Möglichkeiten der Rechtsdurchsetzung des Diskriminierungsschutzes
bei der Begründung, Durchführung und Beendigung zivilrechtlicher Schuldverhältnisse.
Bestandsaufnahme, Alternativen und Weiterentwicklung
- Steckbrief zum Forschungsprojekt -
Autor*innen: Steffen Beigang, Friederike Boll, Vera Egenberger, Lisa Hahn, Andreas Leidinger, Dr. Alexander Tischbirek und Defne Tuner Erscheinungsjahr: 2021
Kurzüberblick
Die rechtssoziologische Studie analysiert bestehende Wege der Rechtsdurchsetzung bei Diskriminierungen im Bereich des Zugangs zu und der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen sowie flankierende Maßnahmen wie Öffentlichkeitsarbeit und Schulungen. Dafür wurden Fokusgruppeninterviews und Expert*inneninterviews durchgeführt, Fallstudien erstellt und Ergebnisse mit Expert*innen aus dem Feld reflektiert. Die Analyse bildet die Grundlage für konkrete Handlungsempfehlungen zur Fortentwicklung vorhandener und zur Neuentwicklung weiterer Verfahren und Ansätze der Rechtsdurchsetzung.
Wichtigste Ergebnisse
Beim Zugang zu Waren und Dienstleistungen kann es grundsätzlich zu Diskriminierungen wegen aller im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) geschützten Merkmale und auch nicht gesetzlich geschützter Merkmale kommen. Auch wenn die Rechtsprechung zum Antidiskriminierungsrecht im Bereich Waren und Dienstleistungen in den letzten Jahren deutlich gewachsen ist: Zu Klagen im zivilrechtlichen Bereich des AGG kommt es nur sehr selten und es fehlt deshalb an einer Ausdifferenzierung und Tiefe wie in anderen Bereichen der Rechtsprechung.
Individuelle Rechtsdurchsetzung / strategische Klagen
Die Autor*innen machen deutlich, dass Betroffene im Bereich des Zugangs zu Waren und Dienstleistungen oftmals von einer individuellen Rechtsdurchsetzung in der Form von Klagen Abstand nehmen. Gründe sind ein begrenztes Wissen zum Antidiskriminierungsrecht, verhältnismäßig hohe Hürden der Beweislast, die lange Verfahrensdauer, die begrenzte Anzahl von sachkundigen Anwält*innen im Antidiskriminierungsrecht, unwägbare Kosten und sehr geringe Entschädigungssummen sowie die zweimonatige Ausschlussfrist zur Geltendmachung von Ansprüchen infolge eines Verstoßes gegen das zivilrechtliche Benachteiligungsverbot (§ 21 Abs. 5 S. 1 AGG). Eine Fallstudie zu Diskriminierungen an der Discotür in Hannover zeigt, dass strategische Klagen helfen können, viele dieser Probleme zu überwinden. Die Expertise kommt zudem zum Ergebnis, dass strategische Klagen eine Rechtsfortbildung oder -reform auslösen und die Auslegung materiellen Rechts ändern können.
Kollektive Rechtsdurchsetzung
Die Schwächen der individuellen Rechtsdurchsetzung könnten, so die Autor*innen, durch Instrumente der kollektiven Rechtdurchsetzung überwunden werden, insbesondere dort wo individuell Betroffene entweder nicht auszumachen sind oder kein Interesse daran haben, ihren Einzelfall verhandelt zu sehen. In einer Fallstudie zur Verbandsklage nach dem Verbraucherschutzrecht zu Mitnahmeverboten für E-Scooter im ÖPNV wird deutlich, welches Potential strategische Klagen für Diskriminierungskonstellationen entfalten können. Zwar war die Klage letztendlich nicht erfolgreich, führte aber zu einer politischen Lösung. Gleichermaßen würde eine gewillkürte Prozessstandschaft die Rechtsdurchsetzung für die Betroffenen erleichtern.
Behördliche Rechtsdurchsetzung
Die Analyse der behördlichen Rechtsdurchsetzung, die sich vor allem auf die gewerberechtlichen Diskriminierungsverbote in den Landesgaststättengesetzen von Niedersachsen, Bremen und Thüringen beim Zugang zu Clubs und Gaststätten bezieht, kommt zu dem Schluss, dass diese zwar in der Theorie ein vielversprechender Baustein für eine effektivere Diskriminierungsbekämpfung sein könnte. In der Praxis kam es aber bislang – wie in einer Fallstudie zur behördlichen Rechtsdurchsetzung in der Stadt Hannover gezeigt – zu wenig rechtskräftigen Bußgeldbescheiden, was vor allem auf Schwierigkeiten bei der Sachverhaltsermittlung zurückzuführen ist. So könne aus Sicht der Autor*innen nur bedingt von einer gewünschten verhaltenssteuernden Wirkung der behördlichen Rechtsdurchsetzung im Kontext des Zugangs zu Clubs und Gaststätten ausgegangen werden.
