WBM Wohnungsbaugesellschaft Berlin-Mitte mbH Softwaregestützter Vermietungsprozess
Die WBM entwickelte einen softwaregestützten fairen und transparenten Vermietungsprozess.
- Art des Wohnungsmarktakteurs:
- Kommunales / landeseigenes Wohnungsunternehmen
- Diskriminierungsmerkmale:
- Behinderung, Ethnische Herkunft / Rassismus, Familiengröße, Fluchthintergrund, Geschlecht, Religion / Weltanschauung, Sexuelle Identität, Sozioökonomischer Status, Wohnungslosigkeit
- Durchführung:
- Berlin seit 2018
- Weitere Maßnahmen gegen Diskriminierung im Wohnungswesen:
-
Verhaltenskodex, niedrigschwellige Information, Patenschaftsprojekt für geflüchtete Menschen, inklusives lesbisches Wohnprojekt
Kontakt
WBM Wohnungsbaugesellschaft Berlin-Mitte mbH E-Mail: info@wbm.de Telefon: (030) 24 715 700
Angaben zum Wohnungsmarktakteur
Die WBM ist eines von sechs landeseigenen Wohnungsunternehmen in Berlin mit Beständen vor allem in Mitte und Friedrichshain. Im Bestand befinden sich fast 33.000 Mietwohnungen sowie Gewerbeflächen von knapp 300.000 Quadratmetern. Bei der WBM sind 409 Mitarbeiter*innen tätig.
Ausgangslage und Motivation
Vor dem Hintergrund des eigenen Compliance- und Wertesystems sowie digitaler und organisatorischer Veränderungen entwickelte die WBM seit 2016 ein neues System zur Vermarktung und Vermietung der Wohnungen. Im unternehmenseigenen Verhaltenskodex verpflichtete sich die WBM, Mietinteressent* innen objektiv und transparent auszuwählen, keine Vergünstigungen anzunehmen und bei der Vermietung gesellschaftliche Veränderungen zu berücksichtigen. Zur Umsetzung der Compliance-Regelungen gehörte, so die Leiterin der Abteilung Vermietung Valentina Gabriel, ungewünschte Einflussnahme auf die Entscheidungsprozesse zum Beispiel durch Beschäftigte und Wohnungssuchende zu verhindern.
2016 wurde eine zentrale Fachabteilung Vermietung eingerichtet. Davor waren diejenigen, die für die Verwaltung der Mietverhältnisse in den Häusern zuständig waren, auch für die Vermietung zuständig. Dies sei – so die Einschätzung der stellvertretenden Leiterin der Abteilung Vermietung Adele Mizrahi – ein mögliches Einfallstor für subjektive, möglicherweise vorurteilsgeleitete Vermietungsentscheidungen gewesen. Anfangs hatten sich Mietinteressent*innen als wohnungssuchend gemeldet und wurden in eine Bewerberdatei aufgenommen. Auf dieser Grundlage wurden in der zentralen Fachabteilung aus dem betrieblichen IT-System passende Wohnungsangebote erzeugt und zudem situativ Laufkundschaft zeitnah berücksichtigt. Unterlagen wurden zum Teil bereits vor einer Besichtigungsmöglichkeit eingereicht und dann bei der Zuordnung der Bewerber*innen zu den Wohnungsangeboten berücksichtigt. Im Sommer 2018 stieg die WBM dann in die digitale Vermarktung und Vermietung ein. Hintergrund war, dass die WBM der eigenen und gesetzlichen Anspruchshaltung gerechter werden wollte. Dafür war eine transparente Vermarktung der verfügbaren Angebote erforderlich. Zudem ermöglichte der digitale Prozess eine effizientere Massenkommunikation und reduzierte die Beeinflussungsmöglichkeiten erheblich. In der Folge wurde die Vergabepraxis auf Datenschutzkonformität geprüft und angepasst. Seither wird der Prozess laufend optimiert.
