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Diskriminierungserfahrungen von fürsorgenden Erwerbstätigen

im Kontext von Schwangerschaft, Elternzeit und Pflege von Angehörigen

- Steckbrief zum Forschungsprojekt -

Autor*innen: Sören Mohr, Johanna Nicodemus, Evelyn Stoll, Ulrich Weuthen und Dr. David Juncke (Prognos AG), im Auftrag der Antidiskriminierungsstelle des Bundes Erscheinungsjahr: 2022

Kurzüberblick

Die Studie widmet sich den Fragen, wie häufig und in welcher Form Fürsorgeleistende Diskriminierung im Arbeitskontext erfahren, wie sie darauf reagieren, welche Auswirkungen die Erfahrungen auf die Betroffenen haben und welche Unterstützung sie benötigen. Zudem benennt die Studie Handlungsfelder, in denen angesetzt werden müsste, um Diskriminierungsrisken von fürsorgeleistenden Erwerbstätigen abzubauen.

Dazu wurden zunächst Interviews mit Expert*innen und Fokusgruppen mit Eltern und Pflegepersonen durchgeführt. Auf deren Grundlage wurde eine Online-Befragung unter 2.500 Eltern mit jüngstem Kind unter 7 Jahren und 504 Personen, die regelmäßig Angehörige pflegen, realisiert. Befragt wurden Personen, die zum Zeitpunkt der Erhebung oder innerhalb der letzten sechs Jahre während einer der interessierenden Phasen (Schwangerschaft/vor Geburt des Kindes, Mutterschutz/Elternzeit, nach Rückkehr aus Mutterschutz/Elternzeit, während der Pflege von Angehörigen) erwerbstätig waren. Die Rekrutierung der Befragten erfolgte unter Mitgliedern des Payback Online-Panels auf Basis einer Quotenstichprobe. Die Erhebung fand im Zeitraum von 8. Juni bis 17. Juli 2021 statt.

Wichtigste Ergebnisse

Ausmaß und Formen von Diskriminierungserfahrungen

Differenziert nach den unterschiedlichen Phasen, berichten insgesamt 56 Prozent der Eltern von mindestens einer negativen Erfahrung im Zusammenhang mit der Schwangerschaft. In dieser Phase sind deutlich mehr Mütter (72 %) als Väter (44 %) betroffen. Geschildert werden zum einen Formen sozialer Herabwürdigung: 29 Prozent der Mütter und 16 Prozent der Väter machten beispielsweise die Erfahrung, dass Vorgesetzte ihnen weniger zugetraut haben. 25 bzw. 14 Prozent mussten sich abfällige Kommentare auf die Bekanntgabe der Schwanger- bzw. bevorstehenden Elternschaft gefallen lassen. Zum anderen wurden Erfahrungen mit Formen materieller Benachteiligung gemacht, wenn zum Beispiel Beförderungen gestrichen oder auf Eis gelegt werden (Mütter: 26 %; Väter: 14 %). Insgesamt knapp vier von zehn Müttern (39 %) berichten in dieser Phase zudem von mindestens einer negativen Erfahrung in Zusammenhang mit dem Mutterschutz.

Bei der Anmeldung der Elternzeit berichten Väter häufiger als Mütter von negativen Erfahrungen. Sie erleben häufiger abfällige oder negative Kommentare von Vorgesetzten bei der Bekanntgabe der Elternzeit (Väter: 30 %; Mütter: 24 %). Ebenso fühlen sich mehr Väter (19 %) als Mütter (11 %) unter Druck gesetzt, keine Elternzeit zu nehmen oder den Umfang zu überdenken.

Nach Rückkehr aus der Elternzeit machen 62 Prozent der befragten Eltern mindestens eine negative Erfahrung am Arbeitsplatz (Mütter: 69%; Väter: 48 %). Dabei setzen sich sowohl Erfahrungen der Herabwürdigung als auch der materiellen Benachteiligung, die Eltern bereits während der Schwangerschaft bzw. vor Geburt des Kindes am Arbeitsplatz erleben, fort. Daneben wurden für diese Phase Situationen abgefragt, die unter die Kategorie mangelnder Familienfreundlichkeit gefasst werden: Hierbei berichten Eltern insbesondere, dass ihnen flexible Arbeitszeiten (Mütter: 30 %, Väter: 17 %) und/oder Homeoffice bzw. mobiles Arbeiten (Mütter: 26 %, Väter: 20 %) nicht oder nicht im gewünschten Umfang gestattet wurde.

