Stadt Dortmund Wohnraumzugangsstrategie
Die Stadt Dortmund hat eine Wohnraumzugangsstrategie für besonders auf dem Wohnungsmarkt benachteiligte Menschen entwickelt und setzt diese erfolgreich um.
- Art des Wohnungsmarktakteurs:
- Kommune / Land
- Diskriminierungsmerkmale:
- Sozioökonomischer Status, Ethnische Herkunft / Rassismus
- Durchführung:
- Dortmund seit 2019
- Weitere Maßnahmen gegen Diskriminierung im Wohnungswesen:
-
Einbettung der Wohnungszugangsstrategie in eine umfassende Strategie
Neuzuwanderung der Stadt Dortmund
Kontakt
Thomas Heimburger - Dezernat für Arbeit, Gesundheit, Soziales, Sport und Freizeit E-Mail: thomas.heimburger@stadtdo.de
Angaben zum Wohnungsmarktakteur
Die Stadt Dortmund ist mit über 600.000 Einwohner*innen die drittgrößte Stadt Nordrhein-Westfalens. Die Stadt ist wie viele Städte Deutschlands mit einem zunehmend angespannten Wohnungsmarkt konfrontiert.
Ausgangslage und Motivation
Im Jahr 2011 hat sich das verwaltungsübergreifende Netzwerk Zuwanderung aus über 100 staatlichen und nichtstaatlichen Akteur*innen konstituiert. Es setzt seit 2014 die städtische Gesamtstrategie Neuzuwanderung um. Im Fokus der Netzwerkarbeit steht der Umgang mit Folgen von Neuzuwanderung, insbesondere aus Südosteuropa (vor allem aus Bulgarien und Rumänien). Diese Zielgruppe lebte in Teilen in sehr prekären finanziellen oder sozialen Lebensverhältnissen ohne Zugang zu Sozialleistungen wie SGB II und ohne festen Arbeitsplatz. Viele der oft großen Familien lebten in Häusern in sehr schlechtem Zustand, zu deutlich überteuerten Quadratmeterpreisen, teilweise ohne eigene Mietverträge und oftmals in undurchschaubaren Abhängigkeiten. Viele dieser „Problemimmobilien“ lagen in der Dortmunder Nordstadt. Sofie Eichner, Mitarbeiterin in der Strategischen Sozialplanung der Stadt Dortmund sagt über die Zielgruppe: „Es ist eine der Gruppen, die auf dem klassischen Wohnungsmarkt die schlechtesten Chancen hat!“
Im Jahr 2012 wurde der erste Handlungsrahmen zum Umgang mit Neuzuwanderung erarbeitet. Eines der Handlungsfelder dabei war „Zusammenleben im Quartier/Wohnungszugänge“. Im Zusammenwirken mit den Akteuren dieses Handlungsfelds wurde die Dortmunder Wohnungszugangsstrategie entwickelt. Für Konzept und wissenschaftliche Begleitung war die Stadtraumkonzept GmbH als externer Partner verantwortlich. Als Pilotprojekt für eine erprobende Umsetzung konzipierte die GrünBau gGmbH die Soziale Wohnraumvermittlung und -begleitung. Das Projekt wurde im Rahmen des nordrhein-westfälischen Aktionsprogramms Hilfen in Wohnungsnotfällen vom Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales NRW gefördert.
Für die Stadt Dortmund und alle beteiligten Akteure ist klar, dass alle anderen Ansätze zur Integration in den Arbeitsmarkt und in Schule nicht funktionieren können, wenn Wohnen unter prekären oder ungesicherten Bedingungen stattfindet. Sie sah sich deshalb in der Verantwortung, auch in diesem Handlungsfeld aktiv zu werden.
Maßnahmenbeschreibung
Die Dortmunder Wohnungszugangsstrategie ist ein Zielkonzept, unter dessen Dach sich diverse Aufgaben und Maßnahmen bündeln, die von unterschiedlichen Akteuren verantwortet und betrieben werden. Im Kern beinhaltet die Strategie vier Elemente:
- die Akquise von Wohnraum,
- die Inwertsetzung von Wohnraum,
- die Vermittlung von auf dem Wohnungsmarkt benachteiligten Personen in Wohnungen und
- die Begleitung der Mieter*innen nach Zustandekommen der Mietverhältnisse (bei Bedarf).
