Pädagogisches Institut der Landeshauptstadt München Zusatzqualifikation „Schule der Vielfalt. Diskriminierungskritische Pädagogik und Schulentwicklung“
Die berufsbegleitende Weiterbildung richtet sich an Lehrer*innenteams aus Münchner Schulen aller Schularten. Die Zusatzqualifikation umfasst circa 19 Fortbildungstage, verteilt auf circa zweieinhalb Jahre, und fördert gezielt den Praxistransfer in die jeweiligen Schulen.
- Schulform:
- Berufsschule, Förderschule, Gemeinschaftsschule, Gesamtschule, Grundschule, Gymnasium, Oberschule, Sekundarstufe
- Handlungsfelder:
- Angebote für Fort- und Weiterbildung, Impulse für die diskriminierungskritische Schulentwicklung
- Angaben zum Träger des Praxisbeispiels:
- Kommunales Fortbildungsinstitut mit einem Angebot für alle Schulformen
- Bundesland:
- Bayern
- Diskriminierungskategorie:
- alle Diskriminierungskategorien (mit Schwerpunkt Rassismuskritik)
- Durchführung:
- seit 2013
Kontakt
Imke Scheurich E-Mail: imke.scheurich@muenchen.de
Durchführende Organisation
Das Pädagogische Institut – Zentrum für kommunales Bildungsmanagement (PI-ZKB) – im Referat für Bildung und Sport der Landeshauptstadt München ist Impulsgeber und Unterstützungssystem für die Bildungsarbeit in der Stadt. Es ist zuständig für die Fort- und Weiterbildung von pädagogischem Personal an Schulen und Kitas, für Beratung und Bildungsinformation sowie für internationale Bildungskooperationen.
Eine Besonderheit in München ist, dass es neben den staatlichen Schulen des Freistaats Bayern auch städtische öffentliche Schulen gibt, mit eigenen pädagogischen Schwerpunktsetzungen.
Am Reflexionsgespräch Beteiligte
An dem Reflexionsgespräch waren die für die Zusatzqualifikation „Schule der Vielfalt“ (ZQ SdV) zuständige pädagogische Mitarbeiterin sowie der Leiter des Fachdienstes Politische Bildung beteiligt.
Ausgangslage und Motivation
Das PI-ZKB hat das Ziel, Bildungseinrichtungen in München im Hinblick auf mehr Bildungsgerechtigkeit zu unterstützen. Es besteht eine systemische Differenz zwischen der sehr vielfältigen Schüler*innenschaft in einer migrantisch geprägten Stadt einerseits und dem nach wie vor fast ausschließlich weißen Lehrpersonal an den Schulen andererseits.
Dies macht ein hohes Maß an (Selbst-)Reflexion professionellen Handelns im Sinne vielfaltsbewusster und diskriminierungskritischer Bildung erforderlich, gerade auch um Schüler*innen, die von Diskriminierung betroffen sind, unterstützen und stärken zu können.
Maßnahmenbeschreibung
Die ZQ SdV für Lehrkräfteteams an Münchner Schulen umfasst circa 19 Fortbildungstage, verteilt auf zweieinhalb Jahre. In den Teams sollen mindestens zwei, besser vier Lehrkräfte pro Schule vertreten sein, damit das Thema nicht allein an einer Person in der jeweiligen Einrichtung hängt. Da der schulartübergreifende Austausch ausdrücklich erwünscht ist, sind immer Lehrkräfteteams aus verschiedenen Schularten beteiligt. Die ZQ SdV wird seit 2013 durchgeführt; mittlerweile haben sechs Jahrgänge mit 34 Schulen und 113 Lehrkräften das Programm durchlaufen. Die Weiterbildung ist für kommunale und staatliche Münchner Schulen kostenlos.
