Ricarda-Huch-Schule, Gießen Ricardas Respekt Club
Der Respekt Club ist eine queere AG im Wahlprogramm der Schule. Er versteht sich als Treffpunkt und Raum für alle, die sich der LGBTQIA*-Community zugehörig fühlen oder sich dafür interessieren. Neben dem Erfahrungsaustausch will der Club über verschiedene kleine Projekte die Sichtbarkeit des Themas an der Schule erhöhen. Die Lehrkräfte, die den Respekt Club leiten, bieten auch Beratung für Schüler*innen, Eltern und Lehrkräfte an, ebenso wie die Entwicklung von Unterrichtseinheiten mit queeren Inhalten.
- Schulform:
- Gesamtschule
- Handlungsfelder:
- Diskriminierung als Thema in AGs, Diskriminierung als Thema im Unterricht, Schulinternes Beratungsangebot, Empowermentorientierte Angebote an der Schule
- Angaben zum Träger des Praxisbeispiels:
- Kooperative Gesamtschule mit gymnasialer Oberstufe in Gießen
- Bundesland:
- Hessen
- Diskriminierungskategorie:
- Sexuelle Identität, Geschlechtsidentität
- Durchführung:
- seit 2019
Kontakt
Ricarda-Huch-Schule, Gießen, Dammstraße 26, 35390 Gießen Telefon: 0641 3063191 Fax: 0641 3063195 Website: Ricarda-Huch-Schule Gießen Marco Weisbecker E-Mail: marco.weisbecker@schule.hessen.de Lisa Bock E-Mail: lisa.bock@rhs.schule
Durchführende Organisation
Die Ricarda-Huch-Schule ist eine Stadtschule in Gießen mit circa 1.200 Schüler*innen. Die kooperative Gesamtschule mit den Jahrgängen 5 bis 13 hat ihr Einzugsgebiet in einem Stadtteil mit vielfältigen sozialen Problemen.
Am Reflexionsgespräch Beteiligte
Das Gespräch wurde mit einer der beiden Lehrkräfte geführt, die den Respekt Club anleiten.
Ausgangslage und Motivation
„Ricardas Respekt Club“ wurde ursprünglich als Initiative zur Umsetzung des seit 2016 geltenden „Lehrplans zur Sexualerziehung an den allgemeinbildenden und beruflichen Schulen in Hessen“ ins Leben gerufen.
Gleichzeitig wurde sowohl von einem Teil der Lehrkräfte als auch von Schüler*innen der Bedarf formuliert, der queerfeindlichen Stimmung im Umfeld der Schule etwas entgegenzusetzen. Aus der Schüler*innenvertretung kam die Idee, eine AG zu gründen, um die Sichtbarkeit queerer Personen an der Schule zu erhöhen und Queer-Ally-Personen zu gewinnen.
Vor diesem Hintergrund starteten zwei Lehrkräfte die AG, die von Beginn an auch das Ziel hatte, der Sexualerziehung an der Schule neue Impulse zu geben.
Maßnahmenbeschreibung
Beratungsangebot
Aus dem Respekt Club heraus hat sich ein Beratungsangebot für Schüler*innen, Eltern und andere Lehrkräfte entwickelt.
Die Beratung erfolgt durch die beteiligten Lehrer*innen. Schüler*innen nutzen dieses Angebot vor allem als Erstberatung bei Fragen rund um das Coming-out. Darüber hinaus sind sie an guten Informationen interessiert, wie zum Beispiel der Internetplattform „Für queere Jungs!“ (https://mag.dbna.com/) oder Kinder-Trans-Netz (www.trans-kinder-netz.de/).
- Für Eltern von trans* Kindern geht es besonders um rechtliche Belange, Beratungsstellen und medizinische Stellen für die Transition.
- Lehrkräfte fragen nach unterrichtsrelevanten Materialien rund ums Thema Queer und haben Fragen zum Umgang mit queeren Schüler*innen, insbesondere bei Transpersonen.
- Über die Beratung werden auch Fälle von Queerfeindlichkeit gemeldet.
