Stadt Karlsruhe Zugang zu bezahlbarem Wohnraum ermöglichen mittels des Programms „Wohnraumakquise durch Kooperation"
Die Stadt Karlsruhe akquiriert erfolgreich privaten Wohnraum für Menschen, die auf dem angespannten Wohnungsmarkt kaum eine Chance haben.
- Art des Wohnungsmarktakteurs:
- Kommune / Land
- Diskriminierungsmerkmale:
- Sozioökonomischer Status, Wohnungslosigkeit, Fluchthintergrund
- Durchführung:
- Karlsruhe seit 2006
Kontakt
Steffen Schäfer - Leiter Team Wohnraumakquise E-Mail: steffen.schaefer@sjb.karlsruhe.de
Angaben zum Wohnungsmarktakteur
Die Stadt Karlsruhe ist mit etwas über 300.000 Einwohner*innen die drittgrößte Stadt Baden-Württembergs. Die Stadt ist wie sehr viele Städte Deutschlands mit einem angespannten Wohnungsmarkt konfrontiert. Die Leerstandsquote bei Wohnungen liegt bei nur 0,7 Prozent, eine Quote von unter drei Prozent gilt als Indikator für einen angespannten Wohnungsmarkt. Dadurch fehlt nicht nur generell Wohnraum, sondern insbesondere auch Wohnraum mit günstigen Mieten. Deshalb ist die Stadt als Akteurin bemüht, durch verschiedene Maßnahmen mehr bezahlbaren Wohnraum zur Verfügung zu stellen.
Ausgangslage und Motivation
Anfang der 2000er-Jahre erhöhte sich in der Stadt Karlsruhe die Anzahl der Wohnungslosen sehr stark. Alarmiert von diesen Zahlen wurde ein Aktionsprogramm Wohnungslosenhilfe auf den Weg gebracht. Hierzu gehörte auch der Ansatz der Wohnraumakquise durch Kooperation. Dieser war inspiriert durch die Neufassung des Wohnraumförderungsgesetzes (WoFG) zum 1. Januar 2002, nach dem die Modernisierung von Wohnraum, der Erwerb von Belegungsrechten an bestehendem Wohnraum und der Erwerb bestehenden Wohnraums gefördert werden (§ 2 WoFG), soweit damit Haushalte unterstützt werden, die sich am Markt nicht angemessen mit Wohnraum versorgen können und auf Unterstützung angewiesen sind. Diese Möglichkeit sollte genutzt werden, um mehr bezahlbaren Wohnraum verfügbar zu machen und um die Anzahl der Obdachlosen nach Möglichkeit wieder zu senken.
Maßnahmenbeschreibung
Die Stadt Karlsruhe begann bei privaten Eigentümern dafür zu werben, leer stehende oder frei werdende Wohnungen der Stadt zur Belegung zur Verfügung zu stellen. In diesen Fällen erhalten die Eigentümer*innen bei Bedarf einen Zuschuss zur Renovierung der Wohnung. Nach Abschluss der Renovierung bekommt die Stadt ein Belegungsrecht für die Wohnung und die Eigentümer*innen im Gegenzug eine Mietgarantie für sechs Jahre. Die Vermieter*innen bekommen also auch dann die Miete, wenn die Stadt nach einem Auszug keine neuen Mieter*innen finden sollte. Umgekehrt darf die Miete für den gesamten Zeitraum nicht einen bestimmten Preis übersteigen. Je nach Zustand der Wohnung sind dies zwischen 8,05 und 9,59 Euro Kaltmiete pro Quadratmeter (Stand 2022).
Nach der Akquise des Wohnraums erhält die Stadt die Möglichkeit zu entscheiden, wer in die Wohnungen einziehen kann. Mit den neuen Mieter*innen wird zunächst ein einjähriges Nutzungsverhältnis eingegangen. Das heißt, ihnen wird für ein Jahr das Nutzungsrecht zugesprochen, ohne dass es schon einen eigenen Mietvertrag gibt. Diesen schließen die Mieter*innen nach einem Jahr direkt mit dem Eigentümer der Wohnung.
Das Team Wohnraumakquise besteht aus fünf Sozialarbeiter*innen, die die potenziellen Bewerber*innen gut kennen, die den Auswahlprozess vornehmen und auch nach Einzug weiter mit den neuen Mieter*innen im Kontakt sind.
Als eine weitere Besonderheit des Karlsruher Wegs ist das Interesse der Stadt Karlsruhe zu nennen, dass niemand wegen Mietrückständen die Wohnung nach einer Räumungsklage verlassen muss. Deshalb wird sowohl den Mieter*innen als auch den Eigentümer*innen mit auf den Weg gegeben, dass bei auftretenden Mietzahlungsschwierigkeiten sofort der Kontakt zu den Sozialarbeiter*innen gesucht wird. Ihnen gelingt so gut wie immer, eine Lösung zu finden.
