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Stadtteilschule Am Hafen, Hamburg Anlaufstelle bei Diskriminierung

Die Schule baut derzeit eine Anlaufstelle für Schüler*innen und Lehrer*innen auf, die an der Schule Diskriminierung erfahren. Sie wird von der AG Diversität getragen. In dieser AG sollen für betroffene Schüler*innen und Lehrer*innen Handlungsketten entwickelt werden, was bei auftretenden Diskriminierungsvorfällen zu tun ist. Parallel gibt es bereits eine Praxis der Beratung von Schüler*innen in Fällen von Diskriminierung.

Schulform:
Gesamtschule
Handlungsfelder:
Aufbau einer internen Beratungsstruktur, Interventionen bei Diskriminierungsfällen
Bundesland:
Hamburg
Diskriminierungskategorie:
alle Diskriminierungskategorien
Durchführung:
seit 2022

Kontakt

Esra Yenigün-Yaman, Lehrerin und Koordinatorin der AG Diversität E-Mail: ag.diversitaet@stsah.de

Durchführende Organisation

Die Stadtteilschule Am Hafen hat drei Standorte (Jahrgangsstufe 5/6, Jahrgangsstufe 7–10, Jahrgangsstufe 11–13) mit insgesamt gut 1.000 Schüler*innen. Sie versteht sich als Schule für alle, an der sämtliche Abschlüsse erworben werden können.

Am Reflexionsgespräch Beteiligte

Das Reflexionsgespräch führten wir mit der Lehrerin, die als qualifizierte interkulturelle Koordinatorin die AG Diversität koordiniert, und der Oberstufenleitung.

Ausgangslage und Motivation

Der Anlass

Viele Schüler*innen der Schule sind von Klassismus und Rassismus betroffen. Der konkrete Anlass für die Schule, sich mit dem Thema Diskriminierung zu beschäftigen, war dann ein konkreter Vorfall. Für die Schulleitung wurde an diesem Fall deutlich, dass es an ihrer Schule Diskriminierung gibt. In der Nachbearbeitung wurde klar, dass es eine Anlaufstelle für die Betroffenen braucht, um Diskriminierungsvorfälle angemessen aufzuarbeiten und insgesamt ein besseres Miteinander und ein gutes Schulklima zu schaffen. Die Schule will damit bestehende Probleme ernst nehmen und die Akteur*innen der Schulgemeinschaft stärken.

Gründung der AG Diversität

Eine Lehrkraft besuchte die vom Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung angebotene Qualifizierung zur interkulturellen Koordinatorin und übernahm die Leitung der im Kollegium neu gegründeten AG Diversität.
Mit der Gründung der AG war die Erwartung der Schulleitung verbunden, auch Beschwerden bezüglich Diskriminierung von Schüler*innen und Lehrkräften entgegenzunehmen und zu bearbeiten.

Maßnahmenbeschreibung

Die Anlaufstelle

Die AG Diversität ist neben präventiven Aufgaben auch zuständig für alle Fälle von Diskriminierung an der Schule. Stand zunächst das Thema Rassismus im Vordergrund, bearbeitet die AG inzwischen alle Diskriminierungskategorien. Neben der AG gibt es einen Beratungsdienst, der aus ausgebildeten Beratungslehrkräften und Sozialpädagog*innen besteht. Seit dem Schuljahr 2022/2023 wird die zu Beginn eher informelle Praxis zu einer zunehmend formellen Anlaufstelle mit definierten Handlungsketten weiterentwickelt. Diese sehen wie folgt aus: Es wenden sich Schüler*innen an die AG, die sich von anderen Schüler*innen oder Lehrkräften diskriminiert fühlen. Auch Klassenlehrer*innen melden Fälle.

Je eine Person aus der AG und dem Beratungsdienst bilden das fallaufnehmende Team. Sie führen Gespräche mit den Beschwerdeführenden und den Diskriminierungsverursachenden. Dabei geht es darum zu erfahren, was konkret passiert ist, und zu prüfen, ob es sich um Diskriminierung handelt. Das erste Ziel der Gespräche ist es, nach Möglichkeiten zu suchen, den Konflikt direkt zu schlichten, beide Seiten zueinanderzubringen und konkrete Verabredungen zu treffen. Die Ergebnisse der Gespräche werden protokolliert.

Die schulinterne Anlaufstelle hat keine Sanktionsmöglichkeiten. Bei Fällen, bei denen es sich eindeutig um einen diskriminierenden Vorfall handelt und/oder eine Schlichtung nicht möglich ist, werden die Ratsuchenden an die externen Antidiskriminierungsberatungsstellen amira oder read verwiesen.