Maßnahmenbeschreibung
Die WBM vermietet jedes Jahr circa 1.500 Bestands- und Neubauwohnungen über das Softwaresystem Immoblue. Der erste Schritt des Verfahrens ist die Registrierung der Interessent*innen, die – so der übliche und bevorzugte Weg – mit der Bewerbung auf ein konkretes online veröffentlichtes Wohnungsangebot einhergeht. Die WBM ist das letzte der landeseigenen Wohnungsunternehmen, das daneben auch eine Initiativbewerbung als wohnungssuchend ermöglicht. Bei der Registrierung wird neben Kontaktdaten und dem Vorliegen eines Wohnberechtigungsscheins nur erfragt, welche Art von Wohnung gesucht wird. Wohnungsangebote werden auf der Website des Unternehmens, dem gemeinsamen Wohnungsportal der landeseigenen Wohnungsunternehmen (www.inberlinwohnen.de) und auf dem Portal ImmoScout24 veröffentlicht, rollstuhlgerechte Wohnungen zudem auf Mobidat. Die Wohnungsangebote bleiben so lange online, bis sich eine vorher festgelegte Anzahl von Personen beworben hat. Je nach Beliebtheit und Auswahlkriterien sind Wohnungsangebote drei bis vier Stunden bis zu mehreren Tagen online.
Wenn das Limit möglicher Bewerbungen erreicht ist, wird die Veröffentlichung deaktiviert. Im nächsten Schritt erhalten alle Anfragen, ergänzt um weitere nach einer Initiativbewerbung als grundsätzlich wohnungssuchend registrierte Personen, deren Profil passend ist, eine ausführliche Fotodokumentation zur Wohnung als vorgelagerte digitale Besichtigung. Wenn Bewerber*innen die Wohnung immer noch mieten möchten, können sie einen Selbstauskunftsfragebogen online ausfüllen. Hier müssen die personenbezogenen Daten, Beruf und Arbeitgeber, Einkommensart, Insolvenzverfahren, Räumungstitel und Anzahl der Personen im Haushalt angegeben werden. Weiter können Angaben zu Kindern, zum Wohnberechtigungsschein, zu besonderem Wohnbedarf, zum monatlichen Haushaltsnettoeinkommen und zum für Mietzahlungen zur Verfügung stehenden Betrag gemacht werden. Mit diesen Informationen und den eingestellten Merkmalen des Wohnungsangebots, so Adele Mizrahi, fängt das System an „zu arbeiten“. Es prüft Plausibilität und Vollständigkeit der Angaben und – sofern relevant – ob die Bewerber*innen zu den Vermietungsvorgaben passen, zum Beispiel bei Wohnungen für Studierende und ältere Menschen, oder Vorgaben zu Einkommensgrenzen und zum Wohnberechtigungsschein. Zudem wird geprüft, ob die Nettokaltmiete zwischen 15 und 30 Prozent des Haushaltsnettoeinkommens liegt. Wesentliches Prüfkriterium ist das Verhältnis der Anzahl der Räume und der einziehenden Personen, es liegt meist bei eins zu eins. Formal nicht passende Angaben werden dabei aussortiert. Ein Ausschlusskriterium sind offene Verbraucherinsolvenzverfahren und Räumungstitel; allerdings können davon Betroffene auf anderem Wege – über das Geschützte Marktsegment (GMS) – Zugang zu Wohnungskontingenten der WBM erhalten.
Das Ergebnis dieser Auswahl ist eine Liste der letztlich für die Wohnung in Frage kommenden Bewerber* innen. Wenn diese zu wenige Personen umfasst, werden flexible Auswahlkriterien so verändert, dass der Pool größer wird. Die Reihenfolge auf der Liste ist dabei durch eine Zufallssortierung vorgeben, die Höhe und die Art des Einkommens spielen keine Rolle. Den Bewerber*innen auf den ersten Plätzen der Liste (in der Regel in der Anzahl bis zu 10-15) wird dann eine Besichtigung angeboten. Die WBM behält sich vor, Personen abzulehnen, die beim Besichtigungstermin durch ihr Verhalten negativ auffallen. Die auf Platz eins der Liste stehende Person erhält dann die Aufforderung, die Angaben in der Selbstauskunft durch entsprechende Dokumente nachzuweisen, und bekommt den Zuschlag, wenn es keine Unstimmigkeiten gibt. Andernfalls erhält die nächste Person auf der Liste die Gelegenheit. Grundsätzlich werden Bewerber* innen, die nicht berücksichtigt werden, nicht über die Gründe der Absage informiert. Den Bewerber* innen wird das Verfahren in den FAQs und in Begleitschreiben zum Bewerbungsprozess genau erläutert.
