Alexianer St. Hedwig-Kliniken Berlin GmbH Interaktive Schulungen für alle Beschäftigten
Die externe Fachstelle S.I.G.N.A.L. e.V. führt für die St. Hedwig-Kliniken in Berlin interaktive Schulungen zum Thema „Prävention von sexueller Gewalt“ durch, die von allen Mitarbeiter*innen besucht werden müssen.
- Arbeitgebertyp:
- Gemeinnützige Organisation
- Anzahl der Mitarbeiter*innen:
- rund 2.000
- Maßnahme:
- Informations- und Sensibilisierungsveranstaltungen, Schulungen
- Durchführung:
- seit 2016
- Weitere Maßnahmen gegen sexuelle Belästigung:
-
Multiplikator*innenschulungen, Präventionsbeauftragte als Ansprechperson und Beschwerdestelle, institutionelles Schutzkonzept, Leitlinien, Arbeitshilfe, Broschüre
Kontakt
Alexianer St. Hedwig Kliniken Berlin: Katja Dirlenbach, Stellvertretende Pflegedirektorin und Präventionsbeauftragte E-Mail: K.Dirlenbach@alexianer.de Telefon: 030 67412850 S.I.G.N.A.L. e.V.: Marion Winterholler E-Mail: winterholler@signal-intervention.de Telefon: 030 24630579
Einige Angaben zum Arbeitgeber
Die Alexianer GmbH ist eines der größten katholischen Gesundheitsunternehmen und betreibt in zehn Regionen Deutschlands Krankenhäuser, medizinische Versorgungszentren und Einrichtungen der Senioren-, Eingliederungs- und Jugendhilfe. Die Alexianer St. Hedwig Kliniken Berlin repräsentieren mit zwei Allgemeinkrankenhäusern mit insgesamt rd. 900 Betten und einigen angeschlossenen Medizinischen Versorgungszentren sowie einem Seniorenpflegeheim eine dieser Regionen. Die dargestellten Präventionsschulungen sind speziell für die St. Hedwig-Kliniken und die Senioreneinrichtung in Berlin konzipiert worden.
Ausgangslage und Motivation
Nach dem Bekanntwerden von Missbrauchsfällen in konfessionellen Einrichtungen und der Verabschiedung der Rahmenordnungen der Deutschen Bischofskonferenz erarbeitete die Alexianer GmbH eine Leitlinie „Prävention von sexueller Gewalt“, die 2012 in Kraft trat. Das institutionelle Schutzkonzept der Alexianer GmbH wurde bis 2017 weiterentwickelt. Es wurden verpflichtend nebenamtliche Präventionsbeauftragte in allen Unternehmensbereichen eingeführt sowie Schulungen und Fortbildungen für alle Mitarbeitenden vorgesehen. Das Fortbildungskonzept für die St. Hedwig Kliniken Berlin wurde 2016 entwickelt und wird seither umgesetzt.
Maßnahmenbeschreibung
Mit Umsetzung der Leitlinie der Alexianer GmbH veranlasste die Regionalgeschäftsführung der St. Hedwig Kliniken die verpflichtende Teilnahme aller bereits beschäftigten und neuen Mitarbeitenden an einer 1,5-stündigen interaktiven Schulung „Prävention von sexueller Gewalt“. Für die Konzeption und Umsetzung der Schulungen zog man den externen Verein S.I.G.N.A.L. e.V. – Intervention im Gesundheitsbereich gegen häusliche und sexualisierte Gewalt hinzu. Der Verein befasst sich seit 20 Jahren mit der Thematik Intervention und Prävention im Gesundheitsbereich gegen häusliche und sexualisierte Gewalt. Zu der Koordinierungsstelle, einem Projekt von S.I.G.N.A.L. e.V., bestand bereits Kontakt, da sie mit der Pflegeschule kooperierte und für die Notaufnahme der Krankenhäuser Aktivitäten zum Thema Gewaltschutz durchgeführt hatte.
Die Schulungen werden jeweils von zwei S.I.G.N.A.L. e.V.-Trainerinnen durchgeführt. Bis Ende 2022 wurden insgesamt 2.086 Mitarbeitende aus den Kliniken und einem Seniorenheim geschult. Meist nehmen 20 bis 30 Personen an einer Veranstaltung teil. Alle neuen Mitarbeitenden der St. Hedwig Kliniken werden bei Einstellung aufgefordert, sich zur Teilnahme an der Schulung anzumelden. Die Teilnahme wird in der Personalakte vermerkt, die Teilnehmer*innen erhalten ein Zertifikat des Fortbildungsinstituts der Alexianer GmbH.
