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GESOBAU AG und Aufwind e. V. Projekt „Wohnen und Leben im Märkischen Viertel“

In einem Kooperationsprojekt stellt die GESOBAU unbefristet Wohnungen für zuvor wohnungslose zugewanderte Menschen aus Südosteuropa zur Verfügung, der Träger übernimmt die soziale Unterstützung der Personen.

Art des Wohnungsmarktakteurs:
Kommunales / landeseigenes Wohnungsunternehmen
Diskriminierungsmerkmale:
Ethnische Herkunft / Rassismus
Durchführung:
Berlin seit 2015
Weitere Maßnahmen gegen Diskriminierung im Wohnungswesen:

Diskriminierungsbeauftragte, umfassendes Sozial- und Quartiersmanagement, Patenschaftsprojekt, niedrigschwellige Information und Kommunikation, Partizipation, diskriminierungssensible Bildsprache auf der Website

Kontakt

GESOBAU AG und Aufwind e. V.: Helene Böhm - Leitung Sozial-und Quartiersmanagement E-Mail: helene.boehm@gesobau.de Telefon: (030) 4073-1510 Aufwind – Verein für aufsuchende Erziehungshilfen e. V.: Sabine Rosenthal-Hermann - Geschäftsführerin E-Mail: sabine.rosenthal@aufwind-berlin.de Telefon: (030) 31 98 912-12

Angaben zum Wohnungsmarktakteur

Die GESOBAU AG ist eine von sechs landeseigenen Wohnungsunternehmen in Berlin. Sie hat einen Bestand von 42.000 Wohnungen. Von den circa 19.000 Wohnungen im Märkischen Viertel gehören 17.000 der GESOBAU.

Ausgangslage und Motivation

Weiterführende Materialien zur Maßnahme

Breckner, Ingrid; Sinning, Heidi (Herausgeber) 2022a: Wohnen nach der Flucht? Integration von Geflüchteten und Roma in städtische Wohnungsmärkte und Quartiere, Wiesbaden: Springer Verlag

In den Jahren nach 2007 hatte in Berlin die Zuwanderung von Angehörigen von Minderheiten vor allem aus der Roma-Community aus Südosteuropa erheblich zugenommen. Die Menschen waren auf äußerst prekäre Unterbringungen angewiesen oder campierten im Freien. Mit dem vom Land geförderten Nostel-Programm des Trägers Phinove e. V. wurden zunächst Möglichkeiten der Notunterbringung für einige Familien mit Kindern aufgebaut. Danach aber erwies es sich als äußerst schwierig, die häufig großen Familien mit Wohnungen zu versorgen. 2014 trat der Integrationsbeauftragte des Bezirksamts Reinickendorf an die GESOBAU AG mit dem Vorschlag heran, im Rahmen des Berliner Aktionsplans zur Einbeziehung ausländischer Roma ein Wohnprojekt für wohnungslose Rom*nja aus Südosteuropa zu initiieren. Die GESOBAU, die sich seit vielen Jahren in enger Abstimmung mit anderen sozialen Diensten für die soziale Entwicklung ihrer Quartiere stark engagiert, griff die Idee auf. Sie startete 2015 gemeinsam mit dem Bezirksamt Reinickendorf und dem Träger Aufwind e. V. sowie in Kooperation mit dem Träger des Nostel-Programms Phinove e. V. das Projekt „Wohnen und Leben im Märkischen Viertel“. Grundidee war, dass die GESOBAU in der Großwohnsiedlung Märkisches Viertel aus dem Bestand Wohnungen für einige Familien aus den Nostels zur Verfügung stellt und der Träger Aufwind die sozialen Unterstützungsleistungen erbringt.

Die Ausgangsbedingungen des Projekts waren, dass es einerseits in der Wohnungswirtschaft ein Bewusstsein gab über die großen Schwierigkeiten der Zielgruppe, Zugang zu Wohnraum zu bekommen. Andererseits gab es auch Vorbehalte der Personengruppe gegenüber. Diese hingen auch mit Erfahrungen aus vorherigen Vermietungen zusammen. Als Folgen von deutlich überbelegten Wohnungen waren sie in einigen Fällen mit Nachbarschaftskonflikten um Hausordnungsfragen und Lärmbelästigung konfrontiert und mussten teils stark abgewohnte Wohnungen nach dem Auszug übernehmen. Zugleich gab es kaum Einflussmöglichkeiten. Deshalb sollte es im Projekt auch darum gehen, mögliche Vorbehalte zu erkennen und abzubauen. Eine schwierige Ausgangsbedingung war auch der Mangel an großen Wohnungen im Bestand der GESOBAU – so gibt es nur circa 60 Fünfzimmerwohnungen im gesamten Märkischen Viertel – bei minimaler Fluktuation im Bestand.