Inhalte
Im Mittelpunkt der mehrtägigen Grundmodule im ersten Jahr (Anti-Bias, Rassismuskritik, Intersektionalität; insgesamt acht Tage) stehen neben der Vermittlung von Fachwissen vor allem Reflexionsprozesse der teilnehmenden Lehrkräfte. Dabei beschäftigen sich diese insbesondere mit der eigenen sozialen Positionierung und ihrer Rolle in der Schule und vor diesem Hintergrund mit den Beziehungen zu Schüler*innen und Eltern.
Im zweiten Jahr werden in weiteren mehrtägigen Modulen konkrete Beispiele vorbildlicher Praxis in den Themenfeldern „Mehrsprachigkeit“, „Elternbeteiligung“ sowie „(Außerschulische) Beratung und Vernetzung“ in München sowie in weiteren Wahlbereichen behandelt. Im Modul „Team und Schulentwicklung“ wird der individuelle und gemeinsame Lernprozess resümiert und konkret auf die eigenen Schulen bezogen.
Im dritten Jahr schließt die ZQ SdV ab mit einer Abschlussarbeit zur Durchführung beziehungsweise Reflexion eines eigenen Praxisprojekts an der eigenen Schule und dessen Verortung im Kontext von diskriminierungskritischen Schulentwicklungsmaßnahmen.
Leitung und Durchführung
Die Zusatzqualifikation wurde konzipiert, wird durchgeführt, organisiert und kontinuierlich weiterentwickelt vom Fachdienst Politische Bildung des PI-ZKB – in Zusammenarbeit mit Expert*innen zum Thema Rassismus- und Diskriminierungskritik bundesweit.
Mitglieder des Fachdienstes begleiten die teilnehmenden Lehrkräfte über die gesamten zweieinhalb Jahre. Mindestens eine Person des Teams ist während der Module als Leitung beteiligt, um den inhaltlichen und organisatorischen Rahmen zu halten und die Gruppenprozesse zu begleiten. Die Module selbst werden von erfahrenen Expert*innen unter anderem von Phoenix e. V. (Duisburg) und vom Anti-Bias-Netz Berlin durchgeführt.
Aktivitäten an den Schulen der teilnehmenden Lehrkräfteteams
Die Teilnehmer*innen der Zusatzqualifikation unterstützen diskriminierungskritische Schulentwicklungsprozesse an ihren Schulen. Sie führen Praxisprojekte durch, indem sie zum Beispiel schulinterne Fortbildungen (in Zusammenarbeit mit dem PI-ZKB) organisieren und Projekttage mit Workshops für Schulklassen durchführen. Außerdem werden Arbeitsgruppen gegründet zum Thema „Unsere Schule wird eine Schule der Vielfalt“ und gemeinsam mit Schüler*innen Unterrichtsmaterialien oder die Ausstattung der Schulbibliothek neu gedacht und vieles mehr.
Erreichen der Zielgruppe und Auswahl der Teilnehmer*innen
Die Zielgruppe wird durch Ausschreibung der Zusatzqualifikation im Lehrkräfteprogramm des Pädagogischen Instituts sowie durch Werbung bei Veranstaltungen erreicht. Zunehmend fragen weitere Schulen auch von sich aus an. Bei der Auswahl der Schulen wird auf eine Vielfalt der beteiligten Schularten Wert gelegt. Circa 20 Prozent der Plätze sind für Schulen reserviert, die bereits an der Weiterbildung teilgenommen haben, ihr SdV-Team aber um zusätzliche Kolleg*innen verstärken wollen.
Kontakt und weitere Unterstützung nach Beendigung der Zusatzqualifikation
Nach Abschluss der Weiterbildung bietet das Pädagogische Institut den teilnehmenden Schulen unter anderem kollegiale Fallberatungen, Fachvorträge sowie schulinterne Fortbildungen für Lehrer*innen (SchiLF) an.
Die Intensität und Qualität der Umsetzung vor Ort hängen immer auch vom Engagement der Schulen selbst ab, wobei insbesondere auch die Unterstützung durch die jeweilige Schulleitung eine wichtige Rolle spielt.
