Diskriminierungserfahrungen in Deutschland
Ergebnisse einer Repräsentativ- und einer Betroffenenbefragung
- Steckbrief zum Forschungsprojekt -
Autor*innen: Steffen Beigang, Karolina Fetz, Dorina Kalkum, Magdalena Otto Erscheinungsjahr: 2017
Kurzüberblick
Die Studie widmet sich der Frage, wie Diskriminierung in Deutschland wahrgenommen und erlebt wird. Dafür wurden umfangreiche quantitative Daten einer telefonischen Repräsentativbefragung und einer Betroffenenbefragung im Mixed-Mode-Design (Online- und Papierfragebogen) sowie qualitative Daten aus Fokusgruppengesprächen und Einzelinterviews ausgewertet. Anhand der Erhebung von Diskriminierungserfahrungen können einerseits Rückschlüsse auf gesellschaftliche Diskriminierungsstrukturen gezogen werden, andererseits lassen sich über diesen Zugang Einblicke in die Betroffenenperspektive gewinnen und Diskriminierungsfälle detailliert sichtbar machen.
Wichtigste Ergebnisse
Wahrnehmung von Diskriminierung
Im Alltag wird eine Situation u.a. dann eher als Diskriminierung wahrgenommen, wenn:
- sich die befragte Person persönlich betroffen fühlt, z.B. weil sie die Gruppenzugehörigkeit teilt, aufgrund derer die Diskriminierung stattfand,
- das Verhalten der Person, von der die Diskriminierung ausgeht, illegitim erscheint oder die Benachteiligung nicht durch Gesetze oder Normen gerechtfertigt ist,
- die betroffene Person als schutzwürdig erscheint, z.B. weil der durch die Diskriminierung verursachte Schaden für die Person sehr groß ist.
Diskriminierungsrisiko
- Das Ausmaß von Diskriminierungserfahrungen in der Bevölkerung in Deutschland unterscheidet sich in Abhängigkeit vom jeweiligen Diskriminierungsmerkmal.
- Dies hängt auch mit dem spezifischen Diskriminierungsrisiko gesellschaftlicher Teilgruppen zusammen. Da beispielsweise Altersdiskriminierung nicht auf bestimmte Altersgruppen begrenzt ist, sind davon vergleichsweise große Teile der Gesellschaft betroffen. Bei anderen Merkmalen zeigt sich dagegen deutlich, dass bestimmte Teilgruppen überdurchschnittlich stark betroffen sind. So berichten z.B. Frauen fast fünfmal so häufig von Diskriminierung aufgrund des Geschlechts wie Männer.
- Manche gesellschaftlichen Teilgruppen haben zudem ein höheres allgemeines Risiko, Diskriminierung über alle erfragten Merkmale hinweg zu erfahren. So machen beispielsweise Personen mit Behinderungen, Beeinträchtigungen oder chronischen Krankheiten im Vergleich zu Personen ohne Beeinträchtigungen deutlich häufiger die Erfahrung von Benachteiligungen – unabhängig von einem bestimmten Merkmal.
- Vielfach berichtet wurde auch von Formen mehrdimensionaler Diskriminierung, also Situationen, bei denen die Betroffenen aufgrund mehrerer Merkmale gleichzeitig Diskriminierung erfahren haben. Dabei ist das Geschlecht die zentrale Querschnittskategorie bei solch mehrdimensionalen Diskriminierungserfahrungen.
Diskriminierungserfahrungen in unterschiedlichen Lebensbereichen
- Am häufigsten wird von Benachteiligungen im Arbeitsleben, in der Öffentlichkeit bzw. Freizeit sowie in Geschäften bzw. im Dienstleistungsbereich Aber auch andere Lebensbereiche, mit denen viele Befragte in ihrem Alltag wohl weit seltener in Kontakt kommen, werden vergleichsweise häufig als Orte von Diskriminierungserfahrungen genannt (z.B. Ämter und Behörden, Bildungsbereich, Wohnungsmarkt).
- Auf Basis der Ergebnisse der Betroffenenbefragung werden Diskriminierungserfahrungen in sieben ausgewählten Lebensbereichen detailliert beschrieben und anhand von Fallbildern illustriert. Für den Bereich des Arbeitslebens werden z.B. als diskriminierend empfundene nicht erfolgte Einstellungen, materielle Benachteiligungen im Rahmen bestehender Beschäftigungsverhältnisse und Mobbingerfahrungen am Arbeitsplatz näher beleuchtet.