Das Projekt verursachte vor allem Personalkosten beim Träger Aufwind e. V. sowie bei Phinove e. V. Diese wurden durch verschiedene Projektmittel gefördert. Die Arbeit von Aufwind e. V. mit der Zielgruppe insgesamt wurde zudem aus dem Bezirksorientierten Programm (BoP), dem Integrationsfonds und dem Europäischen Hilfsfond (EHAP) finanziert. Zugleich wird das Projekt im Rahmen des BMBF-Verbundforschungsprojekts Strategien und Instrumente des sozialen Zusammenlebens im Quartier zur Integration besonders benachteiligter Bevölkerungsgruppen (StraInQ) evaluiert, Maßnahmen zum Abbau von Antiziganismus sowie zur Förderung des sozialen Zusammenlebens in der Nachbarschaft werden erprobt und wissenschaftlich untersucht (bis Ende 2022).

Maßnahmenbeschreibung

Im Projektzeitraum wurden zunächst zehn Familien, die bis dahin in den Unterkünften des Nostel-Projekts untergebracht waren, bezahlbare Wohnungen im Märkischen Viertel zur Verfügung gestellt. Seit 2018 werden nun weiter jährlich zwei bis drei Familien aus der Notunterkunft mit Wohnraum versorgt. Der Träger Phinove e. V. war für die Erstaufnahme der Familien in den Nostels und die dreimonatige Clearingphase zuständig, in der unter anderem die Ansprüche auf Sozialleistungen geklärt wurden. Der Träger schlug Familien für das Projekt vor, bereitete sie darauf vor und leitete sie an Aufwind e. V. weiter. Seit einigen Jahren übernimmt Aufwind allein die Vorschläge und Vorbereitung der Familien. Die Koordinatorin auf Seiten der GESOBAU informiert die Kundenbetreuer*innen, was für eine Wohnung gebraucht wird. Dann wird eine passende Wohnung gesucht.

Der Träger Aufwind e. V. übernimmt die Sprachmittlung, bereitet die Mietvertragsunterzeichnung und den Einzug vor und begleitet die Familien während der ganzen Zeit engmaschig. Er hilft bei allen Fragen rund um das Mietverhältnis und unterstützt die Familien beim Zugang zu Gesundheitssystem, Schulen, Kitas, Sprachkursen und Arbeit und bei sozialen Fragen. Die zuständigen Sozialarbeiter*innen kommen teilweise selbst aus der Community, sprechen Romanes oder Rumänisch und kennen die Lebenswelt der Community. Sie stehen den Familien im Projekt als Vertrauenspersonen und Unterstützer*innen zur Seite. Die Akzeptanz ist sehr groß, auch weil sie grundsätzlich Ansprechpersonen für alle Angehörigen der Community im Märkischen Viertel sind. Zugleich sind sie auch Ansprechpersonen für die Kundenbetreuer*innen bei der GESOBAU, wenn es um die Community geht – im Rahmen des Projekts, aber auch darüber hinaus. Die Sozialarbeiter*innen – da sind sich der Träger und die GESOBAU einig – sind der „Dreh- und Angelpunkt des Projekts“. Sie unterstützten Familien vor allem am Anfang in großem Umfang, übertragen ihnen dann mit zunehmender Sprachkompetenz und Systemkenntnis immer mehr Verantwortung.

Ein wesentlicher erster Schritt zur Umsetzung des Projekts war ein Treffen der Projektkoordinatorin der GESOBAU und des Trägers Aufwind e. V. mit allen Kundenbetreuer*innen aus dem Märkischen Viertel, um über die Bevölkerungsgruppe und das Projekt zu informieren. Nachdem die Kundenbetreuer*innen aus Erfahrungen mit der Kundengruppe berichten und mögliche Bedenken äußern konnten, sicherten sie ihre Beteiligungsbereitschaft zu – allerdings unter der Voraussetzung, dass es eine feste Ansprechperson für sie gibt. Anschließend führte der Träger Aufwind e. V. mit allen Kundenbetreuer*innen aus dem Märkischen Viertel einen Workshop zur Lebenswelt der Community und zum Thema Antiziganismus durch. Dort wurde über die Kultur, die Diskriminierungserfahrungen in den Herkunftsländern und die aktuelle Lebenssituation der Community aufgeklärt. Aufgrund der hohen Fluktuation der Kundenbetreuer*innen ist die Wiederholung des Workshops vorgesehen.