Von den befragten Pflegepersonen berichten insgesamt 48 Prozent von mindestens einer negativen Erfahrung am Arbeitsplatz, wobei hier die Unterschiede zwischen den Geschlechtern weniger stark ausfallen als bei den Eltern. Mit Blick auf Formen der sozialen Herabwürdigung fühlen sich relativ viele Pflegepersonen von wichtigen Informationen und Entscheidungen ausgegrenzt (Frauen: 18 %, Männer: 20 %). Auch fehlende Rücksichtnahme auf Pflegeaufgaben bei der Terminierung von Sitzungen durch Vorgesetzte spielt eine Rolle (Frauen: 16 %, Männer: 19 %). Im Bereich der materiellen Benachteiligung wurde das Ausbleiben von Gehaltserhöhungen (Frauen: 15 %, Männer: 17 %) sowie die schlechtere Leistungsbewertung (Frauen: 12 %, Männer: 16 %) am häufigsten genannt.

Manche Eltern und Pflegende haben Erfahrungen des Arbeitsplatzverlustes im Zusammenhang mit der Schwangerschaft, Elternzeit, Kinderbetreuung bzw. der Pflege von Angehörigen gemacht. Hiervon sind insbesondere befristet Beschäftigte betroffen. Bei den Eltern gab von diesen Befragten fast die Hälfte der Mütter und 15 Prozent der Väter an, dass in einer der betrachteten Phasen ihr Arbeitsvertrag nicht verlängert bzw. nicht entfristet wurde.

Neben Erfahrungen mit solchen konkreten Einzelsituationen wurden die Eltern und Pflegepersonen auch gefragt, ob sie sich nach eigenem Empfinden im Arbeitsleben diskriminiert gefühlt haben: 41 Prozent der Eltern (Väter: 31 %; Mütter: 49 %) und 27 Prozent der Pflegenden geben an, mindestens einmal aufgrund der Elternschaft oder Kinderbetreuung bzw. der Pflege von Angehörigen diskriminiert worden zu sein. Dabei besteht ein starker Zusammenhang zwischen der Frage nach der Wahrnehmung von Diskriminierungserfahrungen und dem Erleben negativer Einzelerfahrungen. So geben von den Eltern, die von mindestens einer negativen Erfahrung berichten, rund zwei Drittel an, sich aufgrund der Elternschaft und/oder Schwangerschaft schon mal diskriminiert gefühlt zu haben.

Die Ergebnisse der Fokusgruppen und der Expert*innen-Interviews decken sich weitgehend mit den Ergebnissen der Umfrage und weisen auf eine Vielzahl unterschiedlicher Diskriminierungserfahrungen im Kontext von Elternschaft, Schwangerschaft und der Pflege von Angehörigen hin.

Reaktionen auf Diskriminierungserfahrungen

Bei den Reaktionen auf Diskriminierungserfahrungen zeigen sich bei den Eltern deutliche Unterschiede zwischen den Geschlechtern: Mütter wenden sich häufiger an Freunde, Bekannte oder die Familie, während Väter häufiger das Gespräch mit Vorgesetzten oder Führungskräften, dem Betriebs-/Personalrat oder Gewerkschaften suchen. Rund ein Viertel der Eltern hat nichts unternommen.

Bei den Pflegenden zeigt sich ein ähnliches Bild wie bei den Eltern, wobei sich Pflegepersonen häufiger an eine Stelle außerhalb des Unternehmens wenden als Eltern. Wiederum ein knappes Viertel der Befragten hat nicht darauf reagiert (23 %).

Auswirkungen von Diskriminierungserfahrungen

Eltern und Pflegepersonen mit Diskriminierungserfahrungen berichten deutlich häufiger von negativen Auswirkungen auf verschiedene Bereiche als Befragte ohne diese Erfahrungen. Von den Eltern mit Diskriminierungserfahrungen geben mindestens die Hälfte negative Auswirkungen auf ihre finanzielle Situation, die Work-Life-Balance und/oder ihre Karriere- bzw. Aufstiegsmöglichkeiten an. Pflegende berichten insbesondere von negativen Auswirkungen auf ihre Gesundheit.