- Weitere Analysen und Fallbilder sind zudem für die Lebensbereiche Geschäfte und Dienstleistungen, Wohnungsmarkt, Bildung, Öffentlichkeit und Freizeit, Gesundheit und Pflege sowie Ämter, Behörden und Politik enthalten. Dabei wird jeweils auch erläutert, aufgrund welcher Diskriminierungsmerkmale in welchen Lebensbereichen überdurchschnittlich häufig Diskriminierung erlebt wird und welche Diskriminierungsformen eine herausgehobene Rolle spielen.
Reaktionen auf Diskriminierungserfahrungen
- Insgesamt haben knapp sechs von zehn der von Diskriminierung Betroffenen schon einmal in irgendeiner Weise auf Benachteiligung(en) reagiert: Vergleichsweise viele versuchen, auf die Diskriminierung aufmerksam zu machen; andere gegen die verursachende Person oder Gegebenheit gerichtete Reaktionen wie die Beschwerde bei einer offiziellen Stelle oder das Einleiten juristischer Schritte werden dagegen seltener gewählt.
- Wird auf eine gegen die verursachende Person oder Gegebenheit gerichtete Reaktion verzichtet, sind dafür insbesondere Zweifel hinsichtlich der Wirksamkeit von Maßnahmen, Angst vor negativen Konsequenzen sowie Mangel an notwendigen Ressourcen (fehlendes Wissen sowie finanzielle, zeitliche oder emotionale Ressourcen) ausschlaggebend.
- In vielen Fällen war ein Vorgehen gegen die diskriminierende Person oder Gegebenheit tatsächlich nicht erfolgreich: Nur knapp jede*r Fünfte, die*der etwas gegen die Diskriminierung unternommen hat, berichtet von positiven Konsequenzen (z.B. Entschuldigung, Wiedergutmachung, Bestrafung der verursachenden Person).
Auswirkungen von Diskriminierungserfahrungen
- In der Mehrzahl der Fälle waren die geschilderten Diskriminierungserfahrungen aus Sicht der Betroffenen mit dezidiert negativen Auswirkungen Am häufigsten wurde davon berichtet, dass sich die Befragten durch das immer wiederkehrende Erinnern an die Erfahrung belastet fühlten und dass die betroffene Person in Folge der Erfahrung misstrauischer geworden ist.
- Zudem zeigt sich, dass mutmaßlich besonders drastische Diskriminierungserfahrungen, wie körperliche Übergriffe oder ein Zusammenwirken von materiellen Benachteiligungen und sozialen Herabwürdigungen, häufiger auch mit besonders schwerwiegenden Auswirkungen wie Beeinträchtigungen der psychischen und körperlichen Gesundheit verbunden sind.
Handlungsoptionen
- Gesetzliche Diskriminierungen abschaffen (z.B. diskriminierende Inhalte im Transsexuellengesetz) und Lücken im Diskriminierungsschutz schließen (z.B. Einschränkung von Ausnahmeregelungen wie der sog. „Kirchenklausel“),
- Diskriminierungsschutz innerhalb des AGG ausweiten, z.B. durch Ausweitung des Schutzes auf staatliches Handeln und Prüfung der Aufnahme weiterer Diskriminierungsmerkmale wie etwa sozio-ökonomische Lage oder äußerliches Erscheinungsbild,
- Transparenz als Maßnahme gegen Diskriminierung stärken, z.B. durch Ausweitung des Auskunftsanspruchs gegenüber Arbeitgebern bzgl. der Gehaltsstrukturen,
- Bewusstsein für Diskriminierung schärfen und Antidiskriminierungskultur stärken, z.B. durch Ausbau und Förderung von Anti-Bias-Trainings für Mitarbeitende in Behörden und öffentlichen Einrichtungen,
- bestehende Praxen und Gegebenheiten hinterfragen und auf Diskriminierung prüfen, z.B. durch Abschaffung diskriminierender Formulierungen auf Formularen oder Überprüfung von (räumlichen) Gegebenheiten im Hinblick auf Barrierefreiheit,
- Reaktionsressourcen Betroffener ausweiten (z.B. durch Einführung einer Prozessstandschaft oder eines Verbandsklagerechts) und Diskriminierung stärker sanktionieren,
- Forschung stärken: Mehr und besseres Wissen über Diskriminierung schaffen, z.B. durch ein kontinuierliches Monitoring zum Ausmaß von Diskriminierungserfahrungen.