Kurt-Schwitters-Schule, Berlin Awareness-AG
Die Awareness-AG der Kurt-Schwitters-Schule wird von Schüler*innen getragen und von der Schulsozialarbeit begleitet. Die AG befasst sich mit verschiedenen Antidiskriminierungsthemen, folgt dabei dem Peer-to-Peer-Ansatz und setzt verschiedene Aktionen um. Die Arbeit der AG ist in die Schulgemeinschaft eingebettet.
- Schulform:
- Sekundarstufe
- Handlungsfelder:
- Peer-to-Peer-Ansatz, (Anti-)Diskriminierung als Thema in AGs, Aktionen zu LGBTQIA*-Themen, Durchführung von Projekttagen, Verbesserung des Schulklimas
- Angaben zum Träger des Praxisbeispiels:
- Integrierte Sekundarschule mit gymnasialer Oberstufe
- Bundesland:
- Berlin
- Diskriminierungskategorie:
- Geschlechtsidentität, Sexuelle Identität
- Durchführung:
- seit 2014
Kontakt
D Wiltshire Soares (Schulsozialarbeit) E-Mail: soares@kurt-schwitters.schule Website: Kurt-Schwitters-Schule Berlin
Durchführende Organisation
Die Kurt-Schwitters-Schule ist eine integrierte Sekundarschule mit gymnasialer Oberstufe im Berliner Bezirk Pankow (Ortsteil Prenzlauer Berg). Im Schuljahr 2022/2023 gab es rund 1.000 Schüler*innen an der Schule und circa 100 Lehrkräfte.
Am Reflexionsgespräch Beteiligte
Das Reflexionsgespräch wurde mit der Fachkraft der psychosozialen Beratung und Betreuung der Schulsozialarbeit der Kurt-Schwitters-Schule geführt.
Ausgangslage und Motivation
Vision
Die Schule ist ein Ort der Vielfalt – dies gilt auch für die Schulgemeinschaft. Die Sichtbarkeit von LGBTQIA*-Personen unter den Schüler*innen, im Kollegium, auf der Schulleitungsebene, bei der Schulsozialarbeit, in der Elternschaft ist ein wichtiges übergeordnetes Ziel des Engagements der Awareness-AG. Sowohl die Würdigung der Bedarfe, der Lebensrealitäten und der Sichtbarkeit als auch die Sicherheit von LGBTQIA*-Personen sind wichtige Grundsätze der Arbeit der Awareness-AG.
Entstehungsgeschichte
Das erste Engagement zum Thema sexueller Vielfalt geht bereits auf das Jahr 2000 zurück. Einige Lehrkräfte haben damals den Austauschraum „Respekt Club“ zum Thema sexueller Vielfalt in der Schule geschaffen. Daran anknüpfend fand im Jahr 2014 die erste größere und erfolgreiche Aktion des Respekt Clubs statt. Später wurde daraus die Respekt AG – als AG ist sie Teil der Schulstruktur geworden. Der Respekt Club erhielt im Jahr 2017 den ersten Platz beim Schulwettbewerb fair@school der Antidiskriminierungsstelle des Bundes und des Cornelsen Verlags.
Die Arbeit der AG fand unter der Leitung der Schulsozialarbeit statt. Mit der Pandemie brach das Engagement im Rahmen der AG ein. Nach der Pandemie gründeten zwei Transschüler*innen die Awarenes-AG, die auf die Arbeit der Respekt AG aufbauen konnte.
Maßnahmenbeschreibung
Aktionen der AG
Die erste große und erfolgreiche Aktion fand im Jahr 2014 statt. Der Minibus eines Radiosenders, der zu einem kleinen Fotostudio für die Fotoaktion umgebaut wurde, machte Station auf dem Schulhof. In der Fotoaktion konnten sich gleichgeschlechtliche Schüler*innen küssen und der Kuss wurde auf einem Foto festgehalten. Aus den Fotos entstand im Anschluss auch ein Plakat, das bis heute (fast zehn Jahre später) in der Schule einen wichtigen Platz hat.
