Kommunales Menschenrechtsbüro mit Antidiskriminierungsstelle Nürnberg Einzelfallunterstützung, Öffentlichkeitsarbeit und Strategieentwicklung in kommunalen Gremien
Ein wichtiger Schwerpunkt des kommunalen Menschenrechtsbüros und der Antidiskriminierungsstelle ist es, auf verschiedenen Ebenen gegen Diskriminierung im Bereich Wohnen vorzugehen.
- Art des Wohnungsmarktakteurs:
- Antidiskriminierungsstelle
- Diskriminierungsmerkmale:
- Behinderung, Ethnische Herkunft / Rassismus, Familiengröße, Fluchthintergrund, Geschlecht, Religion / Weltanschauung, Sexuelle Identität, Sozioökonomischer Status, Wohnungslosigkeit
- Durchführung:
- Nürnberg seit 2010
- Weitere Maßnahmen gegen Diskriminierung im Wohnungswesen:
-
diskriminierungssensible interkulturelle Mediation
Kontakt
Christine Burmann, Beauftragte für Diskriminierungsfragen E-Mail: Christine.Burmann@stadt.nuernberg.de Telefon: (09 11) 2 31-1 03 12
Angaben zum Wohnungsmarktakteur
Die kommunale Antidiskriminierungsstelle der Stadt Nürnberg wurde 2011 gegründet. Die Stelle ist Teil des 1997 aufgebauten kommunalen Menschenrechtsbüros in der Stabsstelle Menschenrechtsbüro & Gleichstellungsstelle. Die Antidiskriminierungsarbeit der Stadt Nürnberg steht auf dem Fundament einer langjährigen und engagierten Auseinandersetzung der Stadt mit den Menschenrechten. Diskriminierungsfragen werden daher klar als Menschenrechtsfragen verstanden. Die Antidiskriminierungsstelle leistet neben Präventions- und Sensibilisierungsarbeit vor allem Beratung und Begleitung von Menschen mit Diskriminierungserfahrung. Die Antidiskriminierungsstelle ist in Nürnberg in viele Prozesse und Strukturen der Stadtverwaltung eingebunden und damit gut verankert. Ein wichtiger Schwerpunkt der Arbeit ist das Thema Wohnen.
Ausgangslage und Motivation
Hintergrund der Schwerpunktsetzung Wohnen ist zum einen, dass in den konkreten Beratungsfällen Diskriminierung beim Zugang zu Wohnen besonders häufig auftritt. Zum anderen ist es auf dem Wohnungsmarkt in Nürnberg für benachteiligte Gruppen grundsätzlich schon seit vielen Jahren schwierig, eine Wohnung zu finden. Diese Situation hat sich in den letzten Jahren durch verstärkten Zuzug zusätzlich verschärft. Die in Nürnberg verankerte Menschenrechtsperspektive bedeutet, dass in der Antidiskriminierungsarbeit das Menschenrecht auf angemessenes Wohnen im Fokus steht.
Maßnahmenbeschreibung
Das Menschenrechtsbüro und die Antidiskriminierungsstelle verfolgen das Schwerpunktthema Wohnen seit Beginn der Arbeit mit verschiedenen Aktivitäten. Dabei liegt ein Fokus auf der Beratungsarbeit in Fällen von Diskriminierung. Neben dauerhaft etablierten verwaltungsinternen und übergreifenden Arbeitskreisen und Gremien gibt es öffentlichkeitswirksame Aktivitäten, wie öffentliche Fachgespräche zum Thema sowie eine Selbstverpflichtungserklärung für die Kommune und die Immobilienwirtschaft.
