Genossenschaft am Ostseeplatz eG,
XENION e. V.
Partizipatives Wohnprojekt Gemeinschaftswohnen im Wedding auch für Geflüchtete
Die Genossenschaft entwickelte ein partizipatives Neubauprojekt und vergab in Kooperation mit der Organisation XENION zehn Prozent der Wohneinheiten an Geflüchtete.
- Art des Wohnungsmarktakteurs:
- Genossenschaft
- Diskriminierungsmerkmale:
- Ethnische Herkunft / Rassismus, Familiengröße, Fluchthintergrund, Sozioökonomischer Status
- Durchführung:
- Berlin 2016 - 2018
- Weitere Maßnahmen gegen Diskriminierung im Wohnungswesen:
-
Empowerment/Wissensbildungsprojekt, Zweisprachigkeit, Vielfalt der Bewohner*innen
Kontakt
David Robotham - Ehrenamtlicher Community Organizer im Wohnprojekt E-Mail: info@am-ostseeplatz.de Telefon: (030) 41 935 782
Angaben zum Wohnungsmarktakteur
Als der Verkauf von kommunalen Wohnungen am Prenzlauer Berg anstand, gründeten im Jahr 2000 die Bewohner*innen die Genossenschaft Am Ostseeplatz eG und übernahmen die Bestände. In den Folgejahren erweiterte die Genossenschaft diesen Bestand durch weiteren Zukauf kommunaler Wohnungen, die Aufnahme von Hausgruppen aus ehemals besetzten Häusern und zwei Neubauprojekte. 2022 waren am Prenzlauer Berg, in Schöneberg, in Neukölln, in Kreuzberg und im Friedrichshain circa 660 Wohnungen und 31 Gewerbeflächen im Bestand der Genossenschaft. Die Genossenschaft setzt sich für Vielfalt, Nachhaltigkeit, Sozialverträglichkeit, Flexibilität und Gerechtigkeit beim Wohnen ein.
Ausgangslage und Motivation
Geflüchtete haben besonders große Schwierigkeiten beim Zugang zu Wohnraum. Hier spielen geringe finanzielle Mittel und Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt eine Rolle, zudem haben Geflüchtete im Asylverfahren in der Regel keine Möglichkeit, in Sozialwohnungen einzuziehen. In Städten mit einem extrem angespannten Wohnungsmarkt warten Geflüchtete daher teils jahrelang, bevor sie aus Gemeinschaftsunterkünften ausziehen können. Dies gilt besonders für Familien.
Der dramatische Mangel an Wohnmöglichkeiten bewog die bei der Unterstützungsorganisation für Geflüchtete XENION (Psychosoziale Hilfen für politisch Verfolgte e. V.) für den Bereich Wohnen zuständige Mitarbeiterin Bea Fünfrocken dazu, im Jahr 2016 alle Wohnungsgenossenschaften in Berlin anzuschreiben, die Unterstützungsmöglichkeiten durch XENION zu erläutern und deren Bereitschaft, Geflüchtete aufzunehmen, zu erfragen. Die Genossenschaft am Ostseeplatz eG signalisierte daraufhin Interesse an einer Kooperation. Alle anderen Genossenschaften gaben an, dass sie ihren Mitgliedern verpflichtet und die Wartelisten sehr lang seien. Das Schreiben von XENION traf bei der Genossenschaft in der Planungsphase des experimentellen und partizipativen Bauprojekts Gemeinschaftswohnen im Wedding ein. Eine Umfrage unter den Mitgliedern der Genossenschaft hatte bereits ergeben, dass die Hälfte der vorgesehenen Wohneinheiten auch an Nichtmitglieder vergeben werden könnte. So war es prinzipiell möglich, auch Geflüchteten Wohnraum anzubieten. Die Anfrage von XENION war der Genossenschaft sehr willkommen, sie versprach sich von einer Kooperation den Zugang zu Geflüchteten und eine Unterstützung bei allen weiteren Prozessen. Die Genossenschaft bot XENION daraufhin an, circa zehn Prozent der Wohneinheiten für Geflüchtete zur Verfügung zu stellen. Aus Sicht von XENION war die Möglichkeit der Beteiligung an dem Wohnprojekt aus mehreren Gründen ein Glücksgriff. So boten sich damit Wohnmöglichkeiten auch für mehrköpfige Familien und Menschen mit prekärem Aufenthaltstitel. Zudem entsprach das partizipative Vorhaben dem Ansatz von XENION, Geflüchteten Unterstützung bei der Umsetzung der eigenen Lebensentwürfe zu bieten und nicht vorgefertigte Lösungen zu präsentieren.
