Christiane Kassama // zu rassismuskritischer Frühbildung 09.12.2021

Quelle:Privat
Schule ohne Rassimus – Schule mit Courage, rassismuskritische Bildung an Hochschulen, Diversity-Trainings oder Selbstverpflichtungen wie die Charta der Vielfalt, sich für ein vorurteilsfreies Arbeitsumfeld einzusetzen: Es gibt sie, wichtige Maßnahmen und Initiativen, die Rassismus erkennen, benennen, sich damit auseinandersetzen und darüber aufklären. Und obwohl gerade der frühkindliche Bildungsbereich als bedeutsam für Prävention gegen Rassismus betrachtet werden kann, sind rassismuskritische Konzepte in der Frühbildung bislang eher die Ausnahme. Dies zu ändern, dafür setzt sich die Schwarze deutsche Pädagogin, Referentin und Kita-Leiterin Christiane Kassama ein.
Drei Fragen
1) Frau Kassama, über Rassismus und Konzepte zur Prävention wurde in den vergangenen Monaten viel gesprochen. Frühkindliche Bildung kam hierbei eher selten vor. Erleben Sie das auch so, dass das Thema übersehen wird? Was müsste sich ändern?
Die Zeitspanne vom ersten bis zum sechsten Lebensjahr ist eine sehr wichtige und prägende Zeit in der Entwicklung eines jeden Kindes. Allgemein hat die frühkindliche Bildung in der deutschen Gesellschaft und Politik nicht den Stellenwert, den sie haben sollte. Kitas sind Bildungseinrichtungen und sollten so auch betrachtet werden. Deshalb wundert es mich natürlich nicht, dass dem Thema der rassismuskritischen Bildungsarbeit in der Kita gesellschaftlich wie auch in der Forschung nicht die nötige Aufmerksamkeit zukommt. Die Kitas sind Bildungseinrichtungen in denen sich Kinder täglich zwischen fünf und zehn Stunden aufhalten. Dort werden sie betreut, gefördert, gebildet, lernen Werte und ihr Menschenbild wird geprägt.
Darum finde ich es wichtig, dass rassismuskritische Bildungsarbeit in der Kita, in die Lehrpläne der pädagogischen Ausbildung an Fachschulen für Sozialpädagogik wie auch in den unterschiedlichen Studiengängen, wie beispielsweise der der frühkindlichen Bildung und in die Erziehungswissenschaft als Thema aufgenommen wird. Angehendes pädagogisches Personal muss für Rassismus sensibilisiert werden und Lehrmethoden für den Praxisalltag in der Kita erlernen.Das Thema Kindeswohlgefährdung und Kinderschutz ist ein fester Bestandteil in allen Kitas und unter diesem gleichen Aspekt sollte auch rassismuskritische Bildungsarbeit konzeptionell verankert sein. Die Kinderrechte stehen für alle Kinder!
2) Was empfehlen Sie einer Kita, die sensibler mit dem Thema Rassismus umgehen möchte? Welche Schritte sollte sie aus Ihrer Sicht gehen?
Entscheidend ist es, sich mit seinen eigenen, oft unbewussten Anteilen von Rassismus auseinanderzusetzen. So wie wir alle nicht frei von Vorurteilen sind, haben wir, die wir in einer weiß geprägten Gesellschaft leben, irgendwelche Formen davon mehr oder weniger verinnerlicht. Rassismus ist erlernt, kann aber auch wieder verlernt werden. Team-Tage sollten auch für rassismuskritische Bildungsarbeit in der Kita genutzt werden.: Dieses hier erlangte Wissen sollte konzeptionell verankert und im pädagogischen Alltag als Selbstverständlichkeit umgesetzt werden. Wichtig dabei ist, immer am Thema zu bleiben. Teams verändern sich (Kolleg*Innenwechsel), weiße Erzieher*Innen entschwinden wieder in ihre "Komfortzone".
Kitas mit einem rassismuskritischen, diversen Konzept geben allen Kindern die Möglichkeit, sich frei zu entfalten und zu entwickeln. Geschultes Personal und Spielmaterial, wie z.B. Geschichten, Bilderbücher, Puzzles, Weltkarten, Puppen, Kreativ-Material, das eine positive, diverse Lebenswelt wiederspiegelt, dient einer positiven, bestärkende Identifikation und Entwicklung in der Kita.
3) Ein Interview von Ihnen in der „Zeit“ hat Wellen geschlagen, stieß aber auch auf Kritik. Viele Menschen hören offenbar ungern, dass Literatur oder Liedgut aus Ihrer Kindheit mitunter einer rassismuskritischen Überprüfung bedarf. Wie gehen Sie mit solchen Widerständen um?
Seit 2018 gebe ich Seminare zu rassismuskritischer Bildungsarbeit und werde auch immer wieder von bspw. Kulturzentren, Museen und Festivals zu Talk-Runden und Interviews zum Thema Rassismus im Kinderbuch eingeladen. Als Schwarze Pädagogin ist es mir wichtig, dass Rassismus im Kinderbuch nicht weiter transportiert werden sollte. Mittlerweile gibt es auch im deutschsprachigen Raum viele schöne Bilderbücher zu den unterschiedlichsten Themen, in denen alle Kinder eine positiv besetzte, diverse, gender-gerechte Welt erleben, in der sie sich wiederfinden können.
Kinderbücher sind Fantasie, Erlebniswelt, Sprache, Bildung, Identität und Geborgenheit. Deshalb sollte Diversität, Rassismussensibilität und Vielfalt eine Selbstverständlichkeit im Kinderbuch sein. Als Pädagogin ist es für mich nicht nachvollziehbar, warum man Kindern rassistisch geprägte Bilderbücher vorlesen sollte. Leider wird in vielen Büchern – übrigens auch in Mainstream-Titeln wie „Pippi Langstrumpf“, Rassismus und Kolonialismus transportiert. Das prägt sich unbewusst in die Welt des Kindes ein – und da frage ich mich schon: Was soll das?