Eine der Maßnahmen zum Thema Diskriminierung und Wohnen wurde noch vor Eröffnung der Antidiskriminierungsstelle initiiert. Nürnberg ist Mitglied in der Europäischen Städtekoalition gegen Rassismus. Im Zuge der Erarbeitung eines Zehn-Punkte-Aktionsplans gegen Rassismus entwickelte das Menschenrechtsbüro im Jahr 2010 zusammen mit dem Amt für Wohnen und Stadtentwicklung und Vertretungen der Wohnungswirtschaft die „Leitlinien und Verhaltenskodizes der Stadt Nürnberg und der Nürnberger Wohnungs- und Immobilienwirtschaft zur Vermietung und zum Verkauf von Wohnraum“. Diese war die erste Selbstverpflichtungserklärung zum Thema Diskriminierung und Wohnen in Deutschland und wurde von 22 Vorständen und Geschäftsführer*innen von Genossenschaften sowie kommunalen und privaten Wohnungsunternehmen im Nürnberger Raum und dem Oberbürgermeister unterzeichnet. Die Kommune verpflichtete sich im Gegenzug, die eigenen interkulturellen Kompetenzen zu stärken und Unterstützungsstrukturen aufzubauen (zum Beispiel Aufbau einer Ad-hoch-Dolmetschergruppe bei Verständigungsschwierigkeiten, Angebot interkultureller Mediation bei Konflikten). Die Umsetzung der Leitlinien wurde als Prozess gesehen. Eine jährliche Verständigung über den Fortschritt war vorgesehen, wurde jedoch nicht umgesetzt.
Anknüpfend an diese Kooperation veranstaltete die Antidiskriminierungsstelle Nürnberg im Jahr 2014 ein großes Fachgespräch zum Thema „Menschenrecht auf Wohnen“ mit Vertreter*innen aus Verwaltung, Wissenschaft und Wohnungswirtschaft. Dort wurde eine Bestandsaufnahme im Hinblick auf Diskriminierung beim Zugang zu Wohnen in Nürnberg vorgenommen und der Blick auf die aktuelle und zukünftige Wohnraumversorgung insgesamt sowie für besonders benachteiligte Gruppen gerichtet. Im Rahmen dieses Fachgesprächs wurden ebenfalls konkrete Problemfelder benannt – zum Beispiel die potenziell ausschließenden Effekte digitaler Vermarktungs- und Vermietungsprozesse – und mögliche Gegenstrategien entwickelt. Das nächste Fachgespräch zum Thema Diskriminierung und Wohnen ist für den Herbst 2022 geplant. Nun soll erneut eine Bestandsaufnahme vorgenommen und über mögliche Stellschrauben für eine menschenrechtsbasierte Wohnraumversorgung diskutiert werden. Vorgesehen ist, mit den Unternehmen, die die Leitlinien erarbeitet hatten, den Umsetzungsstand zu prüfen und die Leitlinie gemeinsam zu überarbeiten.
Neben diesen öffentlichkeitswirksamen Aktivitäten arbeitet die Antidiskriminierungsstelle kontinuierlich in verwaltungsinternen und übergreifenden Arbeitskreisen. Dabei bringt sie die Erfahrungen aus der Antidiskriminierungsberatung ein und versucht gemeinsam mit anderen Akteuren, Lösungen zum Abbau struktureller Diskriminierungen im Wohnungswesen zu entwickeln. Beispielsweise trifft sich die Antidiskriminierungsstelle mit den im Sozialamt für das Thema Wohnen zuständigen Einheiten. Dabei werden Möglichkeiten ausgelotet, den Wohnungszugang für benachteiligte Zielgruppen zu erleichtern. In der verwaltungsinternen Arbeitsgruppe Diversity identifiziert die Antidiskriminierungsstelle gemeinsam mit allen Beauftragten (Integration, Inklusion, Gleichstellung, LSBTIQ), dem Sozialamt, der Fachstelle Wohnen, dem Bürgermeisteramt und dem Bildungsbüro diejenigen Bereiche, in denen es zu Diskriminierungen kommt, erarbeitet Lösungen und treibt proaktiv Diversitätspolitik und Antidiskriminierungsarbeit voran – immer auch zum Thema „Wohnen“. Zudem ist die Antidiskriminierungsstelle in einem Arbeitskreis „Frauen und Wohnen“ mit sozialen Trägern und Einrichtungen, die mit von Obdachlosigkeit betroffenen oder gefährdeten Menschen arbeiten (zum Beispiel Frauenhäuser, Wohnungslosenhilfe) vertreten.
