RAA Brandenburg Eine vielfaltsorientierte Konfliktkultur stärken – auf dem Weg zu einem gerechteren und inklusiveren Miteinander in Schule und Hort
Die sechsmodulige Fortbildungsreihe qualifiziert multiprofessionelle Teams aus acht Brandenburger Schulen zu Konfliktbearbeitung. Sie bezieht dabei diskriminierungskritische Aspekte systematisch ein und etabliert das Gelernte über kleine Projekte an den Schulen.
- Schulform:
- Gymnasium, Berufsschule, Gesamtschule, Grundschule, Oberschule
- Handlungsfelder:
- Angebote für Fort- und Weiterbildung, Impulse für die diskriminierungskritische Schulentwicklung
- Angaben zum Träger des Praxisbeispiels:
- Gemeinnütziger Verein, der mit Grundschulen, Oberschulen, Gymnasien, beruflichen Schulen und Gesamtschulen arbeitet
- Bundesland:
- Brandenburg
- Diskriminierungskategorie:
- alle Diskriminierungskategorien
- Durchführung:
- seit 2021
Kontakt
Nele Kontzi E-Mail: n.kontzi@raa-brandenburg.de Waltraud Eckert-König, Schulberaterin RAA Potsdam E-Mail: w.eckert-koenig@raa-brandenburg.de Website Telefon: 0331 7478015 Website: https://raa-brandenburg.de/Niederlassungen/RAA-Potsdam
Durchführende Organisation
Die Regionalen Arbeitsstellen für Bildung, Integration und Demokratie, Brandenburg (RAA Brandenburg), arbeiten als eine landesweit agierende, unabhängige Unterstützungsagentur für Bildung und Integration. Sie entwickeln Angebote für Multiplikator*innen zur demokratischen Integration verschiedener gesellschaftlicher Gruppen.
Die Trainer*innen der Fortbildungsreihe sind zwei regionale Schulberater*innen und ein Regionalberater für Bildung und Integration im außerschulischen Bereich.
Die Schulberatung ist vom Bildungsministerium des Landes beauftragt, Schulen bei den Themen Demokratiebildung, Beteiligung und Antidiskriminierung zu beraten und fortzubilden sowie Entwicklungsprozesse zu begleiten. Die Regionalberatung wird über das Budget der Integrationsbeauftragten des Landes finanziert.
Ausgangslage und Motivation
Bei der Schulberatung wurde immer wieder die Unsicherheit von Pädagog*innen im Umgang mit Konfliktsituationen, bei denen Diversität und Diskriminierung eine Rolle spielen, sichtbar. Das Fortbildungsangebot will daher die Pädagog*innen für den Umgang mit diesen Konflikten sensibilisieren, professionalisieren und sie in ihrer Handlungssicherheit stärken.
Der erste Durchgang der Fortbildungsreihe hatte noch stärker eine „vielfaltsorientierte Mediation“ zum Thema, im zweiten Durchgang wurde der Fokus auf eine „vielfaltsorientierte Konfliktkultur“ gelegt. Dies gab mehr Raum, diskriminierungsrelevante Konfliktursachen tiefer zu behandeln.
Wegen der besseren Anschlussfähigkeit wird der Begriff „vielfaltsorientiert“ verwendet, aber mit diskriminierungskritischen Inhalten gefüllt. Konfliktbewältigung wird somit auch als Türöffner verstanden, um zu diskriminierungskritischen Themen zu arbeiten.
Maßnahmenbeschreibung
Die Fortbildungsreihe
Das Fortbildungsangebot umfasst sechs Module à eineinhalb Tage. Die Module starten donnerstags nachmittags für vier Stunden und finden am Freitag den ganzen Tag statt. So müssen die Teilnehmenden nur einen Tag freigestellt werden. Die Module finden in Präsenz statt.
Die Teilnehmenden
- entwickeln ein gemeinsames Verständnis von Diskriminierung
- verstehen die Zusammenhänge zwischen gesellschaftlich verankerten Bildern und der Bewertung von Konfliktsituationen.
- lernen, in der Konfliktbearbeitung eine vielfaltsorientierte Perspektive einzunehmen und dabei eigene Bilder und Vorurteile zu reflektieren.
- erkennen, dass gesellschaftlich verankerte Bilder auch die Leistungsbewertung, das eigene Verhalten gegenüber bestimmten Schüler*innen, den Umgang mit deren Familien und damit letztlich den Lernerfolg der Kinder und deren Start ins Leben maßgeblich beeinflussen können.
- entwickeln somit ein Verständnis von strukturellen und institutionellen Diskriminierungen
- klären ihre Verantwortung für Konflikte in ihrer jeweiligen professionellen Aufgabe.
Die einzelnen Module haben thematische Schwerpunkte
- Wertschätzende Kommunikation
- Konflikte als Lernchance
- Vielfaltsaspekte und die damit verbundenen Benachteiligungen
- Diskriminierungsrisiken im pädagogischen Alltag
- sErkennen der eigenen Wirkmacht
Die Inhalte werden im Verlauf der Fortbildungsreihe – orientiert an den Bedarfen der Teilnehmenden – angepasst.
