Raytheon Anschütz Mitarbeiter*innenbefragung zur Gefährdungsbeurteilung
Die Problematik sexueller Belästigung ist in diesem Beispiel Bestandteil der Gefährdungsbeurteilung. Regelmäßig werden alle Mitarbeiter*innen anonym zu psychischen Belastungen im Arbeitskontext befragt.
- Arbeitgebertyp:
- Privates Unternehmen
- Anzahl der Mitarbeiter*innen:
- ca. 570
- Maßnahme:
- Gefährdungsbeurteilung
- Durchführung:
- Gefährdungsbeurteilung mit Fragen zu sexueller Belästigung seit 2015
- Weitere Maßnahmen gegen sexuelle Belästigung:
-
allgemeine Beratungshotline
Kontakt
Kerstin Wurm, Betriebsrätin E-Mail: Kerstin.Wurm@raytheon.com
Einige Angaben zum Arbeitgeber
Das international agierende Unternehmen Raytheon Anschütz entwickelt seit mehr als 110 Jahren Navigationssysteme für die Seefahrt. Der Anteil der weiblichen Beschäftigten liegt bei rund 25 Prozent.
Ausgangslage und Motivation
Der Betriebsrat von Raytheon Anschütz thematisierte Ende 2009 die Problematik psychischer Belastungen am Arbeitsplatz in Management und der Belegschaft. Dabei wurde auch sexuelle Belästigung berücksichtigt. 2011 folgte eine anonyme Umfrage, die vorhandene Belastungen aufzeigen und Basisdaten für weitere Maßnahmen im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung bereitstellen sollte. Die Ergebnisse der Mitarbeiter*innenbefragung flossen in die betrieblichen Diskussions- und Verbesserungsprozesse und in das betriebliche Gesundheitsmanagements ein. Im Anschluss wurde 2014 eine Betriebsvereinbarung zur Gefährdungsbeurteilung psychische Belastung geschlossen. Seit 2015 enthält die Gefährdungsbeurteilung nun Fragen zu sexueller Belästigung. Die betriebliche Interessenvertretung sieht sich hierbei als treibende Kraft.
Maßnahmenbeschreibung
Die regelmäßige Befragung der Beschäftigten ist Teil der Gefährdungsbeurteilung zur psychischen Belastung. Die Erstellung und Dokumentation von Gefährdungsbeurteilungen ist nach §§ 5 und 6 des Arbeitsschutzgesetzes für Unternehmen verpflichtend. 2013 wurde darin der Bestandteil der psychischen Belastungen aufgenommen.
Im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung werden die Beschäftigten von Raytheon Anschütz seit 2015 alle zwei Jahre mittels eines Fragebogens befragt.
Zuständig für die Durchführung und Auswertung der anonymisierten Befragung zur Gefährdungsbeurteilung ist eine paritätisch aus Betriebsrat und Personalabteilung zusammengesetzte Kommission. 2020 wurde der Fragebogen unter Einbeziehung von Mitarbeitenden evaluiert und überarbeitet. In obligatorischen, jährlichen Gesprächsrunden der einzelnen Abteilungen werden die Ergebnisse besprochen, um mögliche Maßnahmen bei problematischen Gefährdungssituationen zu beschließen. Bei Fällen sexueller Belästigung werden in den betroffenen Abteilungen alle Mitarbeiter*innen zu dem Thema angesprochen und ermutigt, sich an eine Vertrauensperson im Betriebsrat oder an die Personalabteilung zu wenden, um konkrete Vorfälle aufarbeiten zu können.
Diese Prozesse werden über die genannte Kommission betriebsweit rückgekoppelt, ein erstellter Maßnahmenplan fließt in die Gefährdungsbeurteilung ein. Explizit enthielt der Maßnahmenplan auch den Aufruf, sich bei Vorfällen sexueller Belästigung beim Betriebsrat zu melden.
Stimmen aus der Praxis und Wirksamkeit
Die bisherigen Befragungen im Rahmen der Gefährdungsanalyse erzielten hohe Rücklaufquoten, zuletzt etwa 70 Prozent. Auch die Frage nach der sexuellen Belästigung wurde hierbei beantwortet. Als sehr wichtig schätzt der Betriebsratsvorsitzende Frank Otto die auswertenden Diskussionsrunden mit Mitarbeitenden in den Abteilungen ein, da hier wahrgenommene Belastungssituationen von sexueller Belästigung besprochen werden können. Bislang wurden über den Fragebogen einzelne Fälle sexueller Belästigung bekannt.
Die befragten betrieblichen Akteur*innen schätzen die anonyme Befragung zur sexuellen Belästigung positiv ein. So würden Vorfälle bekannt und ein Handeln möglich, so Betriebsrätin Kerstin Wurm. Positiv hervorgehoben werden auch die Aspekte der Anonymität des Fragebogens, der vertrauliche Umgang mit den Daten, die damit verbundene Niedrigschwelligkeit der Maßnahme und das hohe Vertrauen der Mitarbeitenden dem Fragebogen gegenüber, so Personalleiterin Kirsten Ewers. Dadurch, dass sexuelle Belästigung im Fragebogen eine Frage von vielen sei, wäre es „normaler und weniger schlimm, darüber zu sprechen“.
Der Betriebsratsvorsitzende Otto sieht das Unternehmen erst am Anfang und wünscht sich, dass der Kampf gegen sexuelle Belästigung noch mehr in den Fokus rückt. Eine Vertrauensstelle mit ausgebildeten Ansprechpersonen sei dabei seiner Meinung nach wünschenswert.
Einbettung der Maßnahme
Mitarbeitende können sich bei allen allgemeinen Schwierigkeiten im Betrieb anonym an eine Beratungshotline wenden. Das trifft auch bei sexueller Belästigung zu. Der Betriebsrat sowie die Personalabteilung zählen ebenfalls zu den vertraulichen Erstanlaufstellen für Betroffene sexueller Belästigung.
Die Betriebsvereinbarung zur Gefährdungsbeurteilung besteht seit 2014 und legt dabei das Vorgehen der Fein- sowie Grobanalyse, beispielsweise eine spezifische Auswertung in den einzelnen Abteilungen, zu psychischen Belastungen fest.
Tipps für die Übertragung
Mehrere Befragte halten die Maßnahme für gut übertragbar. Für viele Unternehmen könne es interessant sein „reinzuhorchen“, ob das Thema im Betrieb relevant sei. Es wird darauf hingewiesen, dass die Konzeptionierung einer Gefährdungsbeurteilung sehr aufwendig sei, einer systematischen Vorbereitung seitens der betrieblichen Akteur*innen bedürfe und einem ständigen Reflektionsprozess unterliegen müsse. Die Einbindung der Thematik in eine Gesamtmaßnahme des Arbeitsschutzes, der in Unternehmen einen großen Stellenwert habe, wird als zielführende und niedrigschwellige Möglichkeit gesehen, alle betrieblichen Akteur*innen einzubeziehen.