Zum Projekt gehören auch vielfältige Bemühungen vom Bezirksamt, verschiedener Träger und der GESOBAU, die Öffentlichkeit im Märkischen Viertel für die Belange der Menschen zu sensibilisieren. Es finden Informations- und Kulturveranstaltungen zu Zuwanderung und Flucht allgemein statt, aber auch ganz spezifisch zur Community der zugewanderten Rom*nja-Minderheiten. So wurde der internationale Tag der Roma gemeinsam gefeiert, die Thementage Roma in Berlin mit der Ausstellung Roma in Europe – Enfances Tsiganes wurden durchgeführt und durch einen Antiziganismus-Workshop, einen offenen Diskussionskreis, Lesungen, Musik und Theater begleitet.

Stimmen aus der Praxis und Wirksamkeit

Die auf Seiten des Sozial- und Quartiersmanagements der GESOBAU zuständige Franziska Hupke und die Leiterin der Abteilung Helene Böhm bilanzieren etwa sieben Jahre nach Beginn des Projekts, dass die Umsetzung erfolgreich war. Von den versorgten zehn Familien konnten acht die Mietverhältnisse fortführen, was als gutes Ergebnis gesehen wird. Die beiden Wohnungen wurden nachbesetzt und zwei weitere Wohnungen zur Verfügung gestellt, die inzwischen auch besetzt sind. Das Institut für Stadtforschung, Planung und Kommunikation (ISP) der Fachhochschule Erfurt ist unter Leitung von Frau Prof. Dr.-Ing. Heidi Sinning und Mitarbeit von Johannes Glöckner im Rahmen des Forschungsprojekts StraInQ mit der Evaluation des Wohnprojekts befasst. Dabei zeigten sich bei den Projektfamilien erhebliche Fortschritte zum Beispiel in Bezug auf ihre ökonomische Eigenständigkeit, soziale Integration, den Zugang zu Bildung oder auch im Hinblick auf ihre Sprachkenntnisse.

Regulärer und gesicherter Wohnraum als zentrale Voraussetzung für weitere Integrationsschritte sowie die hohe Bedeutung sozialer Begleitung besonders vulnerabler Gruppen konnten darüber hinaus als entscheidende Faktoren identifiziert werden. Anhand der vorliegenden Zahlen zu Familien im Bezirk Reinickendorf, die weiterhin kaum Zugang zum regulären Wohnungsmarkt haben, wird jedoch auch ein hoher Bedarf für entsprechende Wohnprojekte sowie für mehr Offenheit dafür bei weiteren Wohnungsunternehmen deutlich. Die Befunde unterstreichen den Bedarf einer Verstetigung des Angebots. Die beiden mit dem Projekt betrauten Mitarbeiter des Trägers Aufwind e. V. schätzen, dass manche der Familien nur durch das Projekt die Chance auf eine eigene Wohnung erhalten hätten. Durch den Zugang zu Wohnen gelinge vieles andere auch leichter – der Zugang zu Kinderbetreuung, Gesundheitsversorgung, der Einstieg in Schule, Arbeit, Integrationskurse etc.

Eine weitere wesentliche Wirkung – so übereinstimmend die Beteiligten – habe das Projekt aber bei den Kundenbetreuer*innen der GESOBAU selbst, da dort durch die Erfahrungen im Projekt die Vorbehalte gegen die Zielgruppe langsam zurückgingen. Insgesamt wohnen etwa 60 bis 80 Familien aus der Community in Wohnungen der GESOBAU im Märkischen Viertel – auch ohne besondere Unterstützung beim Zugang erhalten zu haben. Die Intervention des Projekts sei daher – dies resümiert Helene Böhm – nur für die am stärksten unterstützungsbedürftigen Familien direkt aus den Nostels erforderlich. Es bestehe immer die Gefahr, dass durch ein solches Projekt eine gesamte Community als „Problemgruppe“ gekennzeichnet wird und damit die Vorurteile, die eigentlich überwunden werden sollen, Nahrung erhalten.