Verstetigung und Verankerung
Die ZQ SdV wird von der Landeshauptstadt München im Rahmen des Etats für das PI-ZKB finanziert. Als langfristig angelegtes Projekt genießt sie einen hohen Stellenwert. Angesichts der stark ansteigenden Nachfrage ist die zukünftige Entwicklung des Projekts abhängig von der Zuschaltung weiterer Ressourcen.
Positive Effekte aus Sicht der Akteur*innen
An vielen der teilnehmenden Schulen ist eine starke Dynamik im Sinne einer diversitätsbewussteren, diskriminierungskritischeren Schulentwicklung auf den unterschiedlichen Ebenen feststellbar. Dies gilt insbesondere an Schulen, an denen auch Mitglieder der Schulleitung an der ZQ SdV teilgenommen haben. So wurden beispielsweise schulische Leitbilder überarbeitet oder neu entwickelt und entsprechende schulinterne Fortbildungen für das Kollegium sowie Workshops und Projekttage von und mit Schüler*innen durchgeführt. Zudem wurden etablierte Instrumente der Elternbeteiligung neu reflektiert und aufgestellt, Maßnahmen zur Erhöhung der Wertschätzung der Familiensprachen erprobt, Schulbriefe in verschiedene Sprachen übersetzt und vieles mehr. An einer Schule sind Schüler*innen dabei, eine eigene Empowermentgruppe aufzubauen.
Zunehmend fragen die Schulen nach schulinternen Fortbildungen zum Thema Diskriminierung beziehungsweise „Rassismus und Schule“ für das ganze Kollegium an.
Gelingensfaktoren, Herausforderungen und Grenzen
Gelingensfaktoren
Teilnahme in Projektteams
Wenn nur einzelne Lehrkräfte zu „Beauftragten“ für ein Thema weitergebildet werden, kann im Kollegium leicht der Eindruck entstehen, dass diese allein oder vornehmlich für ein Thema verantwortlich seien. Im Gegensatz dazu eröffnet der Ansatz, mehrere Lehrkräfte als Teams auszubilden, einige Vorteile: Das Wirken als Team (aus Personen mit möglichst unterschiedlichen Funktionen in der Schule) verhindert die Überforderung und das Ausbrennen der einzelnen Personen. Es befördert zudem den kontinuierlichen Austausch – untereinander im Team, mit dem Kollegium und auf unterschiedlichen Ebenen der Schule – und somit eine gemeinsame Verantwortung für die Themen. Auf diese Weise wird auch das gemeinsame Erleben von Erfolgen befördert.
Diskriminierungskritische Reflexion
Die ZQ SdV unterstützt Münchner Lehrkräfte und Schulen dabei, Vielfalt als Chance zu sehen, Diskriminierung (insbesondere auch Rassismus) wahr- und ernst zu nehmen, Schule und Unterricht differenz- und machtsensibel zu gestalten und auf individueller wie institutioneller Ebene Diskriminierung entgegenzuwirken. Dazu ist auch wichtig, dass das pädagogische Personal an Schulen und die Schule insgesamt ihre Verstrickung in Macht- und Ungleichheitsverhältnisse sowie ihr Professionalitätsverständnis reflektieren. Entsprechend besteht vor allem in den Grundmodulen viel Zeit und Gelegenheit, die je eigenen Rollen, sozialen Positionierungen und Verstrickungen in Machtverhältnisse sowie deren Auswirkungen auf die pädagogische Arbeit mit jungen Menschen in der Schule zu reflektieren – als Voraussetzung für die Entwicklung sinnvoller und nachhaltig wirksamer praktischer Maßnahmen und Projekte im nächsten Schritt.
Transfer der Themen in die Schulen
Die ZQ SdV zielt darauf, praktisch in Schulentwicklungsprozessen wirksam zu werden. Dafür werden gezielt interdisziplinäre und multiperspektivische Teams zur Bündelung bereits existenter Expertise an den Schulen aufgebaut. Die SdV-Teams werden erweitert um Schulpsycholog*innen/ Schulsozialarbeitende, Schulentwicklungsbeauftragte, Gender-Beauftragte, Zuständige für das Projekt „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“, Schüler*innen der SMV und so weiter.Auf Anfrage bietet das PI-ZKB den Schulen laufend fachliche Betreuung und Unterstützung beim Transfer der behandelten Themen in den Schulkontext.
