Die Lufthansa Group Überprüfung und Anpassung der bestehenden Maßnahmen gegen sexuelle Belästigung
Eine Evaluierung der bestehenden Ansätze zur Prävention und Intervention gegen sexuelle Belästigung führte im Zeitraum 2018 bis 2020 zur Erarbeitung weiterer Maßnahmen und zur Anpassung der Strukturen im Unternehmen sowie zu einer konzernweiten Kommunikationskampagne.
- Arbeitgebertyp:
- Privates Unternehmen
- Anzahl der Mitarbeiter*innen:
- 64.000 (in Deutschland)
- Maßnahme:
- systematische Evaluation und Überarbeitung bestehender Strukturen und Maßnahmen gegen sexuelle Belästigung
- Durchführung:
- 2018 bis 2020
- Weitere Maßnahmen gegen sexuelle Belästigung:
-
Code of Conduct, Kampagne #respectlimits, Material zur Information und Sensibilisierung, Intranet, interne und externe Vertrauenspersonen, Schulungen, Melde Webapp
Kontakt
Tabea Benz, Senior Adviser Human Rights and Non-Discrimination E-Mail: tabea.benz@dlh.de
Einige Angaben zum Arbeitgeber
Die Lufthansa Group ist ein weltweit operierender Luftverkehrskonzern mit mehr als 530 Tochtergesellschaften und verbundenen Unternehmen.
Ausgangslage und Motivation
Die Lufthansa Group bekennt sich dazu, für ihre Beschäftigten ein diskriminierungs- und belästigungsfreies Arbeitsumfeld zu schaffen und hat dafür seit Langem entsprechende Verfahren und Prozesse etabliert. Die übergreifend gesellschaftlich geführte #Me Too-Debatte wurde zum Anlass genommen, 2018 einen Evaluations- und Weiterentwicklungsprozess der bereits bestehenden Maßnahmen zur Überprüfung der bisherigen Strukturen und Prozesse zur Prävention von und zum Umgang mit sexueller Belästigung am Arbeitsplatz zu starten.
Maßnahmenbeschreibung
Im Rahmen des insgesamt zweijährigen Evaluations- und Weiterentwicklungsprozesses stellte die Lufthansa zunächst ihre bestehenden Aktivitäten gegen sexuelle Belästigung auf den Prüfstand. Eine Arbeitsgruppe überprüfte die Maßnahmen in Bezug auf ihre Akzeptanz, Effektivität und Nachhaltigkeit, um Optimierungs- und Ausweitungsmöglichkeiten zu identifizieren. Beteiligt waren an diesem Prozess Führungskräfte verschiedener Abteilungen und Bereiche: Personalvorstand, Flugbetriebsleitung, Leitung Kabine, Personalmanagement, Cockpitkabine Boden, Leitung Personalpolitik, eine externe Beraterin, Vertreter der Lufthansa Cargo (Personalvertretung der Fliegenden), Betriebsrat Boden, Personalvertretung Lufthansa AG, Sozialberatung, Unternehmenskommunikation und die Beauftragte für Chancengleichheit. In diesem Kreis fanden in unterschiedlicher Zusammensetzung und innovativen Formaten (Sprintformat) Diskussionsforen bzw. Workshops statt. Für die Überprüfung traf sich die Gruppe in jeweils unterschiedlicher Zusammensetzung an drei vollen Tagen. In Kleingruppen wurden mit der Deep Dive-Methode drei Handlungsfelder analysiert und bearbeitet. Das Ergebnis der Gruppenarbeit war, dass die bereits etablierten Prozesse grundsätzlich als geeignet und ausreichend für einen adäquaten Umgang mit Fällen sexueller Belästigung angesehen wurden. Dennoch wurden noch Verbesserungsmöglichkeiten identifiziert. Auf Basis der Erkenntnisse wurde ein entsprechendes Konzept erarbeitet und in intensiver Zusammenarbeit aller Hierarchieebenen unter Einbeziehung des Personalvorstands zahlreiche Maßnahmen gegen sexuelle Belästigung analysiert, überarbeitet sowie neue initiiert. Im Bereich Kommunikation, so das abgeleitete Ziel, sollte Bewusstsein über die Problematik durch kommunikative Maßnahmen geschärft werden, die alle Hierarchieebenen einbeziehen. Im Bereich Trainings sollten spezielle Trainings für Beschäftigte mit Kundenkontakt vorgesehen werden. Im Bereich der Strukturprozesse schließlich wurde zur Ergänzung der bestehenden Meldemöglichkeiten die Etablierung weiterer niedrigschwelliger Meldewege angestrebt.