Maßnahmenbeschreibung
Für das Wohnprojekt Gemeinschaftswohnen im Wedding errichtete die Wohnungsgenossenschaft bis Ende 2018 in der Lynarstraße einen siebengeschossigen nachhaltigen Holzbau mit vier Gewerbeeinheiten und 98 Wohneinheiten. Um dem steigenden Bedarf an gemeinschaftlichen Wohnformen gerecht zu werden, wurden die meisten Etagen als sogenannte Wohn-Cluster mit flexiblen Grundrissen konzipiert. Solche Wohn-Cluster umfassen auf meist sehr großen Wohnflächen mehrere Wohneinheiten mit eigenen Bädern und kleinen Küchen sowie große gemeinschaftliche Küchen, Gemeinschaftsräume und Wohnflure. Der Bau wurde für die belegungsgebundenen Wohneinheiten im Projekt – das heißt die Hälfte der Wohneinheiten – im Rahmen des Sondervermögens des Berliner Senats Infrastruktur der Wachsenden Stadt (SIWA) für den Programmteil Experimenteller Geschosswohnungsbau in Berlin mit 2,5 Millionen Euro gefördert. Für eine altersgerechte und nachhaltige Nutzung wurden die Wohnungen barrierefrei realisiert. Voraussetzung für einen Einzug war das Interesse an einer gemeinschaftlichen Wohnform und die Teilnahme an einem zweijährigen Beteiligungsverfahren. Die Bewohner*innen fanden im Rahmen dieses Prozesses zu Wohngruppen zusammen und beteiligten sich an der Planung ihrer Etagen. Dieser Prozess wurde extern moderiert.
Die Genossenschaft setzte bei der Umsetzung des Projekts auf eine Arbeitsteilung verschiedener Akteure. Der Partizipationsprozess wurde durch das complizen Planungsbüro übernommen, und XENION übernahm wesentliche Funktionen bei der Ansprache interessierter Geflüchteter, der Begleitung der Partizipation und der Vorbereitung der Vermietung. Der erste Schritt war, geeignete und potenziell interessierte Geflüchtete über das Angebot zu informieren – große Familien mit vielen Kindern, Menschen, die schon jahrelang in Heimen lebten, und vor allem Menschen, von denen XENION wusste, dass sie Interesse an einer sozial und kulturell gemischten Nachbarschaft hatten. Gemeinsam mit Dolmetscher*innen wurde das Wohnprojekt und der Partizipationsprozess vorgestellt, wobei es viel Erläuterungsbedarf gab, da Genossenschaften bei vielen Migrant*innen und Dolmetscher*innen unbekannt sind. XENION schlug dann potenzielle Bewohner*innen vor, die sich bei der Genossenschaft bewarben und den Zuschlag erhielten. Danach erarbeiteten die Personen – anfänglich noch begleitet von XENION – gemeinsam mit dem Planungsbüro, wo, wie und mit wem sie wohnen würden. Die flexiblen Grundrisse ermöglichten angepasste Lösungen für die Wohnbedarfe unterschiedlich großer Familien und sich im Laufe der Zeit verändernde Raumbedarfe.
