und Intervention von sexueller Belästigung im Arbeitsleben
Methodisches Vorgehen und Befunde
- Steckbrief zum Forschungsprojekt -
Autor*innen: Barbara Nägele, Nils Pagels und Filiz Berger (Zoom – Sozialforschung und Beratung GmbH, Göttingen) im Auftrag der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) Erscheinungsjahr: 2021
Kurzüberblick
Das AGG schützt umfassend vor sexueller Belästigung in Beschäftigung und Beruf (§ 3 AGG, Abs. 4). Gleichzeitig ist sexuelle Belästigung im Arbeitsleben immer noch ein ernst zu nehmendes Problem.
Immer mehr private Unternehmen und öffentliche Arbeitgeber setzen sich aktiv dafür ein, ihre Beschäftigten vor sexueller Belästigung im Arbeitsumfeld zu schützen.
Im Rahmen der Studie wurden im Zeitraum 2020/2021 bei Arbeitgebern im gesamten Bundesgebiet Beispiele Guter Praxis gegen sexuelle Belästigung im Arbeitsleben recherchiert. Aus 120 identifizierten Guten Beispielen wurden 25 ausgewählt, die vertieft analysiert wurden. Der Studienbericht geht zum einen auf das methodische Vorgehen bei der Recherche, der Auswahl und der Analyse der Beispiele Guter Praxis ein und stellt Auswahlkriterien, Qualitätsanforderungen und eine Bedarfsabfrage zukünftiger Nutzer*innen einer solchen Beispielsammlung vor.
Zum anderen werden die folgenden übergreifenden Befunde herausgearbeitet:
- Was sind Motivationen für Arbeitgeber, Maßnahmen gegen sexuelle Belästigung zu ergreifen?
- Welche Ansätze der Prävention und Intervention wählen sie und wie werden sie in unterschiedlichen Branchen und Betriebsstrukturen umgesetzt?
- Welche übergreifenden Erkenntnisse zur Wirksamkeit, Qualität und Übertragbarkeit der Maßnahmen gibt es?
Eine vertiefte Analyse von 25 Beispielen beschreibt jeweils die Motivation der Unternehmen, wie die Maßnahme umgesetzt wird, beleuchten die Einbettung und Wirksamkeit der jeweiligen Maßnahme und geben Tipps für die Übertragung.
Wichtigste Ergebnisse
Ergebnisse der Bedarfsabfrage unter Unternehmen, Verbänden und Multiplikator*innen
Immer noch zu viele Unternehmen haben keine ausreichenden Strategien zum Umgang mit sexueller Belästigung. Insbesondere in kleineren und mittleren Betrieben würden kaum Aktivitäten gegen sexuelle Belästigung stattfinden. Grundsätzlich handle es sich um ein Tabuthema. Auch dass sexuelle Belästigung nach § 3 AGG unter den Geltungsbereich des AGG fällt, sei wenigen bewusst. Häufig setzten sich Betriebe und Organisationen mit dem Thema "sexuelle Belästigung" erst dann aktiv auseinander, wenn es zu konkreten Vorfällen von sexueller Belästigung und damit verknüpft zu negativen Folgen für das Unternehmen, wie z.B. Kündigungen kommt.
Anreize für eine Auseinandersetzung mit dem Thema sind:
- Öffentliche Debatten und allgemeine gesellschaftliche Sensibilisierung, wie z.B. #Metoo.
- themenbezogene Kampagnen und Ansprache von außen, z.B. Ministerien, Kammern, Gewerkschaften
- AGG und gesetzliche Verpflichtung der Arbeitgeber
- Fürsorgepflicht, konzeptionelle Einordnung im Bereich Arbeits- und Gesundheitsschutz
- positive Effekte und Nutzen für Betriebe, z.B. verbessertes Betriebsklima und einen geringeren Krankenstand
- Positives Labeling des Unternehmens
- Aktive Akteur*innen im Unternehmen fördern die Thematik
Ergebnisse der übergreifenden Befunde der Recherche und vertieften Analysen der Beispiele
Oftmals wird in einem Unternehmen nicht nur eine Maßnahme umgesetzt, denn Maßnahmenbündel oder Gesamtstrategien entfalten eine höhere und nachhaltigere Wirksamkeit. Arbeitgeber suchen passgenau Maßnahmen, die eng an ihrem Arbeitskontext und ihrer Betriebskultur ansetzen.
Sie ordnen Maßnahmen gegen sexuelle Belästigung unter unterschiedliche inhaltliche Rahmen ein:
- AGG und Gewährleistung eines diskriminierungsfreien Arbeitsumfelds
- Gleichstellung/Frauenförderung und Kampf gegen Sexismus und Gewalt gegen Frauen
- Sexueller Missbrauch von Schutzbefohlenen
- Diversity-Maßnahmen
- Gutes Betriebsklima und Umgang mit Konflikten
- Arbeits-, Gesundheitsschutz und Gefährdungsmanagement
- Schutz vor Gewalt und Bedrohungsmanagement
- Compliance
Im Zuge der Recherche wurden etwa 120 Beispiele aus Unternehmen und Organisationen identifiziert. Die meisten Beispiele kommen aus dem öffentlichen Dienst, d.h. aus Bundes- und Landesverwaltungen sowie Kommunen. Ebenfalls stark vertreten sind Universitäten und (Universitäts-)Kliniken. Relativ stark vertreten sind auch Einrichtungen aus dem Bereich Theater und Film. Aus der Überblickrecherche wurden 25 Beispiele ausgewählt und vertieft analysiert.
Aus bestimmten Branchen (Handwerk, Einzelhandel, Hotel- und Gaststättengewerbe) und von kleineren Unternehmen konnten keine Beispiele gefunden werden. Klein- und Kleinstunternehmen verfügen über eine nur geringfügig ausdifferenzierte Unternehmensstruktur. Differenzierte Zuständigkeiten im Personalwesen und Mitarbeiter*innenvertretungen sind aber häufig die Voraussetzungen für die Entwicklung von entsprechenden Maßnahmen. Als Forschungsbedarf zeichnet sich die Frage ab, wie in Kleinst- und Kleinbetrieben mit Fällen sexueller Belästigung umgegangen wird und welche Möglichkeiten der Prävention und Intervention hier möglich wären - auch unter Prüfung des Potenzials einrichtungsübergreifender Ansätze.
Handlungsoptionen
Bundesweit gibt es zahlreiche modellhafte und übertragbare Handlungsmöglichkeiten in der Prävention, Intervention von und Sensibilisierung bei sexueller Belästigung am Arbeitsplatz. Die Handlungsansätze eignen sich sowohl für private Unternehmen, für gemeinnützige Organisationen als auch für den öffentlichen Dienst sowie verschiedene Branchen und Betriebsgrößen.
Vielfältige vorbildhafte Maßnahme der Prävention und Intervention gibt es aus den Bereichen:
- Leitlinien und Verhaltenskodizes
- Fortbildungen und Schulungen
- Informations- und Sensibilisierungsaktivitäten
- Beratung und Unterstützung von Betroffenen
- Dienst- oder Betriebsvereinbarungen
- Mitarbeiter*innenbefragungen
- Gefährdungsbeurteilungen
- Bedrohungsmanagement
- Auditierung