Als Ergebnis startete die Lufthansa unter #RespectLimits eine konzernweite Kommunikationskampagne, um die Aufmerksamkeit und Sensibilität der Beschäftigten für sexuelle Belästigung zu erhöhen und um neue Maßnahmen zu kommunizieren. Leitend war dabei der Grundsatz „Jeder Fall ist einer zu viel!“. Auf der Startseite des Intranets sind unter dem Stichwort #RespectLimits Zugänge zu allen relevanten Materialien und Informationen verfügbar und es finden sich dort Kontaktdetails für die Meldung von Vorfällen und Beratungsanliegen. An zentraler Position findet sich ein Statement des Personalvorstands. Verfügbar sind dort weiterführende Informationen zum Umgang mit Verdachtsfällen und Beschwerden, den möglichen Konsequenzen sexueller Belästigung sowie zu Falschbeschuldigungen. Hier werden auch Handlungsmöglichkeiten für Betroffene sowie für unbeteiligte Dritte aufgeführt.
Wichtiger Bestandteil der Kampagne #RespectLimits sind Videos, die im Intranet verfügbar sind und bei den Schulungen eingesetzt werden. Diese Videos informieren über sexuelle Belästigung und die Regeln im Unternehmen, beschreiben Meldewege bei der Lufthansa und Animationsfilme geben typische Situationen wieder. Das Thema sollte offiziell adressiert und aus der Tabuzone geholt werden. Besonderer Wert wurde darauf gelegt, den Betroffenen Ängste vor möglichen negativen Konsequenzen einer Meldung zu nehmen.
Im Ergebnis ergänzte die Lufthansa Group das bestehende Fortbildungsangebot zur sexuellen Belästigung am Arbeitsplatz um verpflichtende Trainings für bestehende sowie neu ernannte Führungskräfte und passte weitere Trainings für andere Zielgruppen an. Führungskräfte werden in den Trainings im Umgang mit sexueller Belästigung sensibilisiert und über Handlungsoptionen bei Vorfällen aufgeklärt. Spezifische Prozessbeschreibungen für das HR-Management sowie auf das Arbeitsumfeld angepasste Richtlinien für das Flugpersonal wurden erarbeitet und in den entsprechenden Schnittstellen im Unternehmen implementiert. In diesem Zusammenhang wurde die Frage des Umgangs mit Vorfällen sexueller Belästigung in die erprobten regelmäßigen Trainings des Cockpit- und Kabinenpersonals integriert.
Die Lufthansa entschied sich bewusst, verschiedene mögliche Ansprechpersonen bei sexueller Belästigung vorzusehen: dazu gehören neben dem Beauftragten für Chancengleichheit die interne psychosoziale Beratung, HR und direkte Vorgesetzte auch Vertrauenspilot*innen. Zudem wurden zusätzliche Meldewege etabliert, eine Mailadresse eingerichtet und eine App angeboten. Wenn eine Beratung der Betroffenen durch diese Ansprechpersonen nicht ausreichend ist, kann die betroffene Person diesen Fall offiziell melden. Dann wird der Fall an die zuständige HR-Einheit weitergeleitet, wo vertrauliche Gespräche mit den Betroffenen und weiteren Beteiligten geführt werden, um die Sachverhalte zu klären. Das Verfahren im Detail ist in einem Handbuch für Mitarbeitende und einem für HR beschrieben.
Stimmen aus der Praxis und Wirksamkeit
Die Entscheidung, alle Strukturen und Prozesse im Zusammenhang mit sexueller Belästigung am Arbeitsplatz im Rahmen eines übergreifenden unternehmensinternen Projekts systematisch zu evaluieren, wird von den Befragten positiv bewertet. Es sei grundsätzlich richtig, das Thema im Rahmen des AGG zu behandeln. Zugleich handelt es sich bei sexueller Belästigung um besonders sensible Vorfälle, die spezieller Betrachtung und Maßnahmen bedürfen.