Zentrale Aufgaben von XENION waren neben der Begleitung in der Planungs- und Vorbereitungsphase die Unterstützung der Geflüchteten bei der Verfestigung des Aufenthaltsstatus und die Sicherstellung der Finanzierung der Wohnkosten und der Genossenschaftseinlagen. Ohne diese intensive Unterstützung und hartnäckigen Verhandlungen wäre der Einzug der Geflüchteten nicht möglich gewesen, die Geflüchteten selbst wie auch die Genossenschaft hätten dies nicht leisten können. Zwei Jahre nach dem Beginn des intensiven Vorbereitungsprozesses konnten im Dezember 2018 25 Menschen (13 Erwachsene und zwölf Kinder) in zehn Wohnungen einziehen. Nach dem Einzug hatte die zuständige Mitarbeiterin von XENION noch vereinzelt Kontakt zu den Familien, eine strukturierte Begleitung fand nicht mehr statt. Allerdings nimmt XENION weiter eine wichtige Vermittlungsfunktion zwischen Genossenschaft, Geflüchteten und Leistungsträgern wahr und kümmert sich beispielsweise, wenn Zahlungen nicht rechtzeitig eintreffen. Für die Lösung solcher konkreten Probleme sei, so Bea Fünfrocken, neben Flexibilität und Experimentierfreude ein Vertrauensverhältnis zwischen Unterstützungsstruktur und Genossenschaft wichtig.
Ein Ergebnis der zweijährigen Kooperation zwischen der Genossenschaft und XENION war, dass die Genossenschaft der bei XENION für die Umsetzung des Projekts Gemeinschaftswohnen im Wedding zuständigen Mitarbeiterin Bea Fünfrocken einen Platz im Aufsichtsrat der Genossenschaft anbot. Damit holte sich die Genossenschaft Expertise im Bereich Wohnprojekte und Wohnen für Geflüchtete direkt in die eigenen Strukturen – eine gute Voraussetzung, um auch in Zukunft in der Genossenschaft Belange geflüchteter Menschen berücksichtigen zu können.
Stimmen aus der Praxis und Wirksamkeit
Ein Ergebnis der zweijährigen Kooperation zwischen der Genossenschaft und XENION war, dass die Genossenschaft der bei XENION für die Umsetzung des Projekts Gemeinschaftswohnen im Wedding zuständigenIn der Bilanz ist aus Sicht von Bea Fünfrocken von XENION die Kooperation mit der Genossenschaft Am Ostseeplatz rundum gelungen. Die Wohnsituation der Geflüchteten werde von diesen insgesamt positiv bewertet. Die Einbindung in die Etagen- und Hausgemeinschaften, Nachbarschaft und den Stadtteil seien individuell verschieden, aber insgesamt den Bedürfnissen der Geflüchteten entsprechend. Die Mitarbeiterin von XENION betont, wie wichtig die soziale Integration in den Wohnprojekten ist und warum es nicht nur um Wohnraum gehe. So sei es für viele der Geflüchteten ein großer Gewinn, in einem Haus zu wohnen, in dem sich die Nachbar*innen kennen, wo es Gemeinschaftsräume und Treffen gibt sowie Gelegenheiten für alltägliche positive soziale Kontakte. Auch aus Sicht der Genossenschaft ist das Projekt ein Erfolg. Dank der Kooperation unter anderem mit XENION und der Förderung des Senats für den Bau beleggebundener Wohnungen sei es ihnen als Genossenschaft gelungen, eine vielfältige Bewohner*innenschaft ins Haus zu holen, und mit geflüchteten Menschen konnte auch eine auf dem Wohnungsmarkt besonders benachteiligte Gruppe berücksichtigt werden. Der Community Organizer im Haus David Robotham berichtet von positiven Erfahrungen im Alltag. Dazu gehöre auch, dass Interessenkonflikte gut besprochen werden können. Positiv sei, dass die Bewohner*innen im Haus Probleme wahrnehmen und Verantwortung für eine Lösung mit übernehmen und dabei gut darauf achten, dass keine Ausgrenzung stattfindet. Eine wichtige Voraussetzung für die Begegnung aller auf Augenhöhe sei, dass alle Bewohner*innen Mitglieder der Genossenschaft sind und gleiche Mitspracherechte haben. Mitarbeiterin Bea Fünfrocken einen Platz im Aufsichtsrat der Genossenschaft anbot. Damit holte sich die Genossenschaft Expertise im Bereich Wohnprojekte und Wohnen für Geflüchtete direkt in die eigenen Strukturen – eine gute Voraussetzung, um auch in Zukunft in der Genossenschaft Belange geflüchteter Menschen berücksichtigen zu können.