Zudem weisen Personen mit Diskriminierungserfahrungen in allen abgefragten Bereichen eine deutlich niedrigere Zufriedenheit auf als Befragte ohne Diskriminierungserfahrungen. Am größten fallen sowohl bei den Eltern als auch bei den Pflegepersonen die Differenzen im Bereich der Arbeit insgesamt sowie bei der Beziehung zu Vorgesetzten oder Führungskräften aus.

Einschätzung der Unternehmenskultur und Unterstützungsbedarfe

46 Prozent der Eltern und 42 Prozent der Pflegepersonen sind der Auffassung, dass man in ihrem Unternehmen nur etwas werden kann, wenn man auch außerhalb der Arbeitszeiten für berufliche Belange zur Verfügung steht. Jeder dritte Elternteil und jede vierte Pflegeperson befürchtet Benachteiligungen bei der Vergabe von interessanten Aufgaben, wenn familienfreundliche Maßnahmen in Anspruch genommen werden. Eltern geben mit 39 Prozent etwas seltener als Pflegepersonen (46 %) an, dass ihr derzeitiger Bedarf an entsprechenden Maßnahmen im Unternehmen gedeckt ist.

Zur Verbesserung der Vereinbarkeit und zum Schutz vor Diskriminierung hat die Flexibilisierung der Arbeitsorganisation für die Befragten den höchsten Stellenwert. Zudem erachten die meisten Eltern (67 %) und Pflegepersonen (54 %) einen verbesserten rechtlichen Diskriminierungsschutz als eine wichtige Maßnahme.

Handlungsoptionen

Um die juristische Handhabe für Eltern und Pflegepersonen im Diskriminierungsfall zu stärken, empfehlen die Autor*innen das Merkmal „familiäre Fürsorgeverantwortung“ als Schutzgrund in § 1 AGG zu ergänzen. Um weitere Schutzlücken zu schließen, wird zudem eine Erweiterung des besonderen Kündigungsschutzes auf einen gewissen Zeitraum nach Rückkehr aus der Elternzeit angeregt.

Diskriminierungserfahrungen im Kontext von familiärer Fürsorgeverantwortung stehen in engem Zusammenhang mit den Rahmenbedingungen für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie bzw. Pflege. Deshalb sollte der von der Familienpolitik eingeschlagene Weg zum Ausbau der Kinderbetreuungsinfrastruktur konsequent fortgesetzt werden. Zudem wird empfohlen, die Familienpflegezeit zu einer Lohnersatzleistung weiterzuentwickeln und ihr zu einem ähnlichen Bekanntheitsgrad und zu vergleichbarer Akzeptanz wie Elterngeld und Elternzeit zu verhelfen.

Neben der Politik schaffen Unternehmen die konkreten Bedingungen für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Arbeitgeber sollten daher Tarifverträge so ausgestalten, dass sie die Vereinbarkeit von beruflicher Tätigkeit, Familien und Angehörigenbetreuung unterstützen. Ebenso sollten in Betriebsvereinbarungen Regelungen sowohl zur Prävention und Intervention bei Diskriminierung als auch im Hinblick auf die Förderung der Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Pflege getroffen werden.

Zusätzlich sollten die Regelungen der §§ 12 und 13 AGG in den Unternehmen systematisch umgesetzt werden. Dazu zählen u. a. Maßnahmen zum Schutz vor Benachteiligungen (z. B. vorbeugende Maßnahmen wie Schulungen oder die Ahndung von Verstößen) sowie die Umsetzung eines Beschwerderechts.

Der Antidiskriminierungsstelle des Bundes wird empfohlen, über eine Kampagne offensiver als bisher das Thema Diskriminierung von Erwerbstätigen mit familiärer Fürsorgeverantwortung zu adressieren. Ergänzend kann die Antidiskriminierungsstelle strategische Partnerschaften mit Verbänden schließen, um dem Thema Aufmerksamkeit zukommen zu lassen und um an gemeinsamen Lösungsansätzen zu arbeiten.

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