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Mindeststandards zur Dokumentation von Antidiskriminierungsberatung

- Steckbrief zum Forschungsprojekt -

Autor*innen: Sophia Aalders, Camille Ionescu, Steffen Beigang, im Auftrag der Antidiskriminierungsstelle des Bundes Erscheinungsjahr: 2022

Kurzüberblick

Im Rahmen eines partizipativen Austauschprozesses mit Antidiskriminierungsberatungsstellen wurden vom DeZIMDeutsches Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung-Institut Mindeststandards zur Dokumentation von Beschwerden und Beratungsanfragen im Bereich der Antidiskriminierungsberatung entwickelt. Die Mindeststandards können Antidiskriminierungsberatungsstellen beim Aufbau und der Weiterentwicklung ihrer Dokumentation unterstützen, aber auch eine Grundlage für die Zusammenführung von Daten aus der Antidiskriminierungsberatung über verschiedene Stellen hinweg bieten. Bei der Entwicklung der Mindeststandards wurden bereits bestehende Dokumentationssysteme berücksichtigt, von denen einige im Bericht zu den Mindeststandards als Best-Practice Beispiele vorgestellt werden.

Da die Standards universell einsetzbar sein sollen, wurden Abstufungsmöglichkeiten im Detailierungsgrad für verschiedene Beratungs-, Dokumentations- und Beschwerdestellen integriert.

Anhand verschiedener Fallbeispiele aus der Praxis der Antidiskriminierungsberatung, stellen die Autor*innen dar, wie die Mindeststandards in der Praxis angewandt werden können. Der Bericht geht auch auf die verschiedenen praktischen Herausforderungen und die zusätzlichen Bedarfe, die bei der Dokumentation von Beratungsanfragen entstehen und mit der Anwendung der Mindeststandards einher gehen können, ein.

Wichtigste Ergebnisse

Ziel der Dokumentation von Beratungs- und Beschwerdefällen

Die Dokumentation von Beratungs- und Beschwerdefällen ist einerseits in der Beratungspraxis notwendig, um alle Informationen über einen laufenden Beratungsfall greifbar zu haben. Zugleich kann ein Archiv von Beratungsfällen Hinweise darauf bieten, welche Strategien und Handlungsoptionen in einer Fallkonstellation zur Verfügung stehen und welche sich als besonders wirkungsvoll erweisen. Andererseits kann auf der Basis einer Dokumentation auch öffentlichkeitswirksam auf Entwicklungen bei Diskriminierungen hingewiesen werden. Nicht zuletzt sind solche Statistiken vielfach auch für die Mittelgeber*innen relevant. Auch für weitere Forschung zu Diskriminierung könnten standardisiert dokumentierte Beratungsdaten eine ergänzende Datenbasis darstellen. Alle diese unterschiedlichen Zielsetzungen von Dokumentation müssen zusammen gedacht werden.

Mindeststandards der Dokumentation

Die hier entstandenen Mindeststandards sollen bereits bestehende Systeme der Dokumentation von Antidiskriminierungsberatung nicht ersetzen. Sie können sowohl ergänzend angewendet werden als auch zur Inspiration für die Erstellung eines individuellen Systems, welches mit den Mindeststandards kompatibel ist, dienen. Zudem bieten inhaltliche und methodische Mindeststandards für die Dokumentation von Beratungs- und Beschwerdefällen die Chance, Daten von verschiedenen Beschwerde- und Beratungsstellen zusammenzuführen.

Bei der Erarbeitung der Mindeststandards wurden drei Bewertungskriterien zugrunde gelegt: Die einzelnen Kategorien der Dokumentation müssen erstens einer Anonymisierung gerecht werden. So kann es beispielsweise im ländlichen Raum notwendig sein, den Ort der Diskriminierung weiter zu fassen, damit dieser keine Rückschlüsse auf betroffene Personen zulässt. Zweitens müssen die gewählten Kategorien eine eindeutige Analysekraft aufweisen. Für die Analysekraft ist auch ein gemeinsames Verständnis der Kategorien notwendig. Schließlich ist drittens die Handhabbarkeit der Kategorien und des gesamten Dokumentationssystems ein wichtiges Bewertungskriterium bei der Entwicklung der Mindeststandards.

Die Mindeststandards sind in sieben übergeordnete Themenbereiche aufgeteilt:

  1. Offene Fallbeschreibung mit Gliederungsfragen
  2. Diskriminierungsmerkmal (AGG geschützte Merkmale und weitere Merkmale)
  3. Lebensbereich (Umfeld in dem die Diskriminierung stattfindet)
  4. Diskriminierungsform (Diskriminierungsformen im AGG und darüber hinaus)
  5. Verursacher*innen und verursachende Mechanismen von Diskriminierung
  6. Beratungsverlauf (Zeitpunkt der Diskriminierung, Ort der Diskriminierung, Schritte in der Beratung, Reflexion des Beratungsprozesses)
  7. Soziodemografische Daten

Die Themenbereiche sind jeweils in zwei bis drei weitere Ebenen mit Kategorien bzw. Unterkategorien unterteilt, über welche die Informationen genau erfasst werden können. Die erste oberste inhaltliche Ebene stellt dabei ein Minimum für eine systematische Falldokumentation von Antidiskriminierungsberatung dar. Ziel ist es, dass alle Dokumentationen Daten in einer Weise erheben, dass sie zumindest auf der oberen Ebene zusammengeführt werden können.