Die regelmäßigen und mindestens jährlichen Aktionen der AG zielen darauf ab, für LGBTQIA*-Themen in der Schulgemeinschaft zu sensibilisieren und sie an der Schule präsent zu halten. Darüber hinaus können die Aktionen auch Wirkung auf die Schulstruktur entfalten.
Eine weitere erfolgreiche Aktion war die Installation von genderneutralen Toiletten an der Schule. Diese Initiative ging auf das Engagement der Schulsozialarbeit zurück. Die Umsetzung fand in einem gemeinsamen Prozess von engagierten Schüler*innen und der Schulsozialarbeit mit der Unterstützung der Schulleitung statt. Die AG musste sich nicht sehr stark dafür einsetzen – denn der Wille der Schulleitung war da gewesen. Niedrigschwellig konnten die ersten genderneutralen Toiletten installiert werden. Darüber hinaus haben sich die Schüler*innen ebenso dafür eingesetzt, dass es auch eine barrierefreie All-Gender-Toilette gibt.
Beratungsangebot der Schulsozialarbeit
Die Schulsozialarbeit hält ein begrenztes und kleines Angebot der psychosozialen Beratung für Schüler*innen und Eltern bei LGBTQIA*-Themen wie beispielsweise Coming-out bereit. Das Angebot ist als Anlauf- und Erstberatung zu verstehen, die niedrigschwellig für Schüler*innen und Eltern zugänglich ist. Bei Beratungsanliegen, die eine längere Begleitung und Qualifizierung benötigen, wird an die vielfältigen Beratungs- und Unterstützungsangebote in Berlin weiterverwiesen.
Durchführung von interdisziplinären Projektwochen
Neben der Arbeit und dem Engagement der AG ist ein weiterer wichtiger Baustein die fächerübergreifende Befassung mit LGBTQIA*-Themen. Im Jahr 2023 fand zum Thema Gleichberechtigung ein interdisziplinärer Monat in der Jahrgangsstufe 10 statt. In diesem Rahmen haben sich verschiedene Schulfächer mit dem Thema Gleichberechtigung befasst. Im Geschichtsunterricht arbeiteten die Schüler*innen unter dem Titel „150 Jahre sexuelle Vielfalt in Deutschland – ein Vorbild in Europa“ aus gesellschaftlicher, historischer und rechtlicher Perspektive zur Geschichte von LGBTQIA*-Personen. Daneben wurden im Mathematikunterricht Umfragen unter anderem zu geschlechtlicher und sexueller Vielfalt erstellt, erhoben und ausgewertet. Zudem haben die Schüler*innen biografisch gearbeitet und einzelne Persönlichkeiten der LGBTQIA*-Community porträtiert. Die einzelnen Projekte können online eingesehen werden.
Mit der interdisziplinären Befassung mit LGBTQIA*-Themen im Rahmen von Projektwochen findet deren Verankerung fächerübergreifend statt. Damit wird verhindert, dass es ein Randthema einzelner engagierter Personen ist.
Workshops durch externe Akteur*innen
Zum Ende der 8. Klasse beziehungsweise zum Anfang der 9. Klasse finden Workshops zu sexueller und geschlechtlicher Vielfalt statt, die sich an den Bedarfen der Schüler*innen orientieren. Die Workshops werden von externen (außerschulischen) Akteur*innen umgesetzt und nicht von Lehrkräften oder der Schulsozialarbeit. Dies soll unter anderem zur Entlastung des Schulpersonals beitragen und den Schüler*innen einen Austauschraum ermöglichen, an dem Lehrer*innen nicht teilnehmen. Die Workshops sind im Curriculum der Schule fest verankert und finden jährlich statt.
Verstetigung und Verankerung
Die Schulaktionen der Awareness-AG, das Beratungsangebot der Schulsozialarbeit, die Projektwochen und die Workshops sind Teil der Schulstruktur. Sie werden aktuell von der Schulgemeinschaft und der Schulleitung unterstützt und getragen.
Im Leitbild der Schule ist das Thema „Geschlechtliche und sexuelle Vielfalt“ verankert. Die Schule stellt Ressourcen für die Umsetzung der verschiedenen Maßnahmen bereit.