Einbettung der Maßnahme
Der Wohnungsgenossenschaft sind insgesamt gemeinschaftsfördernde Strukturen, eine diverse Bewohner* innenschaft, Partizipation der Mitglieder und sozialverträgliche Wohnverhältnisse wichtig. Dies kommt im Hausprojekt Gemeinschaftswohnen im Wedding auch dadurch zum Ausdruck, dass die Diakonie im Haus Büroflächen anmietete und eine ambulant betreute Wohngemeinschaft für demenziell Erkrankte im Haus betreibt. Gewerbeflächen im Erdgeschoss sind an eine Kita und die Berliner Obdachlosenhilfe vermietet, die dort Mahlzeiten ausgibt und in den Wintermonaten Übernachtungsmöglichkeiten bietet. Des Weiteren sind im Projekt ein gemeinschaftlich genutzter Garten und ein Proberaum vorhanden.
2008 erhielt die Genossenschaft den Genossenschaftspreis Wohnen des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) und dem Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen e. V. (GdW). Den Preis erhielt die Genossenschaft für ihre Aktivitäten im Zuge des Ankaufs von mehrheitlich von türkischstämmigen Mieter*innen bewohnten kommunalen Wohnungsbeständen in Kreuzberg. Mit Partizipation, Empowerment und Wissensvermittlung sowie einer konsequent zweisprachigen Kommunikation (zweisprachiges Personal, Übersetzung der Satzung) gelang es hier gut, den Übergang in die neue Rechtsform zu moderieren und über die Beteiligungsmöglichkeiten aufzuklären.
Tipps für die Übertragung
Das Projekt Gemeinschaftswohnen im Wedding kann in vielerlei Hinsicht als Beispiel und Vorbild dienen. Es zeigt zum einen, dass es grundsätzlich auch bei genossenschaftlichem Wohnen möglich ist, auf dem Wohnungsmarkt Benachteiligten wie zum Beispiel Geflüchteten Zugangsmöglichkeiten zu Wohnungen zu verschaffen. David Robotham von der Genossenschaft zufolge sollten Genossenschaften dafür auch nicht davor zurückschrecken, Programme zur Förderung des sozialen Wohnungsbaus in Anspruch zu nehmen. Weiter ist das Projekt ein Beispiel dafür, wie im Vorfeld von Gemeinschaftswohnprojekten eine gemeinsame und partizipative Planung möglich ist und dass es bei entsprechender Begleitung und Sprachmittlung auch möglich ist, Geflüchtete in solche Prozesse einzubinden.
Gelingensfaktoren für den Partizipationsprozess sind der Genossenschaft zufolge ein kompetentes und erfahrenes Planungsbüro für die Moderation, Klarheit darüber, über welche Fragen gemeinsam entschieden werden kann und welche von der Genossenschaft gesetzt sind, und Glaubwürdigkeit der Akteur* innen. Als eine Lehre formuliert David Robotham allerdings, dass bei zukünftigen Projekten die zukünftigen Bewohner*innen später eingebunden werden sollten, weil sich im Laufe von zwei Jahren in den persönlichen Lebensverhältnissen viel verändern kann. Unbedingt empfehlenswert sei eine Kooperation mit einer Unterstützungsorganisation für Geflüchtete. Ein Hinweis zur Übertragung von Bea Fünfrocken von XENION ist, dass sie bei zukünftigen Projekten auch nach dem Einzug vor Ort zwei bis drei Treffen jährlich mit allen vermittelten Geflüchteten vorsehen würde.