Herausforderungen und Grenzen
Fehlende Ressourcen
Für die beteiligten Schulen ist es eine Herausforderung, dass mehrere an der Zusatzqualifikation teilnehmende Lehrkräfte gleichzeitig vertreten werden müssen. Aus der Erfahrung heraus lässt sich aber sagen, dass sich dieser Aufwand später auszahlt und sich insofern durchaus bewährt hat.
Für das Pädagogische Institut ist die Pflege des mittlerweile auf 34 beteiligte Schulen angewachsenen Netzes sehr zeitintensiv. Um die kontinuierlich wachsende Zahl beteiligter Schulen auch über die Weiterbildung hinaus intensiv begleiten und um Fachveranstaltungen für die Absolvent*innen und schulinterne Fortbildungen für die Kollegien durchführen zu können, werden immer mehr Personalressourcen am PI-ZKB benötigt.
Heterogenität der Lerngruppe und Erweiterung des Themenspektrums
Noch immer gibt es an Schulen nur wenige Lehrkräfte of Colour beziehungsweise mit eigenen Rassismuserfahrungen. Entsprechend werden die Reflexionen im Modul „Rassismuskritik“ stärker von weiß positionierten Lehrkräften bestimmt. Austausch- und Reflexionsräume beziehungsweise Empowerment-Trainings für Lehrkräfte mit Rassismuserfahrung beziehungsweise of Colour sind in der ZQ SdV zwar konzeptionell vorgesehen, werden angesichts der Zusammensetzung der Kollegien aber bislang nicht abgerufen. Entsprechende Trainings werden vom PI-ZKB aber auch außerhalb der ZQ für Pädagog*innen an Münchner Schulen und Kitas angeboten und können im Rahmen der Zusatzqualifikation anerkannt werden.
Zuletzt wurde das Konzept der ZQ SdV um das neue Grundmodul „Intersektionalität“ erweitert. Perspektivisch ist angedacht, zusätzlich oder alternativ zum Modul „Rassismuskritik“ weitere vertiefende Module zu anderen Diskriminierungsdimensionen anzubieten.
Ausbau der Zusammenarbeit mit Schulleitungen und mit anderen Stellen der Stadt
Zukünftig ist eine noch stärkere Einbeziehung der Schulleitungen notwendig. Dazu sind regelmäßige Treffen mit den Schulleitungen und SdV-Teams der beteiligten Schulen angedacht – ressourcenabhängig sowohl als Treffen mit den einzelnen Schulen als auch als Vernetzungstreffen aller beteiligten Schulen.
Eine noch engere Zusammenarbeit mit anderen Stellen der Stadt ist notwendig, um diskriminierungskritische Bildung und entsprechende Maßnahmen an Schulen auch in der Verwaltung und auf allen Ebenen stärker zu fundieren.
Tipps für die Übertragung
Bei der Gestaltung von Weiterbildungsmaßnahmen ist es ratsam, von Anfang an auch die Schulentwicklung im Blick zu haben, entsprechend Personen mit Führungsaufgaben ins Boot zu holen und ausreichende Ressourcen bereitzustellen.
Die Qualifizierung von Projektteams mit unterschiedlichen Rollen und Funktionen an der Schule ermöglicht unterschiedliche Perspektiven auf die Themen der Weiterbildung und eine gemeinsame Verantwortung dafür.
Die Qualifizierung zusätzlicher Kolleg*innen einer Schule in den Folgedurchgängen der Zusatzqualifikation ist sehr empfehlenswert. So verteilt sich das Engagement auf weitere Schultern und die Wirkmacht des SdV-Teams nach innen und außen erhöht sich.