Positive Effekte aus Sicht der Akteur*innen
Verbesserung des Schulklimas
Die verschiedenen Maßnahmen der letzten zehn Jahre tragen dazu bei, dass sich das Schulklima in Hinblick auf LGBTQIA* verbessert hat. Es gibt eine größere Achtsamkeit und Sensibilität für LGBTQIA*-Themen an der Schule.
Die Aktionen der AG tragen zu Veränderungen an der Schule bei. Sie befördern, dass die Bedarfe von intersexuellen, trans und nicht binären Schüler*innen nicht nur wahr-, sondern auch ernst genommen werden.
Die Umsetzung von interdisziplinären Projektwochen stärkt die Schulgemeinschaft, indem Schüler*innen gemeinsam mit Lehrer*innen außerhalb des regulären Unterrichts und fächerübergreifend gemeinsam LGBTQIA*-Themen erarbeiten.
Stärkung der LGBTQIA*-Community an der Schule
Die verschiedenen Projekte und Maßnahmen tragen nicht nur zu einem besseren Schulklima bei, sondern sie stärken zugleich die LGBTQIA*-Community an der Schule. Queere Themen sind kein Randthema vereinzelter engagierter Personen an der Schule, sondern sie sind sichtbar und präsent in der Mitte der Schulgemeinschaft. Dies hat einen positiven Effekt auf queere Schüler*innen, indem sie sich selbstwirksam und als Teil der Schulgemeinschaft erleben.
Gelingensfaktoren, Herausforderungen und Grenzen
Gelingensfaktoren
Unterstützung durch die Schulleitung und das Kollegium
Ein wichtiger Gelingensfaktor, der von der Schulsozialarbeit genannt wird, ist die Unterstützung und „Rückendeckung“ durch die Schulleitung und das Kollegium. Die Schulsozialarbeit erlebt die Institution Schule als helfend und fördernd. Die Zusammenarbeit mit der Schulleitung und dem Kollegium ermöglicht(e) über die vielen Jahre die Verstetigung und Verankerung der Arbeit der AG und die weiteren Maßnahmen und Projekte rund um das Thema LGBTQIA*.
Herausforderungen und Grenzen
Fluktuation der engagierten Schüler*innen
Eine Herausforderung für den Fortbestand der Awareness-AG stellt die Fluktuation von engagierten Schüler*innen dar. Viele aktive Schüler*innen verlassen mit Schulabschluss die Schule und damit endet ebenso ihr Engagement in der Awareness-AG. Nachfolger*innen zu finden, die bereits empowert sind und die Arbeit in der Awareness-AG gut fortsetzen können, gestaltet sich schwierig. Mit dem Weggang von engagierten Schüler*innen werden die Planung und Umsetzung von großen Aktionen erschwert.
Maßnahmen brauchen Ressourcen – politische Ebene gefragt
Die Schulsozialarbeit benennt die fehlenden finanziellen und personellen Ressourcen als Grenze. Die Schulleitung stellt zwar nach Möglichkeit Ressourcen zur Verfügung, aber diese reichen nicht aus, um die Projektideen zu realisieren. Die Maßnahmenvielfalt wie beispielsweise der Umbau von Toiletten benötigt weitaus mehr finanzielle Ressourcen, als bereitgestellt werden können. Hier sei die politische Ebene – der Berliner Senat – gefragt. Dieser müsse ausreichend Ressourcen für die Vorhaben zur Verfügung stellen.
Tipps für die Übertragung
Auch kleine Schritte können Wirkung entfalten
Es müssen nicht gleich von Beginn an große Aktionen oder Projekte geplant werden. Am Anfang reichen kleine Schritte beziehungsweise kleine Projektideen, um zu beginnen. Kleinere Vorhaben sind leichter zu realisieren, sie brauchen weniger Ressourcen, und es ist mit weniger Widerstand zu rechnen. Zudem können für kleinere Projekte leichter Personen – ob Schüler*innen oder Lehrkräfte – gewonnen werden, weil die Projekte überschaubar sind, klar abgegrenzt und durchführbar erscheinen. Zugleich können auch kleinere Vorhaben eine Wirkung entfalten. Daran anknüpfend kann Schritt für Schritt sich an einer Schule eine Gruppe zusammenfinden, die gemeinsam was aufbauen will.