Menschen mit Diskriminierungserfahrungen auf dem Wohnungsmarkt berät die Antidiskriminierungsstelle vertraulich und kostenfrei, auf Wunsch auch anonym. Sie holt Stellungnahmen bei Vermieter*innen ein und zeigt Lösungsmöglichkeiten auf, dies kann der Rechtsweg sein, eine Vermittlung durch die Antidiskriminierungsstelle selbst, Mediation durch das Netzwerk interkulturelle Mediation oder – bei gravierenden Vorfällen – die Einbeziehung der Polizei.
Stimmen aus der Praxis und Wirksamkeit
Die Selbstverpflichtungserklärung wurde zwar nicht wie vorgesehen im Rahmen jährlicher Treffen mit den Unterzeichnenden diskutiert, dennoch sei sie aus Sicht der Beauftragten für Diskriminierungsfragen Christine Burmann nach wie vor als „mahnende Erinnerung“ wirksam. Sie setze einen Maßstab, an dem die Institutionen und die Verwaltung nach wie vor gemessen werden, und die Antidiskriminierungsstelle beziehe sich noch immer darauf, zum Beispiel bei konkreten Anliegen und Vorfällen. Aus Sicht der Antidiskriminierungsstelle haben sich insbesondere die kommunalen und genossenschaftlichen Wohnungsunternehmen seit der Unterzeichnung bewegt und zum Beispiel eigene Strukturen gegen Diskriminierung und vielfältige Wohnformen für diverse Bevölkerungsgruppen entwickelt. Die Kommune selbst hatte in der Folge der Selbstverpflichtungserklärung und des Fachtags alle vereinbarten Vorhaben umgesetzt (zum Beispiel Schulungen aller Auszubildenden in der Stadtverwaltung in Diversity, Unterstützung bei Schwierigkeiten mit digitaler Wohnraumvermarktung und -vermietung). Seit 2010 habe sich allerdings viel verändert und es sei sinnvoll, die Leitlinien nun wieder auf den Prüfstand zu stellen.
Die Einbindung der Antidiskriminierungsstelle in verschiedene auch wohnraumbezogene Arbeitskreise und Gremien, so Christine Burmann, sei für die Entwicklung von übergreifenden Strategien ebenso wichtig wie für die Identifizierung der „kleinen Stellschrauben“. Ein Beispiel für die Wirkung sei, dass bei einem Arbeitskreis mit dem Sozialamt gemeinsam die Entscheidung fiel, in Einzelfällen Abweichungen von der offiziellen Mietobergrenze zu ermöglichen, damit ein Einzug in eine Wohnung nach langer Wartezeit „nicht an 3,50 Euro scheitert“. Die Teilnahme an Arbeitskreisen mit Trägern sozialer Dienste ermögliche ein vertieftes Verständnis der Zugangsprobleme besonders benachteiligter Zielgruppen und sei daher wichtige Grundlage der eigenen Arbeit.