Das Thema der interaktiven Schulungen ist „Prävention von sexueller Gewalt“, dazu gehören auch Übergriffe durch und von Patient*innen. Alle denkbaren Konstellationen werden angesprochen, der Schwerpunkt der interaktiven Elemente liegt auf sexueller Belästigung unter Kolleg*innen. Dies trägt der Professionen und Hierarchieebenen übergreifenden Zusammensetzung der Teilnehmer*innen Rechnung, es sollte für alle Teilnehmenden ausreichend Anknüpfungspunkte aus dem Arbeitsalltag geben. Ziel der Veranstaltung ist neben der Vermittlung von Basiswissen vor allem, zum Nachdenken und ins Gespräch über sexuelle Gewalt zu kommen und so zu erfahren, dass das Thema besprechbar ist. In der Konzeption wurde auf interaktive Elemente und Handlungsorientierung großer Wert gelegt. Neben Murmelgruppen, in denen Teilnehmende überlegen sollen, wie sie dazu beitragen können, sexuelle Gewalt zu verhindern, wird kurz Basiswissen zum Thema sexuelle Gewalt vermittelt. Danach geht es um die Frage, was die Beschäftigten tun können, wenn es zu Vorfällen kommt. Dafür führen die Trainerinnen eine Situation sexueller Grenzverletzung mit drei verschiedenen Umgangsvarianten durch die Betroffene vor – einer unangemessenen, einer ausweichenden und einer angemessenen. Diese Varianten werden dann mit den Teilnehmenden besprochen, auch für die Möglichkeit, dass die Teilnehmenden nicht selbst betroffen, sondern Zeug*in oder Mitwisser*in sind. Die Teilnehmer*innen werden von den Trainerinnen über konkrete mögliche Handlungsschritte, Ansprechstellen, die Leitlinie der Alexianer GmbH und weitere in Berlin verfügbare Hilfsangebote informiert. Informationsmaterial (Flyer, Studien, Handreichungen) wird ihnen zur Verfügung gestellt.
Stimmen aus der Praxis und Wirksamkeit
Die Trainerinnen berichten aus den Rückmeldebögen zur Schulung, dass Inhalte, der Praxisbezug und generell die Thematisierung von sexueller Gewalt ganz überwiegend positiv bewertet werden. Obwohl die Veranstaltung verpflichtend sei, so die Präventionsbeauftragte fänden viele Teilnehmende die Fortbildung interessant. Die Trainerinnen berichten, dass sich die Teilnehmenden bereits in den Murmelgruppen gut öffnen und sich an der Besprechung der beispielhaften Szenen und Umgangsvarianten dann ganz aktiv beteiligen. Das Gespräch sei lebendig, die Teilnehmer*innen neugierig, es gebe immer Reaktionen auf die Szenen, die wie ein „Eisbrecher“ wirken. Eine Folge der Schulungenen war, dass Lehrkräfte der Pflegeschule der Klinik nach ihrer Teilnahme auf jeder Station eine Ansprechperson für Auszubildende zum Thema sexuelle und häusliche Gewalt benannten. Die Präventionsbeauftragte stellt seit Einführung der interaktiven Schulungen insgesamt eine deutliche Sensibilisierung fest. Durch die Veranstaltungen habe sich „etwas in den Köpfen bewegt“. Auch würden teils direkt nach den Schulungen von Betroffenen Vorfälle gemeldet. Sie begrüßt, dass die von ihr allein nicht zu leistenden Veranstaltungen durch S.I.G.N.A.L. e.V. als externe Fachorganisation durchgeführt werden.
Die Vorsitzende der Mitarbeiter*innenvertretung berichtet, die Stelle und die Person der Präventionsbeauftragten seien „Dreh- und Angelpunkt“ der Aktivitäten gegen sexuelle Belästigung im Betrieb. Sie genieße den Rückhalt der Geschäftsführung und sei als feste Ansprechpartnerin von Beschäftigten unkompliziert erreichbar. Das nötige „Fingerspitzengefühl“ und die erforderliche Ausbildung sowie Fachkompetenz seien vorhanden. Da die Präventionsbeauftragte stellvertretende Pflegedirektorin am Standort Hedwigshöhe ist, stelle es zwar für manche Betroffene eine gewisse Hürde dar, sie als Leitungsperson anzusprechen. Dennoch, so berichtet die Vorsitzende der Mitarbeiter*innenvertretung, gelinge es ihr in konkreten Fällen gut, die Betroffenen dazu zu motivieren. Die positive Entwicklung in den letzten Jahren habe entscheidend damit zu tun, dass da „Personen ausgewählt wurden, die ganz offensichtlich dieses Thema ernst nehmen und bereit sind konsequent zu handeln.“
Aus ihrer Sicht ist es generell wichtig, sich um die Thematik zu kümmern und darüber zu reden. Förderlich dafür seien die Maßnahmen im Unternehmen und im Betrieb, aber auch die mediale Aufmerksamkeit. Zuvor sei Ähnliches grundsätzlich „im Verborgenen gelöst worden“. Betroffene sind oftmals sehr erleichtert, wenn einschlägige Fälle schnell geklärt werden.
