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Lucie G. Veith zu Intergeschlechtlichkeit, Zweigeschlechtertheorie, Diskriminierung und Hoffnung 20.03.2025

Lucie G. Veith

Quelle:prviat

Drei Fragen

1) Präsident Trump will nur noch zwei Geschlechter anerkennen lassen und auch hierzulande gibt es Menschen, die dies befürworten und seine Überzeugung, es gäbe nur zwei Geschlechter, teilen. Was löst das bei Ihnen aus?

Die Aussagen Trumps lösen Stress bei den Menschen aus, die sich nun in Gefahr wähnen. Sie richten sich gegen Menschen und deren Geschlechtervielfalt. Welche positiven Effekte eine solche diskriminierende Maßnahme haben soll, erschließt sich mir nicht. Sie richtet sich eindeutig gegen den gesellschaftlichen Zusammenhalt und gegen vermeintliche Minderheiten – und soll diese unsichtbar machen. Eine staatlich verordnete Zweigeschlechtlichkeit ist ein Akt der Exklusion und immer auch mit Ungleichbehandlung von Menschen wegen des Geschlechts verbunden. Die Zweigeschlechtertheorie ist wissenschaftlich nicht haltbar. Jeder Mensch entwickelt sich geschlechtlich individuell. Menschen sind per se unterschiedlich in ihrer Geschlechtlichkeit. Aus menschenrechtlicher Perspektive ist keine Benachteiligung wegen des Geschlechts hinnehmbar. Mit größter Besorgnis sind die Signale zu werten, die von Donald Trumps Reden ausgehen, denn es geht um gesellschaftliche Aushandlungen, völkerrechtliche Verpflichtungen und um den Bestand erkämpfter sozialer und gleichstellungspolitischer Rechte. Den betroffenen intergeschlechtlich geborenen Menschen in den USA, den Trans* und Nichtbinären Menschen und allen Frauen gilt meine Solidarität. Aufklärung, Bildung sowie eine verbindliche Antidiskriminierungsrichtlinie in der EU und eine starke Antidiskriminierungspolitik sind notwendiger denn je, um alle Menschen zu schützen.

2) Wo erfahren sie Diskriminierung?

Die Frage ist komplex: Meist werde ich nicht als der Mensch wahrgenommen, der ich bin. Als intergeschlechtlich geborener Mensch erlebe ich seit frühester Kindheit ungleiche, benachteiligende und/oder ausgrenzende Behandlungen in meinem persönlichen Umfeld, in der Schule, in der medizinischen Versorgung, in der religiösen Gemeinschaft. Nicht einmal im Lernort Schule finden intergeschlechtlich geborene Kinder durchgängig wertschätzende Benennung im Biologie- oder im Ethik-Unterricht. Die unsachgemäßen medizinischen „Normalisierungsversuche“ der Gesundheitsversorgung, vollzogen an meinem Körper, hatten zur Folge, dass ich nun ein intergeschlechtlich geborener Mensch mit anerkannter Schwerbehinderung bin. Ich werde weiblich wahrgenommen und erlebe zudem die Alltagsdiskriminierungen von intergeschlechtlich geborenen schwerbehinderten Frauen im Alter. Trotz jahrzehntelanger politischer Aufklärungsarbeit erlebe ich in der medizinischen Versorgung Diskriminierungen bis hin zur Versorgungsverweigerung wegen meiner Geschlechtlichkeit. In der Teilhabe am politischen Leben gibt es für intergeschlechtlich geborene Menschen kaum partizipative Gestaltungsregelungen. Herabwürdigende Bemerkungen und unzutreffende Benennungen stellen eine fortwährende Benachteiligung dar.

3) Wie blicken Sie in die Zukunft, gibt es Hoffnung / woraus schöpfen Sie Hoffnung?

Besorgt schaue ich auf die Veränderungen der politischen Aushandlungspraxis. Dennoch: Ich vertraue auf die Verfassung. Das Grundgesetz garantiert die Menschenrechte und dies unabhängig von den jeweiligen Machtverhältnissen. Ich erlebe die Menschen, die hier leben, mehrheitlich als demokratisch denkend, menschenfreundlich. Wenn es uns gelingt, die Gleichwürdigkeit aller Menschen als Grundhaltung zu verstehen, dann hat hier niemand etwas zu befürchten. In einem Land, das eine bewegte Geschichte hat und die Inklusion und die Gleichstellung aller Menschen aller Geschlechter in der Verfassung verankert hat, ein Staat, der die völkerrechtlichen Verpflichtungen achtet und kontinuierlich weiter umsetzt, die Bildung aller Menschen fördert, dem sollte es gelingen, tradierte Machtverhältnisse zu überwinden und Geschlechtergerechtigkeit zu schaffen. Die Behauptung, es gäbe nur zwei Geschlechter, ist so absurd wie der Satz, dass die Erde eine Scheibe ist. Jeder Mensch wird mit einer Geschlechtlichkeit geboren- der eigenen.

Und jeder Mensch ist gleich an Würde und Rechten geboren. Es lohnt sich, für die Gerechtigkeit, für Gleichstellung zu kämpfen und die Demokratie zu stärken: gegen Hass und Hetze, für ein friedliches Miteinander in Würde.



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Lucie G. Veith ist seit 2002 ehrenamtlich in der Selbstvertretung intergeschlechtlich geborener Menschen aktiv. 2004 Mitgründung Bundesverband Intersexuelle Menschen e.V., 2021 zu Intergeschlechtliche Menschen e.V., Bundesverband umbenannt. Von 2006 – 2017 Bundesvorsitz ebenda. Nationaler und internationaler Einsatz für die Rechte intergeschlechtlich geborener Menschen. Aktive Mitwirkung bei Berichten an verschiedene UN-Ausschüsse. Als sachverständige Person Beratung mehrerer Bundestagsausschüsse und des Deutschen Ethikrats. Aktiv u.a. im Beirat der ADS, im Fachbeirat der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld und in der CEDAW-Allianz. Mandate des Bundesverbands Intergeschlechtliche Menschen e.V. Ausgezeichnet u.a. mit dem Bundesverdienstkreuz und dem „Preis für Engagement gegen Diskriminierung“ der ADS. Lucie G. Veith ist intergeschlechtlich geboren, ist schwerbehindert und lebt auf dem Land an der südlichen Nordsee.