Das Team arbeitet mit biografischen Methoden sowie Methoden der Reflexion von Praxissituationen.
Die Teilnehmenden erhalten zwischen den Modulen Beobachtungs- und Wahrnehmungsaufgaben.
Transfer in die Schule
Die Teilnehmenden entwickeln gegen Ende der Fortbildungsreihe ein Praxisprojekt beispielsweise zu den Themen „Fortbildung des Kollegiums“, „Sensibilisierung für verschiedene Diskriminierungsformen“, „Umgang mit Beschwerden“. Im Sinne des Mehrebenenansatzes (Educational Governance) kann dies auch als Schulentwicklungsbaustein verstanden werden.
An sechs Schulen aus den beiden Jahrgängen hat das Team selbst einzelne Entwicklungsschritte oder längere Prozesse begleitet.
Anschlussangebote
Da die RAA in ihrer Rolle als Schulberater*innen ohnehin die Aufgabe der Prozessbegleitung haben, gibt es auch nach der Fortbildungsreihe die Möglichkeit, die beteiligten Schulen zu begleiten. Aus dem ersten Durchlauf ist beispielsweise eine Schule dabei, sich intensiver mit dem Thema Diskriminierung zu befassen (Fortbildung des Kollegiums, Sensibilisierung für verschiedene Diskriminierungsformen, Umgang mit Beschwerden). Hierzu wurden Schulberater*innen als Prozessbegleiter*innen hinzugezogen.
Zielgruppe
Es nehmen immer mehrere Personen aus einer Schule an der Fortbildungsreihe teil. Im besten Fall ist das ein multiprofessionelles Team, also Schulleitung und Hortleitung, Lehrkraft und pädagogische Fachkraft aus dem Hort sowie die Schulsozialarbeit. Innerhalb der Module haben die jeweiligen Tandems Zeit, die Themen direkt mit Bezug zur eigenen Schule aufzuarbeiten.
Die pädagogischen Fachkräfte werden über die Verteiler der staatlichen Schulämter erreicht und zusätzlich durch die regional verankerte Arbeit der Schulberater*innen.
Im Einzelfall wurden aufgrund aktueller Konfliktlagen einzelne Schulen von den Schulämtern aufgefordert, an dem Programm teilzunehmen.
Heterogenität in der Gruppe der Teilnehmenden und bei den Trainer*innen
Das Team der Schulberatung sowie die Teilnehmenden haben kaum eigene Rassismuserfahrungen. Es ist auch in der Fortbildung ein Thema, dass es ein weißer Raum ist, in dem fast alle eine in Bezug auf Rassismus privilegierte gesellschaftliche Position einnehmen. Es wurden aber andere Diskriminierungserfahrungen thematisiert, zum Beispiel zu geschlechtlicher Vielfalt, Klassismus, Ost-West-Themen und chronischer Krankheit.
Verstetigung und Verankerung
Die Finanzierung über Landesmittel ist gesichert. Die Nachfrage nach dem Angebot ist hoch, daher ist aktuell ein dritter Durchgang in Planung.
An den Schulen ist das Projekt unterschiedlich tief verankert. Teilnehmende einiger Schulen haben an ihren Einrichtungen Steuergruppen gegründet, die durch die Verankerung der Themen (Diskriminierung, Gewaltprävention, nachhaltige Konfliktbearbeitung) zur Schulentwicklung beitragen.
Positive Effekte aus Sicht der Akteur*innen
Wirkungen auf die Teilnehmenden
Die Teilnehmenden sind sensibilisiert und motiviert, sich mit Teilhabe und Benachteiligung intensiv zu beschäftigen, um zu mehr Bildungsgerechtigkeit beizutragen. Sie beschreiben konkreten Wissenszuwachs und eine Erweiterung der Handlungskompetenzen. Als besonders wertvoll wurde immer wieder genannt, einen angeleiteten Raum für Reflexion im Team und Zeit für gemeinsame Projektentwicklung zu bekommen, da dies im schulischen Alltag meist untergehe.
Wirkungen auf die Institution Schule
Die Umsetzung der gelernten Inhalte braucht Anlässe. Durch die Ausbildung waren die Teilnehmenden aber gut vorbereitet, dann zu reagieren, wenn es einen Konflikt gab.
So war an einer Schule bekannt, dass der*die Schulsozialarbeiter*in und eine Lehrkraft an der Fortbildungsreihe teilgenommen hatten. Sie wurden als eine Art „informelle Antidiskriminierungsbeauftragte“ wahrgenommen, als ein zusätzliches Angebot zu den Vertrauenslehrer*innen. Dies wurde in Konferenzen auch so vorgestellt.
An einer anderen Schule wurde infolge der Fortbildungsreihe die Rolle von Schüler*innen als Streitschlichter*innen in Diskriminierungsfällen reflektiert. Dabei wurde festgelegt, dass sie keine Konflikte mediieren sollen, an denen Lehrkräfte direkt beteiligt sind.