Beispielfälle

Anhand von fünf verschiedenen Beispielfällen wird die praktische Anwendung der Dokumentation anhand komplexerer Fälle dargestellt. Zu jedem Fall werden Herausforderungen und Vorschläge zur Zuordnung im Kategoriensystem gemacht.

Folgende Herausforderungen für die Dokumentation von Beratungsfällen werden erörtert:

  • Intersektionalität: Wie kann in der Falldokumentation mit Mehrfachdiskriminierung sowie mit intersektionaler Diskriminierung umgegangen werden?
  • Nicht-AGG-Diskriminierung: Wie kann ein Fall eingeordnet werden, wenn es sich um eine Diskriminierung handelt, die nicht AGG-relevant ist, das heißt bei der nicht nach dem AGG vorgegangen werden kann?
  • Diskriminierung durch verschiedene Ebenen: Wie kann mit Fällen in der Dokumentation umgegangen werden, in denen eine Beschwerde des Betroffenen oder einer unterstützender Organisationen bei der verursachenden Stelle ignoriert wird?
  • Institutionelle Diskriminierung: Wie können Fälle dokumentiert werden, in denen die Diskriminierung von der hintergründigen Struktur einer Institution ausgeht bzw. gesetzliche Grundlagen die Basis der Diskriminierung darstellen?
  • Kooperation mit anderen Akteur*innen: Wie ist mit einem Fall umzugehen, in welchem sich nicht eine selbst von Diskriminierung betroffene Person an die Beratungsstelle wendet, sondern eine die betroffene Person unterstützende Organisation sich an die Beratung wendet?

Die beispielhafte Dokumentation verschiedener Fälle zeigt, dass die Zuordnung von Fällen schwierig sein kann, es aber immer eine Lösung durch die Kombination verschiedener Optionen gibt (freie Fallbeschreibung, Tabellenoptionen, offene Angaben).

Herausforderungen für die Praxis der Dokumentation

Bei der Dokumentation von Beratungsanfragen und Beratungsprozessen in der Antidiskriminierungsberatung entsteht ein zeitlich als auch personell zusätzlicher Aufwand, für den häufig kaum ausreichend Ressourcen vorhanden sind. Um einen gemeinsamen Qualitätsstandard bei der Dokumentation von Beratungsfällen einzuhalten, bedarf es zusätzlicher interner Besprechungen sowie eines gleichen Verständnisses der Kategorien, dass zwischen allen Berater*innen hergestellt werden muss. Der regelmäßige Austausch zu Schwierigkeiten und Herausforderungen bei der Dokumentation von Beratungsfällen, kann dazu dienen die Dokumentation als lernendes System aufrecht zu erhalten, weiterzuentwickeln und Daten generalisierbar zu machen. Weiterer Unterstützung bedarf es laut den Autor*innen ebenfalls bei der technischen Umsetzung der Dokumentation. Dies betrifft den Umgang und die Ausstattung mit Hard- und Software. Besonders wichtig ist dabei in der Praxis die Einhaltung des Datenschutzes, insbesondere im Rahmen der freien Fallbeschreibung.

Handlungsoptionen

Aus den Praxisherausforderungen (Kapitel 7) und den Diskussionen in den Expert*innenworkshops lassen sich drei zentrale Handlungsempfehlungen ableiten:

  1. Für die Weiterentwicklung der Mindeststandards zur Dokumentation von Antidiskriminierungsberatungen empfiehlt sich deren regelmäßige Evaluation. Wie beschrieben sollten die Standards als lernendes System verstanden werden, welches sowohl durch den Austausch innerhalb einzelner Beratungsstellen und über Beratungsstellen hinweg als auch durch eine externe Evaluation regelmäßig geprüft und aktualisiert werden sollte.
  2. Aus den Praxisherausforderungen ist außerdem deutlich geworden, dass die Beratungsstellen für die Umsetzung, Abstimmung und Auswertung der Dokumentation entsprechende Ressourcen benötigen. Die Dokumentation muss dabei sowohl als Teil des Beratungsprozesses sowie auch als Gegenstand weiteren Austauschs über die Beratungssituation hinaus gesehen werden.
  3. Auch sollte das aufgezeigte Potential der gesammelten Beratungsdaten genutzt und diese entsprechend ausgewertet werden.

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