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Wankendorfer Baugenossenschaft für Schleswig-Holstein e. G. Zugang zu Wohnraum für Geflüchtete

Die Genossenschaft schließt mit Kommunen Gewerbemietverträge über Wohnungen aus dem eigenen Bestand, sodass diese mit Asylbewerber*innen belegt werden können, und baut Gemeinschaftsunterkünfte, die langfristig auch andere Nutzungen ermöglichen.

Art des Wohnungsmarktakteurs:
Genossenschaft
Diskriminierungsmerkmale:
Fluchthintergrund, Ethnische Herkunft / Rassismus
Durchführung:
seit 2014 in ganz Schleswig-Holstein
Weitere Maßnahmen gegen Diskriminierung im Wohnungswesen:

Bereitstellung von Wohnungen für ehemalige Frauenhausbewohnerinnen, Wohnprojekt für Studierende mit und ohne Behinderungen

Kontakt

Wankendorfer Baugenossenschaft für Schleswig-Holstein e. G. E-Mail: info@wankendorfer.de Telefon: (0431) 2005-0

Angaben zum Wohnungsmarktakteur

Die Wankendorfer Baugenossenschaft für Schleswig-Holstein e. G. (wankendorfer) ist eine der größten Wohnungsbaugenossenschaften in Schleswig-Holstein. Sie wurde 1947 gegründet und bewirtschaftet im Jahr 2022 über 8.000 Bestandswohnungen und 11.000 Wohnungen und Gewerbeobjekte für ihre Kund* innen. Die Bestände der Wankendorfer Genossenschaft verteilen sich auf vier Städte sowie acht Landkreise (30 Städte und Gemeinden) in Schleswig-Holstein. Es gibt sechs regionale Stadtbüros sowie zwei Vermietungsbüros.

Ausgangslage und Motivation

Im Unterschied zu kommunalen Wohnungsunternehmen haben Wohnungsgenossenschaften keinen Auftrag, zur Wohnraumversorgung von benachteiligten Gruppen beizutragen. Sie sind der Wohnraumversorgung ihrer Mitglieder verpflichtet. In angespannten Wohnungsmärkten übersteigt dabei die Zahl der Mitglieder meist die der angebotenen Wohnungen, und wesentliches Vergabekriterium ist die Dauer der Mitgliedschaft. Da Geflüchtete entweder gar nicht oder erst seit kurzer Zeit über Mitgliederanteile verfügen können, profitieren sie in der Regel nicht vom Wohnungsangebot der Genossenschaften. In der Zeit des verstärkten Zuzugs von Geflüchteten in den Jahren 2014 bis 2016 stellten nur wenige Wohnungsgenossenschaften Wohnraum für diese Gruppe zur Verfügung (vergleiche vhw-Studie 2020; vergleiche auch XENION Seite 150), eine davon war die wankendorfer. Sie sah sich in der akuten Bedarfslage in der gesellschaftlichen Verantwortung, Unterkünfte für Geflüchtete zur Verfügung zu stellen. Da es in vielen Kleinstädten in Schleswig-Holstein keine kommunalen Wohnungsbestände und auch keine anderen institutionellen Wohnungsanbieter als Partner der Kommunen gibt und sich die Genossenschaft in Bezug auf Wohnraumbewirtschaftung grundsätzlich als verlässlicher Partner der Kommunen versteht, begann die Genossenschaft daher Ende 2014 Strategien zu entwickeln, wie sie möglichst schnell Wohnraum für Geflüchtete zur Verfügung stellen kann. Ziel war es dabei, Gemeinschaftsunterkünfte zu vermeiden, Geflüchtete in Nachbarschaften zu integrieren und ihnen Perspektiven zu bieten.Text Ausgangslage und Motivation

Maßnahmenbeschreibung

Die wankendorfer stellte in den Jahren 2014 bis 2016 etwa jede zehnte frei werdende Wohnung den Kommunen für die Unterbringung Geflüchteter zur Verfügung. Dafür entwickelte die Genossenschaft gemeinsam mit dem Städteverband Schleswig-Holstein, kommunalen Verwaltungsspitzen einiger Kommunen, dem Ministerium für Inneres und Bundesangelegenheiten und der Investitionsbank Schleswig-Holstein mit einem gewerblichen Mustermietvertrag ein innovatives Instrument. Grundprinzip ist, dass die Kommunen bei der Genossenschaft Wohnungen anmieten, die sie dann Asylbewerber*innen überlassen. Dabei müssen die Kommunen nicht für jede einzelne Wohnung Anteile zeichnen, sondern eine Mitgliedschaft in der Genossenschaft reicht aus. Die Genossenschaft wählt aus den frei werdenden Wohnungen solche aus, die für die Unterbringung geeignet sind, und meldet sie den Kommunen. Kommune und Genossenschaft schließen dann für jede dieser Wohnungen einen Gewerbemietvertrag ab. Dieser bietet für diese Form der Überlassung einen geeigneteren vertraglichen Rahmen als ein genossenschaftlicher Wohnungsmietvertrag mit verbundenem Dauernutzungsrecht, weil für beide Seiten die Möglichkeit besteht, das Vertragsverhältnis kurzfristig zu beenden. Anschließend weist die Kommune in Abstimmung mit der Genossenschaft Asylbewerber*innen der jeweiligen Wohnung zu.