Das erste und das zweite Element stehen sowohl für das Schaffen und Reaktivieren von zusätzlichem qualitativ gutem Wohnraum als auch für das Erschließen von bestehendem Wohnraum für die Zielgruppen. Begonnen hat die Akquise durch den Erwerb von verwahrlosten Immobilien. Wurden im Jahre 2014 noch rund 100 sogenannte Problemhäuser identifiziert, so war ihre Zahl bis Dezember 2021 auf 44 gesunken. Die Stadt Dortmund macht bei diesen Immobilien zunächst Gebrauch von bauordnungsrechtlichen Möglichkeiten zur Anordnung von Instandsetzungen, Sicherungen zur Gefahrenabwehr und -beseitigung, um eine Verbesserungen im Zustand der Immobilien zu erreichen. Bei Bedarf werden die Immobilien aber auch erworben. Das Liegenschaftsamt ist beauftragt, Problemimmobilien für den städtischen Bestand aufzukaufen und zu entwickeln. Ein Teil der Immobilien wird dann über Erbpacht an die Viertelwerk gGmbH vergeben. Das Tochterunternehmen der GrünBau gGmbH übernimmt die Problemimmobilien, saniert diese mit Mitteln des sozialen Wohnungsbaus sowie unter Einbeziehung von Beschäftigungsmaßnahmen und agiert anschließend als soziale Vermieterin. Damit ist Viertelwerk an die Bedingungen des sozialen Wohnungsbaus und die damit verbundenen Mietpreisgrenzen gebunden. Bis Ende 2021 wurden 26 Immobilien in diesem Verfahren entwickelt. Weitere 18 befinden sich aktuell in der Sanierung.
Neben dem Erwerb kann aber auch eine Instandsetzung ohne Ankauf erfolgen, wenn der Stadt entsprechende Belegungsrechte zur Verfügung gestellt werden. Außerdem akquiriert die GrünBau gGmbH, inzwischen auch verstärkt bestehenden nicht verwahrlosten Wohnraum für die Wohnungszugangsstrategie. Hier wird bei den Vermieter*innen damit geworben, dass sie im Fall von Schwierigkeiten mit den zukünftigen Mieter*innen feste Ansprechpartner*innen haben, die sich um die Lösung zum Beispiel von sprachlichen Hürden, Finanzierungsproblemen oder nachbarschaftlichen Konflikten kümmern. Diese Form der Akquise erweist sich auf einem angespannten Wohnungsmarkt zwar als schwierig und langwierig, ist aber zunehmend erfolgreich.
Egal ob der Wohnraum durch Instandsetzung, Sanierung oder benannte Kaltakquise auf dem Wohnungsmarkt erschlossen werden konnte, schließen sich daran die Wohnraumvermittlung und -begleitung an. Familien, die den Sozialarbeiter*innen der GrünBau gGmbH bekannt sind beziehungsweise sich dort als wohnungssuchend gemeldet haben, werden für die Anmietung vorgeschlagen und bei Bedarf weiter begleitet und unterstützt. Daneben werden weiterführende Unterstützungsleistungen angeboten, wie offene Beratungsangebote und längerfristige Begleitung von Familien in sozialen Belangen über die Wohnraumsicherung hinaus. Zur Vorbereitung auf ein Mietverhältnis werden Informationsangebote zu Mieter*innenpflichten, Hausordnung, Energieverträgen oder Ähnlichem organisiert. Alle Aktivitäten sind nicht verpflichtend, sondern stellen ein Angebot dar, das bei Bedarf realisiert wird und sich an der jeweiligen Lebenssituation orientiert. Auch nach dem Einzug in eine Wohnung stehen die Mitarbeiter*innen der Grün- Bau gGmbH sowohl den Mieter*innen als auch den Vermieter*innen begleitend und vermittelnd zur Seite.
Stimmen aus der Praxis und Wirksamkeit
Jan-Christopher Bremer, Projektleiter der Wohnungszugangsprojekte bei der GrünBau gGmbH betont vier Gründe, warum die Dortmunder Wohnungszugangsstrategie gut funktioniert. Zum einen sei dies der guten Zusammenarbeit zwischen der Kommune und den freien Trägern geschuldet. Das hohe Bewusstsein der Stadtverwaltung sei ein großes Pfund, auch gegenüber den Vermieter*innen, so Bremer. Ein zweiter Punkt ist das direkte Eingreifen in den Wohnungsmarkt durch die Schaffung von Wohnraum sowie die Stärkung direkter Zugangschancen für auf dem freien Markt benachteiligte Gruppen. Das Projektteam bei der Grünbau gGmbH habe sich drittens inzwischen einen guten Stand bei Vermieter*innen erarbeitet und den Kontakt zu großen Wohnungsbauunternehmen etabliert. Sie seien in der Lage, Vermieter*innen gut für die Notlage der Menschen zu sensibilisieren. Last, but not least sei die langfristige Begleitung der Mieter* innen von großer Bedeutung für die gute Umsetzung der Strategie.