Wenden sich Lehrer*innen oder Sozialpädagog*innen, die durch Kolleg*innen an der Schule Diskriminierung erfahren haben, an die AG, werden die Fälle von der AG Diversität aufgenommen und über den weiteren Verlauf beraten. Wenn es keine Klärung gibt oder das Gespräch verweigert wird, wird der Fall an die Abteilungsleitung oder Schulleitung weitergereicht.

Der neben der Anlaufstelle bestehende allgemeine Beratungsdienst steht den Beteiligten als Unterstützung immer zur Verfügung.

Wenn Fälle in der Klasse aufgetreten sind, unterstützt er die Klassenlehrer*innen dabei, eine respektvolle Kommunikation und Regeln des Umgangs zu etablieren.

Verstetigung und Verankerung

Die AG Diversität ist in der Schulstruktur fest etabliert. Die beteiligten Lehrkräfte erhalten für die Arbeit eine Deputatsstunde, die Leitung erhält für die Koordination zwei Deputatsstunden. Die ausgearbeiteten Handlungsketten für eine transparente Klärung des Beschwerdeverfahrens liegen noch nicht vor.

Aus Sicht der am Gespräch beteiligten Lehrkraft ist es für die Schüler*innen ein großer Unterschied zu wissen, dass es eine Anlaufstelle gibt, an die sie sich wenden können, wenn sie an der Schule Diskriminierung erfahren. Sie sind nun nicht mehr allein mit ihren Erfahrungen und Emotionen. Sie fühlen sich bei den Kolleg*innen des Beratungsdienstes aufgehoben.

Schüler*innen nutzen das Angebot sowohl per E-Mail als auch im persönlichen Kontakt. In manchen Fällen konnten gute Lösungen gefunden werden.

Gelingensfaktoren, Herausforderungen und Grenzen

Gelingensfaktoren

Die Personen

Eine wichtige Rolle spielt die personelle Besetzung des fallaufnehmenden Teams, das meist aus der interkulturellen Koordinatorin oder einem Mitglied der AG Diversität und einer Sozialpädagogin des Beratungsdienstes besteht. Beide Stellen sind vielen Akteur*innen aus allen drei Standorten der Schule bekannt und genießen Vertrauen seitens der Kolleg*innen wie der Schüler*innen.

Auch über ihre Aufgabe in der Schulbibliothek ist die interkulturelle Koordinatorin mit vielen Schüler*innen bekannt und im direkten Kontakt. Ihre eigene Migrationsgeschichte hilft den Schüler*innen ebenfalls, Vertrauen aufzubauen.
Die beiden Kolleg*innen im fallaufnehmenden Team verstehen sich immer auch als Anlaufstelle mit einem Beratungsauftrag. So sehen sie es auch als ihre Aufgabe, einige Wochen nach Abschluss des Falls mit den betroffenen Schüler*innen nochmals in Kontakt zu treten.

Qualifizierung und Vernetzung

Die mehrjährige Qualifizierung als interkulturelle Koordinatorin gibt der Lehrkraft ein gutes fachliches Fundament. Alle anderen AG-Mitglieder haben eine Qualifizierung als Diversity Dive In Trainer*innen (siehe unten) und bilden sich im Bereich Rassismuskritik fort.

Die AG und der Beratungsdienst sind gut vernetzt mit externen Beratungsstellen wie beispielsweise der Antidiskriminierungsberatung, der Beratung für Opfer rassistischer Gewalt oder der Beratungsstelle für interkulturelle Erziehung am Landesinstitut Hamburg. Dort erhalten sie schnell und unkompliziert eine fundierte Fachberatung.

Herausforderungen und Grenzen

Klärung des Mandats

Die enorme Bedeutung eines geklärten Mandats für die Kolleg*innen, die mit der Aufgabe betraut sind, zeigte sich in der Praxis. Dies betrifft auch die Zeit, in der es noch keine offizielle Stelle für die Entgegennahme von Beschwerden gab. Wie an vielen anderen Schulen auch, wurden die Personen, die sich in der Schulgemeinschaft mit dem Thema Diskriminierung auskennen oder hier eine offizielle Rolle als Antidiskriminierungsbeauftragte haben, mit konkreten Diskriminierungsbeschwerden adressiert. Bei einem ungeklärten Mandat führte dies für die Kolleg*innen schnell zu Unsicherheit und Überlastung.

Auch in der aktuellen Praxis der Beratungsteams ist das Mandat noch nicht eindeutig definiert. Ist es eher eine Beratungsstelle, eine Schlichtungsstelle oder eine Beschwerdestelle? Diese verschiedenen Rollen können miteinander in Konflikt geraten. Als Beschwerdestelle müsste sie den Sachverhalt ermitteln. Dies bedeutet, die Beschwerdeführenden aus einer neutralen Position heraus zu befragen. Die Rolle als Schlichtungsstelle legt einen allparteiischen Ansatz nahe. Für eine Beratungsstelle könnte es wiederum zunächst darum gehen, der Person, die eine diskriminierende Verletzung erlebt hat, einen Raum zu geben, in dem ihre Wahrnehmung nicht durch kritische Nachfragen infrage gestellt wird.
Da das Beratungsteam keine Sanktionsmacht hat, ist es keine klassische Beschwerdestelle, der Schwerpunkt liegt auf Schlichtung und Beratung.