Prof. Michael Krennerich vom Lehrstuhl für Menschenrechte und Menschenrechtspolitik an der Universität Erlangen-Nürnberg bewertet die Aktivitäten der Antidiskriminierungsstelle als gut geeignet, Diskriminierung im Themenfeld Wohnen anzugehen. Im Rahmen der Fachgespräche könnten Wohnungswirtschaft und kommunale Wohnungspolitik der Wissenschaft und Öffentlichkeit gegenüber Rechenschaft ablegen über die aktuelle Versorgungssituation mit Wohnraum und diesbezügliche Veränderungen. So könne Bilanz gezogen werden und Optimierungsbedarfe gemeinsam kritisch diskutiert werden. Ein Instrument wie die Leitlinien sei geeignet, Antidiskriminierungsansätze zu institutionalisieren. Der menschenrechtliche Ansatz – so seine Einschätzung – führe zum einen dazu, dass man intersektionaler denke, zugleich eine plausible ganzheitliche Begründung der Arbeit habe. Dies erleichtere die Arbeit in größeren Kontexten, weil so Beteiligte das Gefühl haben, am gleichen Thema zu arbeiten. Auch vereinfache es möglicherweise die positive Zielformulierung „für Menschenrechte“, Akteure mit ins Boot zu holen, zum Beispiel Wohnungsbaugesellschaften und Vermieter*innen.
Einbettung der Maßnahme
Eine Besonderheit der Antidiskriminierungsstelle ist das bei ihr angesiedelte Mediationsangebot. Die Gemeinwesen- Mediation Nürnberg wurde auch in der Folge der Leitlinien 2011 an der Antidiskriminierungsstelle angesiedelt. Die 15 geschulten Mediator*innen kommen häufig bei eskalierten Nachbarschaftskonflikten zum Einsatz. Teilweise vermitteln sie auch, wenn es um Konflikte zwischen Gruppen geht, zum Beispiel zwischen Bewohner*innen einer Geflüchtetenunterkunft und der Nachbarschaft. Die Initiative zur Mediation geht dabei von den Konfliktparteien, von Wohnungsunternehmen oder der Polizei aus. Häufig sind Menschen verschiedener Herkunft involviert und rassistische Zuschreibungen spielen eine Rolle. Teils sind auch Menschen mit psychischen Erkrankungen einbezogen. Die Mediation wird in 24 Sprachen angeboten. Der Qualitätsentwicklung dienen Schulungen der Ehrenamtlichen, regelmäßige Treffen des Netzwerks, Fallbesprechungen und Klausurtage. Der Ansatz der Mediation, so die Einschätzung von Christine Burmann, habe sich auch im Kontext der Antidiskriminierungsarbeit bewährt. Mediation biete in vielen Fällen im Sinne einer „Friedensarbeit“ die Chance, Verständnis füreinander zu schaffen, und eröffne einen Raum, Anschuldigungen zu entkräften und Konflikte zu befrieden. Durch die Anbindung an die Antidiskriminierungsstelle und die entsprechende Schulung der Ehrenamtlichen sei dafür gesorgt, dass die Mediation diskriminierungssensibel verläuft und genau darauf geachtet wird, dass die Bedürfnisse Betroffener von Diskriminierung ausreichend Beachtung finden.
Für die Zukunft hat sich die Beauftragte für Diskriminierungsfragen vorgenommen, gemeinsam mit dem Mieterschutzbund die Stadtteiltreffpunkte in Nürnberg zum Thema Antidiskriminierung im Wohnbereich fit zu machen.
Tipps für die Übertragung
Die Aktivitäten der Antidiskriminierungsstelle im Themenfeld Wohnen können von anderen kommunalen Antidiskriminierungsstellen ebenfalls umgesetzt werden. Voraussetzung für deren Wirksamkeit, sind die gute Verankerung der Stelle in der öffentlichen Verwaltung, der Rückhalt durch Politik und Verwaltungsspitzen und die Bekanntheit der Stelle bei Wohnungswirtschaft und Zivilgesellschaft. Eine weitere wichtige Voraussetzung für den Abbau von Diskriminierung sind darüber hinaus zwingend die wohnungspolitischen Rahmenbedingungen und dass – darauf weist Christine Burmann hin – tatsächlich auch mehr bezahlbare Wohnungen zur Verfügung stehen, durch mehr Wohnungsbau und mehr sozialen Wohnungsbau.
