Berliner Verkehrsbetriebe Innerbetriebliche Arbeitsgruppe Fallbegleitung
Bei konkreten Vorfällen sexueller Belästigung kann nach dem Erstgespräch die innerbetriebliche Arbeitsgruppe hinzugezogen werden. Diese tauscht sich anonymisiert über den Fall aus und schlägt den Betroffenen im Anschluss Handlungsoptionen vor.
- Arbeitgebertyp:
- Öffentlicher Betrieb und Verwaltung
- Anzahl der Mitarbeiter*innen:
- 12.800
- Maßnahme:
- Arbeitsgruppe Fallbegleitung
- Durchführung:
- seit 2016
- Weitere Maßnahmen gegen sexuelle Belästigung:
-
AGG-Beschwerdestelle, Vernetzung, Schulungen
Kontakt
Vera Seitz, Sozialberatung E-Mail: vera.seitz@bvg.de
Einige Angaben zum Arbeitgeber
Die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) beschäftigt etwa 12.800 Mitarbeiter*innen, der Frauenanteil beträgt etwa 21 Prozent. Die BVG ist damit das größte Nahverkehrsunternehmen in Deutschland.
Ausgangslage und Motivation
Der Vorstand der BVG hat sich im Zuge der gesellschaftlichen Debatte um #Aufschrei 2015 entschlossen, die Betriebliche Sozialberatung als neutrale Anlaufstelle für sexuelle Belästigung zu benennen und diese stärker im Betrieb bekannt zu machen. Die Betriebliche Sozialberatung brachte daraufhin eine innerbetriebliche Arbeitsgruppe zum Thema sexuelle Belästigung ins Gespräch, die sich aus verschiedenen betrieblichen Akteur*innen zusammensetzen sollte.
Zur Umsetzung des Konzeptes „Respektvoller Umgang miteinander – Vorbeugen und Handeln bei sexueller Belästigung am Arbeitsplatz“ wurde 2017 mit der Bildung der innerbetrieblichen Arbeitsgruppe Fallbegleitung begonnen. Zunächst wurden dafür Verantwortliche aus verschiedenen Betriebsbereichen gewonnen. Zu Beginn wurde die zukünftige Arbeitsweise der Arbeitsgruppe in einem Initiativworkshop festgelegt. Inhaltlich ging es im Workshop um die Entwicklung eines gemeinsamen Verständnisses und um die Sensibilisierung im Erkennen verschiedener Formen sexueller Belästigung sowie dessen Grauzonen.
Maßnahmenbeschreibung
Die Arbeitsgruppe Fallbegleitung wird bei akuten Fällen sexueller Belästigung einberufen und diskutiert Handlungsmöglichkeiten, die der betroffenen Person vorgeschlagen werden. Das Vorgehen erfolgt dabei immer über die Sozialberatung, die gemeinsam mit der betroffenen Person entscheidet, ob die Arbeitsgruppe eingeschaltet werden soll. Stimmt die betroffene Person zu, prüft die Arbeitsgruppe den Fall zeitnah und dokumentiert den Sachverhalt anonymisiert, vertraulich und weisungsunabhängig. Im Anschluss erarbeitet sie konkrete Vorschläge zu Maßnahmen, welche wiederum erst in Rücksprache mit der betroffenen Person eingeleitet werden.
Die Mitglieder der Arbeitsgruppe sind Verantwortliche der AGG-Beschwerdestelle, der Personalabteilung, der Rechtsabteilung, der Arbeitnehmer*innenvertretung, des Konfliktmanagements und der Betrieblichen Sozialberatung. Insgesamt besteht die Arbeitsgruppe derzeit aus 9 Personen, die Federführung liegt bei der Betrieblichen Sozialberatung.
Neben der konkreten Fallarbeit trifft sich die Arbeitsgruppe in regelmäßigen Abständen, um präventive Maßnahmen gegen sexuelle Belästigung zu erarbeiten, die dem Vorstand vorgeschlagen werden, wie z.B. Schulungsformate. Sie kümmert sich darüber hinaus um die Erstellung neuer Informationsmaterialien sowie die Bekanntmachung der Ansprechpersonen.
Stimmen aus der Praxis und Wirksamkeit
Der Beauftragte der AGG-Beschwerdestelle, Jörg Amelung, sieht eine wesentliche Voraussetzung im konstruktiven Umgang mit betrieblichen Fällen sexueller Belästigung in der strengen Vertraulichkeit. Diese sei sowohl bei der Betrieblichen Sozialberatung gegeben – in den überwiegenden Fällen erste Anlaufstelle für Betroffene sexueller Belästigung – als auch bei der Arbeitsgruppe Fallbegleitung. Einen großen Vorteil sieht er darin, dass die Beratungen innerhalb der Arbeitsgruppe völlig ergebnisoffen erfolgen können, da nicht jeder Fall zu einer offiziellen AGG-Beschwerde oder zu arbeitsrechtlichen Maßnahmen führe.