Die externen Trainerinnen schildern, dass in den St. Hedwig Kliniken für die Maßnahmen zeitliche und monetäre Ressourcen aufgebracht werden und stellen fest, dass sich das Bewusstsein für die Thematik auch bei neuen Mitarbeitenden etabliert hat. Sie bekommen von den Teilnehmenden an den interaktiven Schulungen die Rückmeldung, dass die Haltung des Betriebs in Bezug auf das Thema sehr klar und transparent sei.
Aus Sicht der Präventionsbeauftragten der Region Berlin-Hedwig ist die Thematik sexueller Belästigung sehr präsent und wichtig, weil in einem Krankenhaus immer eine gewisse Körperlichkeit herrsche und viele Menschen eng miteinander arbeiten. Nach ihrer Erfahrung erleben z. B. Krankenpflegeschüler*innen viele „komische Situationen“, aber es komme auch zu Übergriffen durch und unter Patient*innen.
Einbettung der Maßnahme
Die Präventionsbeauftragten der Alexianer GmbH konzipierten Beschwerdeverfahren und Beratungsabläufe auf Grundlage der Leitlinien der Alexianer GmbH. Die Präventionsbeauftragte der Region Berlin-Hedwig ist seit 2017 vertrauliche Ansprechpartnerin für Mitarbeitende, die selbst von sexuellen Übergriffen betroffen sind, dies beobachtet haben oder einen Verdacht gegen andere Personen hegen. Bei Vorfällen wird sie in der Regel von den Abteilungen oder Stationen hinzugezogen. Eine Aufarbeitung wird dann nachvollziehbar und in einem geschützten Rahmen in enger Abstimmung mit der Regionalgeschäftsführung vorgenommen. Sie ist für die Beschwerdeverfahren zuständig.
Neue Kolleg*innen werden auf Begrüßungsveranstaltungen und durch eine Begrüßungsmappe auch über die Haltungen und Maßnahmen zum Thema sexuelle Gewalt informiert. Auch im Intranet wird dies umfassend präsentiert.
Neben den beschriebenen interaktiven Schulungen gibt es Fortbildungen von Multiplikator*innen im Bildungsinstitut der Alexianer zur Durchführung der interaktiven Schulungen an weiteren Unternehmensstandorten sowie vierstündige Seminare von Bereichsleitungen, die ebenfalls in Kooperation mit S.I.G.N.A.L. e.V. durchgeführt werden.
Das Thema sexuelle Gewalt hat im gesamten Klinikkonzern einen großen Stellenwert, dabei werden die Maßnahmen den Arbeitsschwerpunkten der Einrichtungen angepasst (Psychiatrie, Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen).
Tipps für die Übertragung
Alle Befragten halten das Engagement und die Haltung der Verantwortlichen im Unternehmen für eine wichtige Voraussetzung. Diese sollten sensibel sein, die Thematik ernst nehmen, Ressourcen für Qualifizierungen bereitstellen und selbst – bis zur Geschäftsleitung – an diesen teilnehmen. Vor allem sollten die „richtigen“ Personen als Ansprechpersonen benannt werden. Daneben seien klare Handlungsabläufe und klar benannnte Ansprechpartner*innen nötig, damit Beschäftigte wüssten, an wen sie sich wenden können und was bei Beschwerden passiert. Die Befragten im Unternehmen halten es für wichtig, das Thema im Unternehmen besprechbar zu machen, zu benennen, dass es sexuelle Übergriffigkeit gibt, einen offenen Umgang zu pflegen und Informationen breit zu streuen.
Die Präventionsbeauftragte hält ebenso wie die Trainerinnen das Konzept der interaktiven Schulungen für „sehr gut übertragbar.“ Für die Präventionsbeauftragte sind Format und Dauer angemessen, da Mitarbeitende sich auch zu vielen anderen Themen fortbilden müssen. Die externen Trainerinnen empfehlen zusätzlich umfassendere Workshops um entsprechendes Verhalten einüben zu können. Wichtige Hinweise für die Durchführung der interaktiven Schulungen sind, dass Anwesende vielfach selbst bereits sexuelle Gewalt erlebt haben und daher besondere Rücksicht genommen und die Möglichkeit zu Rückmeldungen nach der Veranstaltung eingeräumt werden muss. Wichtig sei auch der umfassende Blick: es sollte das Thema sexuelle Gewalt mit allen dazugehörigen Aspekten besprochen werden, damit sich niemand angeklagt oder ausgeschlossen fühlt. Außerdem sei es wichtig als Trainer*innen eine klare Haltung gegen sexuelle Übergriffe zu haben.