Zu Beginn wurde dieser Karlsruher Weg aus der Wohnungslosenhilfe heraus entwickelt und richtete sich ganz gezielt an obdachlose Menschen. Der konzeptionelle Ansatz entsprach damals schon dem heute viel diskutierten Housing-First-Konzept. Heute ist die Zielgruppe weiter gefasst. Alle Menschen, die aufgrund ihrer Lebenssituation Schwierigkeiten haben, eine Wohnung zu finden, können potenziell mit in das Programm aufgenommen werden
Stimmen aus der Praxis und Wirksamkeit
Die Wohnraumakquise durch Kooperation ist aus Sicht der Stadt Karlsruhe ein Erfolgsmodell. Aktuell wurde gerade die eintausendste Wohnung auf diesem Wege akquiriert, was am 9. Mai 2022 in einer Feierstunde gewürdigt wurde.
Steffen Schäfer, Leiter des Teams Wohnraumakquise, betont die Wichtigkeit, Wohnungen nicht einfach zuzuweisen, sondern eine gute Passung zu finden: „(…) es muss so sein, dass die künftigen Mieter*innen sich mit der Wohnung identifizieren können, damit sie auch ein eigenständiges Interesse daran haben, lange in der Wohnung zu bleiben“, so Schäfer.
Frau B., seit einem Jahr Mieterin einer der Wohnungen, die über die Wohnraumakquise durch Kooperation gefunden wurden, fühlt sich in ihrer Wohnung sehr wohl. Es ging vor ungefähr einem Jahr sehr schnell, nachdem ihr die Wohnung angeboten wurde. Ohne die Konkurrenz von vielen anderen Bewerber*innen konnte sie sich allein die Wohnung anschauen und entscheiden, ob ihr diese zusagt. Sie hat direkt am nächsten Tag zugesagt, weil sie sehr zufrieden war. Frau B. ist sich sicher: „Ohne dieses Angebot der Stadt Karlsruhe hätte ich kaum eine Chance gehabt, eine Wohnung zu finden.“ Frau B. hatte vorher im "Betreuten Wohnen" gelebt.
Steffen Schäfer betont, dass das Karlsruher Modell zur Wohnraumakquise deshalb so gut funktionieren kann, weil verschiedene Bausteine ineinandergreifen. Das sind zum einen die Akquise des Wohnraums, zum anderen die gute Zusammenarbeit mit den Vermieter*innen, aber vor allem auch die Arbeit der Sozialarbeiter* innen, die die Bewerber*innen gut kennen und ihnen bei potenziellen Problemen nach dem Einzug schnell und umfassend helfen.
Einbettung der Maßnahme
Die Wohnraumakquise durch Kooperation ist nicht die einzige Aktivität der Stadt Karlsruhe zur Schaffung von mehr bezahlbarem Wohnraum für Menschen, die ansonsten kaum oder nur sehr schwierig Zugang zum Wohnungsmarkt bekommen. Zu nennen ist hier zum Beispiel das Karlsruher Wohnraumförderungsprogramm, mit dem die Stadt den Neubau von Sozialwohnungen und die Einräumung von Belegungsrechten fördert.
Tipps für die Übertragung
Andere Kommunen haben schon begonnen, das Karlsruher Modell zu übernehmen (vergleiche Raumteiler, ein Projekt des Landes Baden-Württemberg und des Städtetages Baden-Württemberg, siehe weiterführende Materialien). Der erste und schwerste Schritt ist dabei die Akquise von geeigneten Wohnungen. Gerade in Städten mit einem überhitzten Wohnungsmarkt kann es schwierig sein, Eigentümer*innen zu Beginn davon zu überzeugen, ihre Wohnungen für einen vermeintlich niedrigeren Preis zu vermieten. Die Erfahrungen in Karlsruhe haben gezeigt, dass die Eigentümer* innen, wenn sie einmal dabei sind, sehr zufrieden sind und häufiger auch noch weitere Wohnungen zur Verfügung stellen. Um die Eigentümer* innen zu überzeugen, sind die beiden Komponenten Zuschuss zur Renovierung und langfristige Zusicherung der Mieteinnahmen notwendige Voraussetzungen für das Funktionieren. Kommunen, die dieses Modell für sich adaptieren wollen, sollten nicht den Fehler machen, die Kosten für gute Sozialarbeiter* innen zu scheuen, so Steffen Schäfer. Diese seien integrale Bestandteile der Erfolgsgeschichte. Wenn man glaube, auf sie nur im Notfall zurückgreifen zu müssen und sich die Leistung dann bei einem Träger einkaufen zu können, dann greife dies zu kurz. Es braucht den kontinuierlichen Kontakt zu den Personen, die Wohnungen suchen. Nur wenn schon ein Vertrauensverhältnis besteht, werden die Sozialarbeiter*innen als Ansprechpartner*innen bei der Lösung von Konflikten akzeptiert.