Um den Geflüchteten auch längerfristige Wohnperspektiven zu ermöglichen, erklärt sich die Genossenschaft im Vertrag grundsätzlich dazu bereit, diesen nach Anerkennung als Schutzberechtigte auch ein reguläres Nutzungsverhältnis zu ermöglichen – entweder in der bereits bezogenen Wohnung oder einer anderen. Im Mietvertrag ist konkretisiert, mit wie vielen Personen die Wohnungen belegt werden dürfen. Der Mietvertrag enthält auch Vereinbarungen zu sozialintegrativen Maßnahmen. Die Kommune nennt darin feste Ansprechpersonen für die soziale Betreuung der Geflüchteten. Sie führt in den bezogenen Häusern Begrüßungstreffen beziehungsweise eine Vorstellung der Bewohner*innen durch, begleitet und organisiert durch die wankendorfer. Bei Vermietung zuvor leer stehender Wohnungen verwendet die Genossenschaft 50 Prozent der Mieteinnahmen zur Revitalisierung und zur Finanzierung der begleitenden Sozialarbeit.

Bei der Auswahl der Wohnungen war der Genossenschaft wichtig, die Geflüchteten in funktionierenden Nachbarschaften unterzubringen und auf eine Verteilung im Bestand zu achten. Nicht mehr als fünf Prozent der Wohnungen im jeweiligen Quartier sollten so vergeben werden.

Daneben wurden leer stehende, eigentlich für den Abriss vorgesehene Häuser wieder bewohnbar gemacht und vorübergehend den Kommunen zum Selbstkostenpreis für die Unterbringung Geflüchteter zur Verfügung gestellt. Es wurden seit 2015 413 Mietverträge mit Kommunen abgeschlossen. Von diesen wurden 218 in ein Mietverhältnis direkt mit den dann statusgewandelten Geflüchteten umgewandelt und diese als Mitglied in die Genossenschaft aufgenommen. Im Geschäftsbericht für das Jahr 2016 wird berichtet, dass insgesamt etwa 1.500 Geflüchtete im Rahmen der engen Zusammenarbeit mit den Kommunen im Bestand der wankendorfer eine Unterkunft fanden. Um die Kommunikation mit den neuen Nutzer*innen zu erleichtern, stellte die Genossenschaft 2014/2015 drei Dolmetscher*innen für arabische Sprachen ein. Sie unterstützten zum Beispiel die Beschäftigten in den Stadtteilbüros bei Antrittsbesuchen und bei der Vermittlung in Konfliktfällen.

Die wankendorfer hat auf einem weiteren Weg Unterbringungsmöglichkeiten für Geflüchtete geschaffen und eine Tochtergesellschaft zum Bau von Gemeinschaftsunterkünften für Geflüchtete gegründet. Dabei setzte die Genossenschaft mit dem „Kieler Modell“ der Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Bauen e. V. auf nachhaltige und flexible Nutzungsmöglichkeiten. Die vom Land Schleswig-Holstein im Sonderprogramm „Erleichtertes Bauen“ geförderten Bauprojekte nach den Standards des sozialen Wohnungsbaus werden von den Kommunen angemietet und können nach einer Nutzungszeit von fünf bis zehn Jahren in barrierefreien Wohnraum für ältere Menschen umgewandelt werden. Der Umbau und die anschließende Bewirtschaftung werden durch die wankendorfer vorgenommen. An insgesamt drei Standorten wurden solche Gemeinschaftsunterkünfte gebaut, eines ging direkt in die Zweitnutzung über.

Der Vorstand Dr. Ulrik Schlenz erläutert, dass nach dem Rückgang der Geflüchtetenzahlen ab dem Frühjahr 2016 deutlich weniger, aber auch weiterhin neue Verträge mit den Kommunen für die Unterbringungen für Geflüchtete geschlossen wurden. Der mögliche Übergang in Mietverträge mit den Geflüchteten wurde in mehr als der Hälfte der Fälle realisiert. In den anderen Fällen kam es zum Wegzug der Geflüchteten, zum Beispiel weil sie anderswo Arbeit oder Familie hatten. Insgesamt ging der Übersetzungsbedarf zurück, und die Dolmetscher*innen sind mittlerweile nicht mehr in der Genossenschaft tätig.