Gelingensfaktoren, Herausforderungen und Grenzen
Gelingensfaktoren
Zugang über das Thema Konflikt
Den Zugang über das Therma Konflikt und nicht direkt über das Thema Diskriminierung zu wählen, hat sich bewährt.
Konflikte waren tatsächlich aktuelle Lernanlässe in der Gruppe. Nicht bei allen Konflikten sind die diskriminierungsrelevanten Aspekte von Beginn an sichtbar gewesen und aus der Sicht der Teilnehmenden zunächst kein „Diskriminierungsthema“. Ihre Bereitschaft war aber hoch, bei der Bearbeitung von Konflikten auch macht- und diskriminierungskritische Perspektiven mitzudenken.
Multiprofessionelle Teilnehmendengruppe
Aus der Perspektive der Teilnehmenden wird die multiprofessionelle Zusammensetzung der Fortbildungsgruppe als wichtig beschrieben. Dies helfe, sowohl die jeweils andere professionelle Rolle und Perspektive auf Konflikte und Diskriminierung besser zu verstehen als auch die eigene klarer beschreiben zu können.
Beispielsweise ist es für die Schulsozialarbeit gerade im Umgang mit diskriminierenden Konflikten bedeutsam, ob ihre professionelle Rolle als soziale Arbeit an der Schule im Kollegium anerkannt ist. Ihr Auftrag ist ein anderer als der einer Lehrkraft. Gleichzeitig braucht sie wiederum die Unterstützung aus dem Kollegium, um bestimmte Maßnahmen umsetzen zu können.
Tandems aus einer Schule
Sehr wichtig war, dass aus den jeweiligen Schulen Tandems teilgenommen haben, oft auch multiprofessionell besetzt. Hier wirkt zum einen der gegenseitige Perspektivwechsel mit dem*der Tandempartner*in als unmittelbarer Mehrwert in die Schule hinein. Es ist aber auch ein Vorteil, dass mindestens zwei Personen gemeinsam die Impulse aus der Fortbildungsreihe in die Schulentwicklung einbringen können. Ein Beispiel war die Rollenklärung im Umgang mit Konflikten zwischen Hort- und Schulleitung und eine in der Folge bessere Kommunikation.
Netzwerkbildung
Von den Teilnehmenden wird auch hervorgehoben, dass sie die Fortbildungsreihe als persönliche Stärkung erlebt haben. Sie haben hier gemerkt, dass sie mit den Themen nicht allein sind. Es ist auch über die Fortbildungsreihe hinaus eine Vernetzung zwischen den Teilnehmenden entstanden.
Herausforderungen und Grenzen
Nachhaltige Wirkungen nach Ende der Fortbildungsreihe
Wie bei vielen Weiterbildungsangeboten besteht nach Beendigung die Gefahr, dass ohne die Energie aus der Gruppe eine nachhaltige Umsetzung nicht gelingt.
Es gibt daher aus der Fortbildungsgruppe den Wunsch, einmal im Jahr ein Treffen der Teilnehmenden zum Fachaustausch zu organisieren. Gerade bei solchen Weiterbildungskonzepten, die über einen längeren Zeitraum in verschiedenen Durchgängen angeboten werden, kann so ein wirksames Netzwerk entstehen.
Beteiligung der Schulleitung
Wenn die Leitung nicht an der Fortbildungsreihe beteiligt ist, ist es bei der Implementierung der Impulse aus der Fortbildungsreihe in die Schule deutlich schwerer, das Kollegium gut mitzunehmen. Diskriminierungskritische Schulentwicklung ist Leitungsaufgabe. Es ist daher eine Weiterentwicklungsmöglichkeit des Konzepts, dass die Leitung zumindest partiell teilnehmen muss.
Fehlende Perspektiven
Die fehlende Heterogenität der Teilnehmenden in Bezug auf das Thema Rassismus führt dazu, dass die Perspektive von Betroffenen in diesem Themenbereich fehlt.
Tipps für die Übertragung
Wichtig ist es, die Teilnehmenden zu motivieren und ihnen Mut zu machen, in ihrer pädagogischen Arbeit vermeintlich „heiße Eisen“ anzugehen und im besten Fall schon zu handeln, bevor Konflikte eskalieren und Menschen durch Diskriminierung verletzt werden.
Dazu braucht es eine Haltung, die den Teilnehmenden vermittelt: „Das ist nichts Besonderes, nichts Zusätzliches, sondern es ist eure pädagogische Arbeit, die ihr hier macht.“ Dafür hilft es, in den Seminarmodulen weniger mit Übungen und Theorieinputs zu arbeiten, sondern unmittelbar an Fragen aus der konkreten Praxis der Teilnehmenden anzusetzen.
Es ist ein großer Gewinn, die Fortbildungsreihe als Leitungsteam zu gestalten, vor allem für multiprofessionelle Teams. Allerdings muss genug Zeit für die Vor- und Nachbereitung der Module eingeplant werden.