Durch verschiedene Verfahren wird versucht, Einflussnahme auf die Prozesse zu verhindern. Wenn zum Beispiel die Reihenfolge der Liste verändert wird, registriert dies das System und es müssen Gründe dafür dokumentiert werden. Auch – so die stellvertretende Leiterin der Abteilung – sei die Software manipulationssicher. Zudem prüfe die Revision die Vermietungen stichprobenartig und es gelte für jede Vermietung ein Vieraugenprinzip, bei Vermietungen an Mitarbeiter*innen beziehungsweise deren Angehörige sogar ein Achtaugenprinzip. Laut WBM wird systematisch verhindert, dass die Sachbearbeiter*innen Informationen erhalten, die über die in der Selbstauskunft erfragten Informationen hinausgehen. So werden zusätzlich eingereichte Dokumente aus Datenschutzgründen grundsätzlich ungelesen gelöscht. In der Praxis wird zudem in den Listenansichten in der Regel der Name der Interessent*innen ausgeblendet, sichtbar sei dann lediglich eine Nummer.
Stimmen aus der Praxis und Wirksamkeit
Das Ziel der Umstellung des Vermietungsprozesses war es, bei klar definierten Voraussetzungen und Priorisierungsmerkmalen für alle Bewerber*innen gleiche Zugangschancen zu bieten. Dieses Ziel wurde aus Sicht der Zuständigen erreicht. Die strengen Vorgaben hätten dazu geführt, dass Möglichkeiten der individuellen Einflussnahme von Seiten der Bewerber*innen und der Vermietenden deutlich reduziert und kontrollierbarer wurden. Zwar habe die WBM auch vor Einführung des neuen Prozesses nicht unfair vermietet, die Mitarbeiter*innen hätten den Versorgungsauftrag sehr ernst genommen und keinesfalls „Maximalverdiener bevorzugt“. Aber gerade wegen der sozialen Verantwortung als landeseigenes Wohnungsunternehmen habe die Einschätzung der Hilfsbedürftigkeit häufig eine große Bedeutung bei der Vergabe gehabt. Adele Mizrahi erläutert dazu: „So viel Mühe sich alle gegeben haben, niemanden zu bevorzugen, wir sind alle Menschen, und es macht im Unterbewusstsein etwas mit uns; das ist jetzt durch das Tool ausgeschaltet“. Folge der Umstellung sei, dass die Zusammensetzung der Quartiere „in die eine oder andere Richtung“ nicht mehr ausgesteuert werden könne; dies habe Vor- und Nachteile. Grundsätzlich äußert Adele Mizrahi zwar Verständnis für das Interesse von Wohnungsunternehmen an stabilen Quartieren. Allerdings gebe es keine Anhaltspunkte dafür, dass Merkmale wie Herkunft und Nationalität einen diesbezüglichen Einfluss haben. Tatsächlich habe der neue Vermietungsprozess – so die bisherigen Rückmeldungen – keine negativen Auswirkungen auf die Quartiere gehabt, die Zahl der Mieter*innen mit problematischem Verhalten sei nicht spürbar gestiegen. Der Verhaltenskodex gebe vor, dass die Zusammensetzung der Mieterschaft der WBM ein Spiegel der Stadtgesellschaft sein und auch deren Veränderungen abbilden solle. Für die WBM bedeutet das, so Adele Mizrahi: „Wir vermieten dann diskriminierungsfrei und fair, wenn unsere Neuverträge die Anfragesituation widerspiegeln.“
Schwieriger sei eine andere Folge des neuen Verfahrens. So sei es nicht mehr möglich, besondere Bedarfslagen von Bewerber*innen zu berücksichtigen – abgesehen von der WBS-Berechtigung, dem behördlich bestätigten besonderen Wohnbedarf und der Teilnahme am geschützten Marktsegment. So erreiche die WBM heute nicht mehr die Information, ob Menschen aktuell eine eigene Wohnung haben oder wohnungslos sind, alleinerziehend sind, aus einer Gewaltbeziehung fliehen oder Ähnliches. Dies widerspricht dem Selbstverständnis vieler aus der Vermietungsabteilung. Es sei durchaus diskussionswürdig, ob eine stärkere Orientierung an Bedarfslagen erforderlich wäre, um den Versorgungsauftrag der landeseigenen Wohnungsunternehmen besser erfüllen zu können. Alternativen dazu werden diskutiert, zum Beispiel die Einführung neuer Dringlichkeitssysteme (vergleiche Stadt München Seite 117, Vorschläge der Immanuel Diakonie Spandau). Für die WBM aber sei die Abfrage solcher Notlagen nicht rechtssicher möglich. Zudem hätten sie als Vermieter*innen früher auch nie sicher sein können, ob die in Anschreiben geschilderten Notlagen tatsächlich zutrafen.