Zum Stand Mai 2022 sind die Kommunen wieder in einer ähnlichen Situation wie 2014 bis 2016 und müssen in kurzer Zeit Wohnmöglichkeiten für viele Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine schaffen. Auch in diesem Fall – so der Vorstand – sei die Bereitschaft der wankendorfer groß, wieder Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Hier könne die Genossenschaft an den bisherigen Erfahrungen anknüpfen und den Gewerbemietvertrag nutzen.

Stimmen aus der Praxis und Wirksamkeit

Die Bilanz des Vorstands Dr. Ulrik Schlenz bezüglich der Wohnungsvergabe an Geflüchtete fällt insgesamt positiv aus. Die interne Resonanz – zum Beispiel auf der Vertreterversammlung – sei damals sehr gut gewesen. Die „Nagelprobe“ aber sei die Situation in den Quartieren gewesen. Dort habe es das „ganze Spektrum“ unterschiedlicher Erfahrungen – sowohl positive als auch negative – von Seiten des Umfelds und von Seiten der Geflüchteten gegeben. Im Vergleich zu den sonst üblichen Nachbarschaftskonflikten hätten sich aber die Schwierigkeiten und Beschwerden der Mieter*innen über die neuen Nachbar*innen durchaus im normalen Rahmen gehalten. Eine Wohnungsvergabe an Geflüchtete kommt daher für die Genossenschaft durchaus wieder in Frage. Ausdrücklich positiv erwähnt werden die „sehr unkonventionelle Zusammenarbeit“ mit den Vertretern der öffentlichen Verwaltung und die Kooperation mit den ehrenamtlichen Unterstützungsstrukturen.

Das Instrument des gewerblichen Mietvertrags habe sich für die wankendorfer ebenso bewährt wie für die Kommunen. Der Vertrag traf auch jenseits von Schleswig-Holstein und auch außerhalb von Genossenschaften in der Wohnungswirtschaft auf Interesse. So wird der Mustermietvertrag zum Beispiel den Mitgliedern von Haus & Grund zur Verfügung gestellt.

Von den Autor*innen der Vhw-Schriftenreihe wurde die Öffnung der Genossenschaft für Geflüchtete mit dem gewerblichen Mustermietvertrag als gutes Beispiel für Innovation im genossenschaftlichen Handeln ausgewählt. Aus ihrer Sicht steht die wankendorfer für eine neue Ausgestaltung und Praxis des genossenschaftlichen Auftrags, die zur Lösung des drängenden gesellschaftlichen Problems der Unterbringung Geflüchteter beitrug.

Einbettung der Maßnahme

Die wankendorfer hat den Anspruch, Verantwortung für gesellschaftliches Zusammenleben zu übernehmen. Daher unterstützt die Genossenschaft vielfältige Projekte und Initiativen und trägt durch die eigene Bau- und Belegungspolitik dazu bei, Benachteiligte auf dem Wohnungsmarkt zu unterstützen. So setzte die Genossenschaft – um zwei Beispiele zu nennen – gemeinsam mit der Stadt Kiel ein Wohnprojekt für Studierende mit und ohne Behinderung um (Anscharpark) und unterstützt das Projekt Frauen_Wohnen, indem sie langfristig nach Bedarfslage 18 bis 20 Wohnungen für Frauen nach einem Frauenhausaufenthalt zur Verfügung stellt.

Tipps für die Übertragung

Dem Vorstand Dr. Schlenz zufolge ist das Modell der Bereitstellung von Wohnraum für Geflüchtete über den Gewerbemietvertrag mit Kommunen einfach und wirksam, aus seiner Sicht können andere Genossenschaften dieses Instrument leicht übernehmen und nutzen. Als „extrem hilfreich“ habe sich die Einstellung von Dolmetscher*innen als Ansprechpersonen und Übersetzer*innen herausgestellt, da so Kommunikationsprobleme wegfielen. So sei es für die Genossenschaft möglich gewesen, allgemeine Problemlagen und Alltagsfragen besser zu verstehen, auch konnten sich die Geflüchteten besser informieren, und wo erforderlich konnte der Kontakt zu zuständigen kommunalen Stellen hergestellt werden. Ein wichtiger Tipp für die Übertragung ist, dass das Thema Wohnungsvergabe an Geflüchtete von Anfang an sehr offen mit der Belegschaft und den Gremien kommuniziert werden sollte, damit alle verstehen, warum die Genossenschaft welche Schritte geht. Da die Not ersichtlich sei, könne man – so die Erfahrung – leicht für Verständnis sorgen. Auch die Kommunikation mit den Mitgliedern sei wichtig. Dafür sollten die verfügbaren Kanäle genutzt werden – Internet, Mitgliederzeitschrift und die Mitgliederversammlungen. Hierbei war auch die Tatsache hilfreich, dass es sich bei der wankendorfer selbst um eine von Geflüchteten und Heimatvertriebenen nach dem Zweiten Weltkrieg gegründete Genossenschaft handelt.

Das offizielle Logo der Wankendorfer Baugenossenschaft