Fälle von Diskriminierung durch Lehrer*innen

Als besonders herausfordernd beschreiben die Beteiligten Diskriminierungsfälle, in denen Mitarbeiter*innen von Schüler*innen als diskriminierungsverursachend benannt werden. Bei Versuchen der direkten Kontaktaufnahme haben die Lehrkräfte hier oft eine Abwehrhaltung eingenommen.

Konflikte mit Mitarbeitenden sind zunächst niedrigschwelliger mit Mitgliedern der AG anzusprechen. Bleibt aber eine Klärung aus oder wird sie verweigert, kann in einem nächsten Schritt das Gespräch mit der zuständigen Abteilungsleitung und dann als Personalgespräch mit der Schulleitung geführt werden.

Aber auch die Beratung der Schüler*innen ist bei diesen Fällen für die Kolleg*innen des Beratungsdienstes heikel, da sie ja gleichzeitig Kolleg*innen der verursachenden Lehrkräfte sind. Im Rahmen einer schulinternen Anlaufstelle ist keine parteiische Beratung wie bei einer externen Antidiskriminierungsberatungsstelle möglich.
Es gibt dadurch immer wieder Situationen, bei denen die Berater*innen an ihre Grenzen stoßen, sie den Fall nicht zufriedenstellend für alle Parteien zu Ende bringen können.

Es stellt sich hier die Frage, ob eine interne Beratungsstelle diese Fälle überhaupt gut bearbeiten kann oder nur der Verweis auf eine externe Stelle sinnvoll ist. Da der Weg zu einer externen Stelle aber für viele Betroffene noch weiter ist, ist es sicherlich sinnvoll, zumindest als Erstanlaufstelle zur Verfügung zu stehen.

Das nicht vorhandene gemeinsame Verständnis von Diskriminierung

Der Schwerpunkt der AG Diversität liegt auf dem Aufbau einer Anlaufstelle. Neben dem Aufbau einer Anlaufstelle ist die Sensibilisierung des Kollegiums eine wichtige Aufgabe der AG, denn es zeigt sich, dass ohne die parallele Entwicklung eines gemeinsamen Verständnisses von Diskriminierung die Arbeit der Anlaufstelle an ihre Grenzen stößt. Hier verfolgt die AG eine Doppelstrategie, einerseits niedrigschwellige Angebote für das Gesamtkollegium zu schaffen, um das Thema in die Breite der Schulgemeinschaft zu tragen, und andererseits parallel intensivere Angebote für Kolleg*innen zu organisieren, die dem Thema offen gegenüberstehen. Dadurch entsteht eine Ungleichzeitigkeit, da der Prozess den einen überambitioniert, den anderen zu langsam erscheint. Diese Spannungen müssen von der AG ausgehalten werden. Hierbei hilft die Beratung mit externen Trainer*innen, die Erfahrung mit Antidiskriminierungsarbeit haben.

Beschriebenes Verfahren

Die AG Diversität arbeitet an einer Handlungskette. Die bisherigen Fälle können als Praxiserfahrung helfen, ein Verfahren zu definieren, das allen bekannt ist und für alle verbindlich ist. Gleichzeitig zeigt sich, dass der Beginn der Arbeit ohne ein Verfahren für die Beteiligten überfordernd sein kann.

Tipps für die Übertragung

Das Team

Eine interne Anlaufstelle an der Schule aufzubauen, ist eine komplexe Aufgabe. Hierfür braucht es ein Team, das die Schule gut kennt und an der Schule anerkannt ist.

Da Schulen alleine mit dieser Aufgabe an Grenzen stoßen, ist es hilfreich, frühzeitig die Zusammenarbeit mit externen Stellen zu intensivieren.

Kultur der Besprechbarkeit

Fälle, in denen Lehrkräfte oder die Schule selbst beteiligt sind, sind besonders voraussetzungsvoll. Damit eine Anlaufstelle hier wirksam sein kann, braucht es eine Kultur in der Schule, in der sich Lehrer*innen als Teil des Problems sehen können. Nach Einschätzung der Oberstufenleitung muss sich das System Schule mit der privilegierten Position der Lehrer*innen und der damit verbundenen Macht auseinandersetzen. Nur aus dieser kritischen Selbstpositionierung heraus kann eine Empathie entwickelt werden. Da Schulkulturen und Schulstrukturen über viele Jahre gewachsen sind, sind auch Veränderungen der Kulturen ein langer Prozess.

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