Sofie Eichner, Mitarbeiterin in der Strategischen Sozialplanung der Stadt Dortmund, fügt bestätigend hinzu, dass bei der langfristigen Begleitung der Familien die Fragilität der Situation besonders deutlich wird. Ihre Situation sei nicht plötzlich stabil oder gut, nur weil sie in eine neue Wohnung eingezogen seien. Es gebe ständige Veränderungen durch Fragen von Aufenthalt, Einkommen, Kindern. „Die Vor-Ort-Präsenz und Ansprechbarkeit ist einer der absoluten Gelingensfaktoren für dieses Projekt.“ Dass die Begleitung der Mieter*innen lange vor der Vermittlung anfängt, ist ein weiterer wichtiger Punkt. In der ersten Immobilie, die auf diesem Wege entwickelt wurde, installierte das Projekt schon vor der Instandsetzung eine Sozialbegleitung im Haus. Es wurde ein Büro mit Zuständigen für Sprachmittlung und Sozialarbeit eingerichtet, sodass der Kontakt frühzeitig hergestellt und eine Vertrauensbasis geschaffen werden konnte.
Wichtig bei der Umsetzung der Dortmunder Wohnungszugangsstrategie ist, dass die Bewohner*innen der Problemimmobilien nicht durch die Inwertsetzung vertrieben werden. Konzeptionell wird eine gemischte Mieter*innenstruktur angestrebt, aber jede*r hat die Möglichkeit, nach der Sanierung zurückzukehren oder ein adäquates Ersatzwohnangebot zu erhalten. Zudem sollen auch verstärkt weitere auf dem Wohnungsmarkt benachteiligte Personengruppen mit Wohnraum versorgt werden. So werden auch ehemals Wohnungslose und andere armutsgefährdete Haushalte bei der Vergabe berücksichtigt.
Einbettung der Maßnahme
Die Dortmunder Wohnungszugangsstrategie ist eingebettet in die Gesamtstrategie Neuzuwanderung. Neuzugewanderte sollen gute Chancen auf eine gesellschaftliche Teilhabe erhalten und bedarfsorientiert unterstützt werden. Dazu gehört auch die Überwindung der Ausgrenzung auf dem Wohnungsmarkt.
Tipps für die Übertragung
Die Übertragbarkeit der Dortmunder Wohnungszugangsstrategie, so Jan-Christopher Bremer, hängt nicht daran, dass alle Bausteine bei einer Adaption in einer anderen Stadt berücksichtigt werden müssen. Wichtig sei zunächst, den Grundgedanken aufzunehmen. Durch Eingriff in den Marktmechanismus und das Angebot der Vermittlung von sozialem Wohnraum wird denjenigen, „die bei jeder Wohnungsbesichtigung die Letzten sind“, geholfen, ihre Chancen auf dem Wohnungsmarkt zu erhöhen. Ob die Kommune Problemimmobilien aufkauft und instand setzt oder anderweitig Wohnraum akquiriert, sei zweitrangig.
Christiane Certa, Leiterin der Strategischen Sozialplanung, ist die strategische Vernetzung des Ansatzes wichtig. Ein nachhaltiger Ansatz für verbesserte Wohnungszugänge könne nicht losgelöst von weiteren, teils bedingenden Faktoren passieren, sondern gelinge nur im Verbund mit der bedarfsgerechten Weiterentwicklung auch anderer Bereiche. Die Anbindung an die Strategische Sozialplanung und die Gesamtstrategie Neuzuwanderung sei in Dortmund ein zentraler Erfolgsfaktor und sichere auch den Erkenntnisgewinn für weitere Handlungsfelder.
Wer einen solchen Ansatz in der eigenen Kommune starten möchte, muss sich auf einen lang andauernden Prozess einrichten, für den es die Unterstützung der Politik und der Verwaltungsspitze geben müsse, so Sofie Eichner. Außerdem müsse darauf geachtet werden, dass dieser Handlungsansatz nur mit den Akteur* innen umgesetzt werden kann, die ohnehin mit der Situation vor Ort vertraut sind und Zugang zu den Menschen haben. Als weiterer Kernbestandteil müsse im Falle eines Transfers die kontinuierliche sozialarbeiterische Begleitung mitgedacht werden. Wenn dieses Kernelement der Strategie berücksichtigt wird und alle Beteiligten einen langen Atem hätten, könnten langfristig wirkliche Erfolge erzielt werden, so Eichner und Bremer unisono.