Die AG
Der Respekt Club war bis in die Coronazeit hinein eine freiwillige AG, die sich einmal die Woche für eine Doppelstunde traf. Er bot einen Schutzraum, um über Themen queerer Identität ins Gespräch zu kommen. Die Mehrheit der Schüler*innen, die sich im Respekt Club trafen, waren queer, es gab aber auch einige Allies.
Jeweils eine Lehrkraft übernahm die Vorbereitung und schlug zum Beispiel kurze Filmbeiträge vor oder es wurden Gäste zu aktuellen politischen Themen eingeladen. Das Ziel war dabei immer Erfahrungsaustausch und nicht Wissensvermittlung.
Aus der AG heraus entwickelten sich immer wieder kleine Projekte, die im Schulleben die Sichtbarkeit von queeren Themen erhöhen. Die erste Aktivität der AG war ein Thementisch zu queerer Literatur in der Bibliothek. Daraus entstand die Teilnahme am Projekt „#95neueThesen“ des hessischen Kultusministeriums und des Hessischen Rundfunks.
Zwischenzeitlich war die AG als Wahlprogramm an der Schule etabliert. Dies gab ihr eine größere Sichtbarkeit und den Schüler*innen eine größere Anerkennung für diese Arbeit. Die ursprüngliche Idee, die AG als Pflichtkurs zu führen, wurde fallen gelassen. Dafür hätte es ein nachprüfbares und benotetes Curriculum gebraucht.
Seit Beginn der Coronapandemie war der Respekt Club in der Schule nicht mehr in gleicher Weise präsent wie vorher. Einige Teilbereiche sind in den Hintergrund getreten. So ist die AG aktuell auch aus Personalmangel nicht mehr im Wahlprogramm an der Schule verankert. Dies wird für die künftigen Schuljahre allerdings wieder angestrebt.
Aktuell entsteht aus der Schulsozialarbeit heraus eine neue AG zum Thema Rassismus und es gibt die Idee, beide Themen dann im Respekt Club zu verknüpfen.
Verstetigung und Verankerung
Es gibt aktuell zwei beauftragte Lehrkräfte, die den Respekt Club betreuen.
Um ihn zukünftig in das Schulprogramm aufnehmen zu können, wird die Arbeit perspektivisch ausgebaut, sodass die Inhalte auch unabhängiger von wenigen engagierten Lehrkräften verankert werden können. Zudem ist auch eine personelle Erweiterung ein Ziel, um den Respekt Club auch bei personellen Veränderungen erhalten zu können.
Positive Effekte aus Sicht der Akteur*innen
Der wichtigste Effekt besteht für queere Schüler*innen darin, einen Raum an der Schule zu haben, in dem sie sich geschützt austauschen können.
Durch den Respekt Club wurde auch die Sichtbarkeit von queeren Themen an der Schule erhöht.
Dies hat Effekte auf verschiedenen Ebenen:
- Bei Abschlussprüfungen werden deutlich mehr queerspezifische Themen gewählt.
- Schüler*innen melden Fälle von Queerfeindlichkeit und erwarten von den Lehrkräften, dass sie diesen entgegenwirken.
- Lehrkräfte lassen sich immer wieder fachlich im Rahmen des Beratungsangebots unterstützen.
- Ein spezieller „Respektbutton“ für alle Ally-Lehrkräfte dient als „Türöffner“ für queere Themen.
- Einzelne Teile des Programms des Respekt Clubs werden im Unterricht genutzt.
- Es setzen sich mehr Lehrkräfte für das Thema ein.
- Über das Beratungsangebot finden ein- bis zweimal im Monat Beratungsgespräche statt.
Gelingensfaktoren, Herausforderungen und Grenzen
Gelingensfaktoren
Schutzraum mit Allies
Wenn sich eine queere AG als Empowermentraum versteht, der als Safer Space (sicherer Raum) ausschließlich von queeren Schüler*innen besucht werden darf, würde der Besuch der AG ein Outing bedeuten. Dies ist als schulisches Angebot generell problematisch, besonders aber bei Schulen in einem queerfeindlichen Umfeld.