Einen Mehrwert der gemeinsamen Erarbeitung von Handlungsvorschlägen der Arbeitsgruppe sieht die Leiterin der Arbeitsgruppe Fallbegleitung, Vera Seitz, vor allem in den verschiedenen Blickwinkeln. Die Arbeitsgruppe könne so auf unterschiedlichste Aspekte eingehen. Auch werde nichts ohne die Zustimmung der Betroffenen entschieden, was für diese eine hohe Sicherheit bedeute.
Der Leiter der zentralen Personaladministration, Dominik Burzlaff, betont die Relevanz von Schulungen für Führungskräfte. Diese müssen im Umgang mit Fällen sexueller Belästigung sensibilisiert werden. Die Schulungen machten zum einen grundsätzlich auf die Problematik aufmerksam und würden zum anderen die Handlungsmöglichkeiten thematisieren sowie die Rolle der Sozialberatung betonen.
Einbettung der Maßnahme
Der Vorteil der innerbetrieblichen Sozialberatung als Erstanlaufstelle besteht in dem Wissen über die Organisationsstrukturen im Unternehmen sowie über interne Lösungsansätze. Außerdem ist sie für die Beschäftigten eine vertraute und bewährte Anlaufstelle.
Im Flyer „Respektvoller Umgang miteinander“ wird die Arbeit der Arbeitsgruppe Fallbegleitung erklärt und auf die Betriebliche Sozialberatung mit ihren Ansprechpersonen hingewiesen. Auch in der internen Mitarbeiterzeitung gab es einen Artikel über die Beratungs- und Beschwerdewege. Zusätzlich klären die Vertretungen der Arbeitnehmer*innen über die Beratungsmöglichkeiten auf.
Seit 2019 bietet die BVG neben Pflichtveranstaltungen zum Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) und Landesgleichstellungsgesetz (LGG) Informationsveranstaltungen auf freiwilliger Basis zum Thema „Handlungssicherheit beim Bekanntwerden sexueller Belästigung am Arbeitsplatz“ für Führungskräfte an. Mit der Veranstaltung soll Klarheit geschaffen werden, was unter sexueller Belästigung konkret zu verstehen ist und welche Grauzonen es gibt. Um akuten Grenzverletzungen zu begegnen und Übergriffe zu verhindern, werden die Rollen und Aufgaben der Führungskräfte besprochen und weitere im Unternehmen beratende Stellen vorgestellt. Die Teilnehmenden erhalten vertiefte Informationen, wie sie Betroffene in dieser Problemlage lösungsorientiert beraten und begleiten und wie die betriebliche Arbeitsgruppe Fallbegleitung unterstützen kann.
Zusätzlich hat die Betriebliche Sozialberatung der BVG ein externes informelles Netzwerk zur sexuellen Belästigung im Verband kommunaler Unternehmen gegründet, um sich mit anderen Betrieben auszutauschen. Diese Treffen finden zweimal jährlich statt. Der Austausch mit anderen Unternehmen sei hilfreich, um über verschiedene Maßnahmen zu diskutieren und gegenseitig voneinander zu profitieren, so Seitz.
Tipps für die Übertragung
Die Übertragbarkeit der Arbeitsgruppe sei von der Struktur und Größe des Unternehmens abhängig, so AGG-Beauftragter Amelung. Insbesondere für größere Unternehmen sei die Arbeitsgruppe eine gute Möglichkeit, um konkrete Fälle zu besprechen und gleichzeitig auch auf das Thema sexuelle Belästigung aufmerksam zu machen. Wichtig sei eine Zusammensetzung aus Vertreter*innen der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite sowie einer neutralen betrieblichen Stelle, wie in diesem Fall der Betrieblichen Sozialberatung. Des Weiteren sei grundlegend, dass der Erstberatungsstelle ausreichend Vertrauen entgegengebracht wird, so dass sie als Anlaufstelle auch tatsächlich genutzt wird.
Aus Sicht des AGG-Beauftragten habe die BVG durch ihre Größe den Vorteil, eine eigenständige Sozialberatung vorhalten zu können. Die Abläufe und Prozesse müssen allen Mitarbeiter*innen sowie Führungskräften bekannt gemacht werden. Voraussetzung ist es, dass die Geschäftsführung oder der Vorstand deutlich hinter dem Vorhaben stehen, um die Bedeutung und Relevanz der Thematik für das Unternehmen zu verdeutlichen.
Hilfreich für die Betroffenen von sexueller Belästigung könne es sein, wenn die Personalabteilung erst später offiziell einbezogen werde.
Dies gilt vor allem dann, wenn sie zunächst mit einer neutralen und vertraulichen Stelle sprechen wollen. Sobald Vertreter*innen des Personalbereichs an Gesprächen teilnehmen, so der Leiter der zentralen Personaladministration Burzlaff, „(…) werde eine neue Eskalationsstufe erreicht“. Die Personalabteilung solle daher erst einbezogen werden, wenn der Bedarf an arbeitsrechtlichen Maßnahmen feststehe. Er vermutet weiter, dass belästigende Personen gegenüber der Personalabteilung weniger bereit sind, ihr Verhalten offen einzugestehen, da sie die Konsequenzen fürchten. Dies erschwere eine positive Bearbeitung des Falles.