Außergerichtliche Schlichtung
Alternative Rechtsdurchsetzungsverfahren wie die für die Betroffenen freiwillige außergerichtliche Schlichtung schließlich haben aus Sicht der Autor*innen grundsätzlich das Potenzial, Konflikte wegen Diskriminierungen beim Zugang zu Waren und Dienstleistungen niedrigschwellig und nachhaltig zu lösen, sofern sie adäquat ausgestaltet sind. Ein Vorteil der außergerichtlichen Schlichtung ist, dass sie schnell, kostengünstig und unbürokratisch zugänglich ist. Zudem zielt sie auf eine einvernehmliche Streitbeilegung und Erarbeitung eines Kompromisses ab, was häufig auch dem Interesse der Betroffenen entspricht: die Diskriminierung zu beenden, eine Entschuldigung zu erhalten oder das Versprechen der Gegenseite, ein Verhalten in Zukunft zu unterlassen. Schlichtungsmechanismen können aber eine Hürde bei der Rechtsdurchsetzung darstellen, wo von Diskriminierung Betroffene – wie beispielsweise in NRW – zu einem Schlichtungsverfahren rechtlich verpflichtet werden, bevor Ansprüche nach dem AGG überhaupt gerichtlich geltend machen können, was häufig zu einer weiteren Verlängerung des Verfahrens führt. Bisher, so die Autor*innen, entfaltet sich das Potenzial von Schlichtungsverfahren in der Praxis aber kaum, weil die vielfältigen Mechanismen der fragmentierten Schlichtungslandschaft nicht ausreichend für Diskriminierungsfälle sensibilisiert und Beratungsstellen sowie Betroffenen kaum bekannt sind.
Flankierende Maßnahmen
Darüber hinaus betont die Studie, dass flankierende Maßnahmen von Antidiskriminierungsverbänden und -beratungsstellen wie insbesondere Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Zusammenarbeit mit den verschiedenen Verbänden und sonstigen Akteuren, Kampagnen und Informationsarbeit, zwar helfen Diskriminierung im öffentlichen Raum sichtbar zu machen und für das Problem Diskriminierung zu sensibilisieren, jedoch von Diskriminierung Betroffenen allenfalls indirekt zu ihrem Recht verhelfen. Gleichwohl stellen flankierende Maßnahmen in direkter Begleitung zur Rechtsdurchsetzung ein wichtiges und mitunter ausschlaggebendes Instrumentarium dar. Eine solche Arbeit, die zumeist von zivilgesellschaftlichen Verbänden geleistet wird, ist jedoch meist äußerst zeit- und kostenintensiv. Öffentliche Förderungen zivilgesellschaftlicher Organisationen sehen in der Regel eine direkte Förderung flankierender Maßnahmen oder der damit verbundenen Personalkosten nur sehr bedingt vor.
Handlungsoptionen
Stärkung des Rechts
Zur Stärkung des Rechts schlagen die Autor*innen insbesondere vor, den Anwendungsbereich des Abschnitts 3 des AGG zu spezifizieren und das Anrecht auf Barrierefreiheit und angemessene Vorkehrungen im AGG zu verankern. Eine gesetzliche Klarstellung zur möglichen Rechtsfolge eines Kontrahierungszwangs sollte erfolgen, Auskunftspflichten für Anspruchsteller*innen eingeführt und in allen Gaststättengesetzen besondere diskriminierungsschutzrechtliche Vorschriften verankert werden.
Erleichterung der Rechtsdurchsetzung
Um die Rechtsdurchsetzung zu erleichtern, wird insbesondere die Einführung einer Prozessstandschaft und ein Verbandsklagerecht empfohlen. Zudem sollten Testing-Verfahren als Mittel der Beweisführung anerkannt sowie angemessene und abschreckende Sanktionen bei Diskriminierungen im Bereich des Zugangs zu Waren und Dienstleistungen verhängt werden. Als zentrale Empfehlung wird ausgesprochen, bei der Antidiskriminierungsstelle des Bundes eine Ombudsstelle zur Schlichtung von Diskriminierungsbeschwerden anzusiedeln, die unparteiisch Beschwerden annehmen und bearbeiten kann. Bestehende Ombudsstrukturen, wie sie etwa bei Banken, Versicherungen und dem öffentlichen Verkehr bestehen, sollen befähigt werden, Diskriminierungsbeschwerden fachkompetent zu bearbeiten. Diese Schlichtungsverfahren sollten einseitig verpflichtend ausgestaltet werden. Auch wird vorgeschlagen, das Mandat der BGG-Schlichtungsstelle nach § 16 des Gesetzes zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen (BGG) über den engen Anwendungsbereich hinaus auch auf alle privaten Antragsgegner auszuweiten.
Flankierende Maßnahmen und Prävention
Bezüglich der flankierenden Maßnahmen und der Prävention von Diskriminierung wird vorgeschlagen, verstärkt Schulungen zum Diskriminierungsschutz anzubieten und die Curricula der Lehrberufe entsprechend weiterzuentwickeln. Ferner wird eine verstärkte Kooperation zwischen den Fachverbänden, den Interessens- und Berufsverbänden sowie den Verbraucher*innenzentralen empfohlen. Die Förderung staatlicher und zivilgesellschaftlicher Antidiskriminierungsstellen wird als zentraler Baustein für die Verhinderung und Beseitigung von Diskriminierung gesehen. Schließlich wird eine verstärkte Forschung zu Diskriminierungserfahrungen und der Wirksamkeit von Antidiskriminierungsmaßnahmen, insbesondere im Bereich des Zugangs zu Waren und Dienstleistungen, empfohlen.