Ricardas Respekt Club steht daher allen offen, die sich für das Thema interessieren, bietet aber gleichzeitig so viel Schutz wie möglich. Dass dies gelingt, zeigt sich dadurch, dass der Club vorwiegend von queeren Schüler*innen besucht wird.
Schutz gewährleisten
Keine Person, die den Respekt Club besucht, muss sich outen. Aber es gibt eine regelmäßige Einstiegsrunde, bei der alle sagen können, mit welchem Pronomen sie angesprochen werden dürfen/sollen. Dies gibt allen die Möglichkeit, sich als diejenige Person vorzustellen, als die sie gesehen werden möchten. Eine der zentralen Regeln der AG ist, dass diese Informationen nicht bewertet und vertraulich behandelt werden.
Engagierte Lehrkräfte
Der Respekt Club wäre nicht ohne Lehrer*innen möglich, für die diese Aufgabe eine Herzensangelegenheit ist. Sie setzen dafür nicht nur die über den Lehrauftrag deutlich hinausgehende Zeit ein, sondern gehen auch Risiken von Anfeindungen ein. Deshalb ist es wichtig, dass sie in der Schule wie privat ein Umfeld haben, das sie bei Anfeindungen unterstützt.
Herausforderungen und Grenzen
Konfrontation mit einem queerfeindlichen Umfeld
Ricardas Respekt Club hatte immer mit Widerstand zu kämpfen. So gab es Boykottversuche durch – aus ganz unterschiedlichen Gründen – queerfeindliche Eltern und Schüler*innen. Eine von der AG eingerichtete Infotafel wurde von Schüler*innen wieder zerstört. Eltern nutzten den Elternsprechtag, um die beteiligten Lehrkräfte zu bedrängen.
Umgang mit konkreten Vorfällen
Aufgrund ihrer Position als Leitung des Respekt Clubs werden die Lehrkräfte auch als Anlaufstelle genutzt, wenn Schüler*innen sich über Diskriminierung durch Lehrkräfte beschweren. Da es wie an vielen Schulen kein definiertes Verfahren bei Diskriminierungsmeldungen gibt, nehmen sie sich in einigen Fällen der Sache an. Dabei gehen sie auf kollegialer Ebene mit den betroffenen Lehrkräften oder Schüler*innen ins Gespräch. Damit haben sie gute Erfahrungen gemacht. Sie sind aber davon abhängig, ob sich die angesprochenen Personen auf ein Gespräch einlassen. Einfacher ist es, wenn Lehrkräfte auf die Respekt-Club-Lehrer*innen zukommen, weil sie für ein Problem in ihrer Klasse Unterstützung brauchen.
Resilienz
Gerade in einer großen Schule ist es sinnvoll, die Arbeit auf viele Schultern zu verteilen, da Beratung, persönliche Fortbildung zu queeren Themen und Rückschläge viel Kraft kosten. Wenn von wenigen engagierten Lehrkräften darüber hinaus noch einzelne aus diversen Gründen für längere Zeit ausfallen, spitzt sich die Lage zusätzlich zu. Da dies kein dauerhafter Zustand ist, ist die Schulleitung offen, im Rahmen der Erweiterung und Stabilisierung des Respekt Clubs diesen auf breitere Füße zu stellen.
Tipps für die Übertragung
Angesichts der Erfahrung der mehrjährigen Arbeit im Respekt Clubs sehen die beteiligten Lehrer*innen verschiedene Aspekte, die ein solches Angebot stärken:
- Es ist wichtig, die AG so zu gestalten, dass sie als Schutzraum erlebt wird.
- Es braucht auch eine möglichst gute strukturelle Verankerung der AG in der Schule. Dafür ist es wichtig, dass es ergänzende regelmäßige Angebote wie fest etablierte Lesestunden gibt, bei denen queere Fragen thematisiert werden.
- Es ist hilfreich, wenn Themen der AG an verschiedenen Stellen des Schullebens auftauchen, zum Beispiel durch besonders gekennzeichnete Literatur in der Schulbibliothek.
- Es stärkt die Arbeit der AG, wenn sich die Schule zum Thema positioniert.