Der Prozess sei sehr intensiv und erfolgreich gewesen – er habe zur Optimierung der Verfahren und Strukturen beigetragen. Die initiierte Kampagne hat den Befragten zufolge die Präsenz der Maßnahmen gegen sexuelle Belästigung im Unternehmen noch zusätzlich erhöht. Die Videos, in denen bewusst nicht nur ganz eindeutige Situationen gezeigt wurden, hätten auch provoziert und so Denkprozesse sowie umfangreiche Diskussionen über die Frage angestoßen, was eine Grenzverletzung ausmacht. Eine Verständigung darüber helfe allen im beruflichen Alltag Situationen besser einschätzen zu können.
Die Kampagnen und Kommunikation – so die Befragten – kamen sehr positiv im Unternehmen an. Das Thema werde sensibel, aber mit Durchsetzungskraft behandelt. Auch wurde das Thema mit der nötigen Umsicht angegangen, sodass der Stellenwert der Problematik zwar deutlich wurde, aber im Vergleich zu anderen Themen nicht zu groß wurde. Durch den Prozess und die neuen bzw. veränderten Maßnahmen konnte die hohe Relevanz des Themas im Unternehmen nochmal unterstrichen werden. Darüber hinaus werde nun kontinuierlich Klarheit über den konkreten Umgang mit Situationen sexueller Belästigung vermittelt. In Schulungen werde erörtert, wie sich die Beschäftigten verhalten können und welche Unterstützung es für Betroffene gibt.
Einbettung der Maßnahme
An dem Evaluations- und Weiterentwicklungsprozess war die Beauftragte für Chancengleichheit der Lufthansa maßgeblich beteiligt. Diese Stelle ist unter anderem für ein diskriminierungs- und benachteiligungsfreies Arbeitsumfeld zuständig, worunter auch sexuelle Belästigung fällt. In der Betriebsvereinbarung zu Chancengleichheit wird ausdrücklich auf sexuelle Belästigung Bezug genommen. Auch der Code of Conduct (Verhaltenskodex) wurde 2018 um das Thema diskriminierungs- und belästigungsfreies Arbeitsumfeld ergänzt. Hier heißt es: „Wir tolerieren keine sexuelle Belästigung. Dies beinhaltet insbesondere unerwünschte Annäherungen und Übergriffe tatsächlicher oder verbaler Art.“ Die Betriebsvereinbarung „Beschwerdeverfahren“ adressiert Beschwerden im Allgemeinen. Dies umfasst Fälle sexueller Belästigung. Auch sie werden gemäß den in der Betriebsvereinbarung festgelegten Prozessschritte behandelt.
Tipps für die Übertragung
Die Lufthansa hat die eigenen Maßnahmen gegen sexuelle Belästigung kritisch geprüft und konnte dadurch die Aktivitäten verbessern und zugleich so wieder stärker im Betriebsumfeld für den Umgang mit sexueller Belästigung sensibilisieren. Die strukturierte Revision der Aktivitäten zu sexueller Belästigung in Form eines „Projekts“ hat sich daher aus Sicht der Befragten doppelt gelohnt und wird auch anderen Unternehmen empfohlen. Wichtig sei es dabei, Führungspersonen aus verschiedenen Abteilungen einzubeziehen. Eine erhöhte Akzeptanz könne erreicht werden, wenn die Problematik bezogen auf den konkreten Arbeitskontext behandelt wird.
Auch müsse das richtige Maß an Kommunikation gefunden werden. Wertvoll sei es für alle Unternehmen, wenn über Erkenntnisprozesse bewusst wird, was alles zu sexueller Belästigung dazu gehört, und wenn dabei Anknüpfungsmöglichkeiten zu eigenen Erfahrungen bestehen.
Aus Sicht der Befragten sei es für Betroffene wichtig, verschiedene - interne und externe - Ansprechpersonen im Betrieb zu haben, die niedrigschwellig zur Verfügung stehen. Dies könnten auch Angestellte sein, die bereits Vertrauen von Mitarbeitenden genießen. Die Benennung solcher Ansprechpersonen sei auch für andere Unternehmen leicht umsetzbar.
Einen weiteren Tipp hat der Beauftragte für Chancengleichheit für andere Betriebe im Hinblick auf die Zielsetzung und mögliche Erfolgsindikatoren: Ein Unternehmen könne mit durchdachten Maßnahmen Haftungsrisiken minimieren und die Reputation fördern, aber ein wirtschaftlicher Nutzen könne nicht beziffert werden. Erfolg in diesem Bereich lasse sich nicht quantitativ messen. Ein realistisches Ziel könne es sein, alle Beschäftigten mit den Maßnahmen zu erreichen.