Wesentlicher Gelingensfaktor des Projekts ist aus Sicht der Beteiligten, dass die für die Unterstützung der Familien Zuständigen ein Vertrauensverhältnis zu den Familien herstellen können. Dies trägt dazu bei, die Familien entsprechend ihren Bedürfnissen umfassend und aufsuchend zu unterstützen und zugleich mit den Anliegen des Wohnungsunternehmens in Einklang zu bringen. Gemeinsam sei es möglich, Schwierigkeiten in der Nachbarschaft und bei der Vermietung bereits im Vorfeld eines Einzugs mit gutem Ergebnis zu bearbeiten. Dabei werde genau geprüft, ob es sich um begründete Beschwerden oder Vorurteile handelt. Probleme und Konflikte seien aber nach Aussage von Aufwind e. V. im Laufe des Projekts immer seltener geworden. Grundsätzlich spiele für den Erfolg eine Rolle, dass das Märkische Viertel ein Quartier ist, das „schon immer ein Zuhause für die Welt“ war – so Franziska Hupke – und das über eine besonders dichte und diversitätssensible soziale Infrastruktur verfügt. Das Wohnprojekt – so Johannes Glöckner von der Evaluation – trägt zusätzlich zur Offenheit im Viertel und dem Abbau antiziganistischer Vorbehalte in der Nachbarschaft bei.

Einbettung der Maßnahme

Das Unternehmen unternimmt vielfältige Aktivitäten, um die (potenziellen) Mieter*innen niedrigschwellig zu informieren, zum Beispiel liegt die Hausordnung in zwölf Sprachen und barrierefrei vor. Auch war die GESOBAU das erste Wohnungsunternehmen, das eine Diskriminierungsbeauftragte als unabhängige Ansprechpartnerin einsetzte. Die GESOBAU verfügt über ein aktives und vielfältiges Sozial- und Quartiersmanagement, mit dem verschiedene Zielgruppen unterstützt werden. Beispielsweise erprobt die GESOBAU gerade eine telefonische Sprechstunde für Senior*innen und schult die Ansprechpartner*innen in den Kundenzentren für altersbezogene Bedarfe. Im Partizipationsprojekt BePart – Teilhabe beginnt vor Ort! sollen Menschen mit Einwanderungsgeschichte für die Mieter*innengremien gewonnen werden. Die Fotos auf der Homepage bilden eine vielfältige Mieter*innenschaft ab und die Bildsprache kann als diskriminierungssensibel gelten.

Tipps für die Übertragung

Von allen Befragten wird das Projekt einhellig als übertragenswert und übertragbar eingeschätzt, demnach kann es gut von anderen Wohnungsunternehmen umgesetzt werden. Es kann aber auch auf andere stark marginalisierte Gruppen mit Schwierigkeiten beim Zugang zu Wohnungen übertragen werden. Voraussetzung sei allerdings eine gute Kooperation und „soziale Verantwortungsgemeinschaft“ mit sozialen Trägern und der Politik, so Helene Böhm. Wenn andere Wohnungsunternehmen das Projekt übertragen wollen, rät Franziska Hupke dazu, zuerst die Kundenbetreuer*innen ins Boot zu holen, Raum für die Formulierung von Ängsten und Vorbehalten zu geben und alle Beteiligten über die Ziele des Projekts, die Lebenswelt und Diskriminierungserfahrungen der Bedarfsgruppe zu informieren. Vor allem aber müsse die einzelfallbezogene umfassende und aufsuchende Unterstützung der Menschen gesichert sein und eine Ansprechperson für das Wohnungsunternehmen und die Personen zur Verfügung stehen. Die Finanzierung dieser Unterstützungsstruktur müsse dauerhaft gesichert sein. Wichtig seien zudem die Kontinuität der Ansprechpersonen bei den beteiligten Organisationen auf der operativen und Leitungsebene und eine vertrauensvolle Zusammenarbeit. Bedingung sei natürlich auch das Engagement der Wohnungsgesellschaft, hier sei auf Leitungsebene ein Verständnis für Diskriminierung erforderlich, so ein Mitarbeiter des Trägers.

Das offizielle Logo von GESOBAU AG und Aufwind e. V.