Auf zwei weitere Probleme weist Adele Mizrahi hin: Formulare im Internet – so die Erfahrung – werden häufig weniger sorgfältig ausgefüllt als in Papierform. So könne es vorkommen, dass Bewerber*innen nur wegen fehlerhafter Eingaben nicht berücksichtigt werden. Da digitale Vermarktungs- und Vergabeverfahren Menschen ohne Internetzugang und digitale Kompetenzen von der Wohnungsvergabe potenziell ausschließen, entwickelte das Unternehmen verschiedene Unterstützungsangebote. In aller Regel seien diese jedoch nicht erforderlich. Dennoch, so Valentina Gabriel, gebe es Anzeigen für einen Rückgang älterer Bewerber*innen.
In der Bilanz sehen Adele Mizrahi und Frau Gabriel vor allem Vorteile des neuen Verfahrens, auch für die Kolleg*innen in der Abteilung Vermietung. Diese müssten ihre Entscheidungen nicht mehr ständig hinterfragen, und Vorwürfe wegen Beeinflussung liefen ins Leere. Zudem sei entlastend, dass sie nicht mehr eine Vielzahl von Dokumenten prüfen, sich dabei ausführlich mit den Schicksalen der Bewerber*innen auseinandersetzen und dabei eine Gewichtung vornehmen müssten.
Einbettung der Maßnahme
Im Jahr 2021 verabschiedete die WBM den neuen Verhaltenskodex Aktiv Mittendrin. Compliance und die unternehmensbezogenen Werte sind Maßstab für das Handeln der Einzelnen und des Unternehmens insgesamt, so Kerstin Haufe, die Verantwortliche für die Stabsstelle Revision und Compliance. Für mögliche Risiken und konkrete Regelverstöße gegen transparente und korrekte Geschäftsvorgänge entwickelte die WBM ein Hinweisgebersystem, zentrale Funktionen nehmen dabei der externe Ombudsmann und die Compliance-Stelle ein. Das Compliance- und Wertemanagementsystem der WBM wurde bereits mehrfach auditiert und zertifiziert.
Viele weitere Aktivitäten der WBM tragen dazu bei, Diskriminierung zu verringern. Im Sinne niedrigschwelliger Informationen stehen zum Beispiel auf der Website Ratgeberfilme zur Verfügung, in denen ohne Text und Sprache Informationen zu wichtigen Themen rund ums Wohnen vermittelt werden, zudem sind wesentliche Informationen der Website in Leichter Sprache verfügbar. Ebenfalls auf der Website findet sich ein Wohnleitfaden in zwölf Sprachen, der vom Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen entwickelt wurde, um neuen Mieterinnen und Mietern das Ankommen in ihrer Nachbarschaft zu erleichtern. Neben einer mehrsprachigen Sprechstunde für Mieter*innen gibt es bei Mietschulden ein eigenes Beratungsangebot. Gemeinsam mit dem Humanistischen Verband Berlin-Brandenburg KdöR vermittelt die WBM seit 2016 im Projekt Hallo neue Nachbarn nachbarschaftliche Patenschaften zwischen Neumieter*innen und ihren Nachbar*innen. Des Weiteren beteiligt sich die WBM im Rahmen einer Kooperation an einem inklusiven generationsübergreifenden lesbischen Wohnprojekt mit angeschlossenem Kulturzentrum.
Tipps für die Übertragung
Die Übertragung des Vermietungsprozesses – da sind sich die Befragten einig – sei für große Wohnungsunternehmen grundsätzlich möglich, wenn das Ziel der Vermietung ist, die Bevölkerung in der ganzen Breite zu berücksichtigen. Es gebe neben Immoblue auch andere geeignete Softwaresysteme. Wichtig sei eine gute Anschlussfähigkeit des Vermarktungs- und Vermietungssystems zum Verwaltungssystem der Wohnungen und dass Selbstauskünfte zur Reduzierung von Fehlerquellen nicht übertragen werden müssen, sondern direkt ins System eingefügt werden.
