WOHN:SINN Bündnis zur Förderung inklusiver Wohnformen
Der Verein unterstützt mit seinem bundesweiten Netzwerk, einem Onlineportal und vier Regionalstellen die Gründung und den Betrieb inklusiver Wohnformen. WOHN:SINN bringt Akteure aus Behindertenhilfe, Wohnwirtschaft, Zivilgesellschaft und Wissenschaft an einen Tisch, damit mehr Menschen mit Behinderungen selbstbestimmt und in aktiver Gemeinschaft mit anderen leben können.
- Art des Wohnungsmarktakteurs:
- Zivilgesellschaftliche Organisation
- Diskriminierungsmerkmale:
- Behinderung
- Durchführung:
- seit 2016 bundesweit
Kontakt
Tobias Polsfuß - Geschäftsführer E-Mail: info@wohnsinn.org Telefon: (089) 95 457 474 Website: WOHN:SINN - Website
Angaben zum Wohnungsmarktakteur
Das Bündnis WOHN:SINN ist ein Zusammenschluss von Akteur*innen des inklusives Wohnens. Der Verein setzt sich dafür ein, dass Menschen mit Behinderungen selbstbestimmt und in aktiver Gemeinschaft mit anderen leben können, zum Beispiel in inklusiven Wohngemeinschaften, Hausgemeinschaften oder Nachbarschaften. Mitglieder des Vereins sind über 90 Personen, Projektgruppen und Organisationen. Bei WOHN:SINN sind ein ehrenamtlicher Vorstand, drei Hauptamtliche im Münchner Koordinationsbüro und fünf Hauptamtliche als erfahrene Multiplikator*innen in den Regionalstellen in München, Bremen, Köln und Dresden tätig, die in Teilzeit ihre Expertise weitergeben. Daneben unterstützen viele der Mitglieder die Arbeit ehrenamtlich.
Ausgangslage und Motivation
Die Gründung von WOHN:SINN geht auf die Initiative von Tobias Polsfuß zurück, dem jetzigen Koordinator und Geschäftsführer. Er hatte als Student in einer inklusiven Wohngemeinschaft in München gewohnt. Dies ist eine Wohnform, in der Menschen mit Behinderungen und Menschen ohne Behinderungen zusammen in einer Wohnung leben. Menschen ohne Behinderungen – zumeist Studierende – können zu günstigen Mieten dort wohnen und leisten dafür in begrenztem Umfang Alltagsunterstützung. Die sonstigen Hilfen übernehmen pädagogische und pflegerische Fachkräfte. Solche Wohngemeinschaften gibt es im ganzen Bundesgebiet.
Motiviert durch positive Resonanz, Vernetzung und Öffentlichkeitsarbeit rund um die Wohnform gründeten Akteure des inklusiven Wohnens wie Behindertenhilfe, Menschen mit Behinderung und Angehörige, inklusive Wohnprojekte, Wohnungswirtschaft und Forschende 2018 einen Verein. Ziel war die Förderung inklusiver Projekte. Durch eine fünfjährige Förderung von Aktion Mensch und anderen Geldgebern konnten 2020 die Entwicklung eines Praxisleitfadens in Angriff genommen, die vier Regionalstellen aufgebaut und die Onlineangebote ausgebaut werden. 2022 wurde das Onlineportal neu aufgestellt, verbunden mit einer thematischen Ausweitung. So liegt zwar nach wie vor ein Schwerpunkt auf inklusiven Wohngemeinschaften, mittlerweile geht es dem Bündnis aber um die Förderung inklusiver Wohnformen in ihrer ganzen Bandbreite.
Nach Artikel 19 der UN-Behindertenrechtskonvention haben Menschen mit Behinderung das Recht darauf, zu entscheiden, wo und mit wem sie wohnen möchten. Allerdings – so der Koordinator – gibt es deutlich zu wenig passende und finanzierbare Angebote. Menschen mit sogenannten geistigen Behinderungen haben oft nur die Wahl zwischen Wohnen im eigenen Elternhaus oder in einer institutionellen Einrichtung und könnten ihre vielfältigen Wohnwünsche nicht realisieren. Zudem erleben viele Menschen mit Behinderungen einen Mangel an Freundschaften oder sozialer Einbindung. Inklusive Wohnformen können sowohl ein selbstbestimmtes Leben als auch die Einbindung in ein soziales Netz ermöglichen. Aus eigener Erfahrung wissen die Mitarbeiter*innen von WOHN:SINN von den großen Hürden hin zu inklusivem Wohnen.
Das langfristige Ziel des Bündnisses ist es, die Wohnsituation von Menschen mit Behinderungen in Deutschland zu verbessern. Gemeinsames Leben in den Quartieren und Häusern soll Normalität und Alltag werden – davon, so die Überzeugung des Bündnisses, profitieren Menschen mit und ohne Behinderungen gleichermaßen. Der Gründer Tobias Polsfuß betont, dass der Bereich Wohnen der beste Hebel ist, um Inklusion insgesamt zu befördern, weil Menschen neben der Arbeitsstätte die meiste Zeit in ihrer Wohnung verbringen und die Wohnsituation stark die Möglichkeiten sozialer Kontakte beeinflusse. Begegnung im Wohnen könne Verständnis für die Lebenssituation von Menschen mit Behinderungen schaffen und so Normalisierung und Inklusion in anderen Bereichen in Gang setzen. Es sei – so der stellvertretende Vorsitzende Pierre Zinke – entscheidend, die Vielfalt der Gesellschaft miteinander in Kontakt zu bringen und Berührungspunkte zu erschaffen.
Maßnahmenbeschreibung
Das Bündnis WOHN:SINN bietet Information, Beratung und Vernetzung und setzt sich mit politischer Arbeit und Forschung für bessere Rahmenbedingungen für inklusives Wohnen ein. Die meisten Angebote von WOHN:SINN sind für alle, einige Angebote nur für Mitglieder zugänglich. Der Verein richtet sich mit seinen Aktivitäten bewusst an verschiedene Akteursgruppen – Menschen mit Behinderungen und ihre Angehörigen, Interessierte ohne Behinderungen, Anbieter der Behindertenhilfe, Wohnraumanbieter und Investoren, Beratungsstellen, Verbände und Politik und Wissenschaft – und ist für alle offen.
Die Homepage bietet vielfältige Informationen zum Thema inklusives Wohnen. Zielgruppenbezogen wird anschaulich erklärt, was inklusives Wohnen ist, welche Vorteile es hat, welche Umsetzungsmöglichkeiten es gibt und welche Angebote WOHN:SINN für die jeweilige Akteursgruppe bereitstellt. Auf der Seite sind neben hilfreichen Anlaufstellen viele gute Beispiele für inklusives Wohnen zusammengestellt. Ein monatlicher Newsletter sowie viele Materialien und Empfehlungen sind dort eingestellt, voraussichtlich ab Sommer 2022 auch ein Gründungsleitfaden für inklusive Projekte. Im Bereich „Suchen und Finden“ wird die Suche nach bestehenden Wohnprojekten und Initiativen, Immobilien und freien Zimmern in inklusiven WGs erleichtert. Dort finden sich auf einer Wohnprojekte-Karte alle Einträge zu inklusivem Wohnen aus dem bundesweiten Wohnprojekte-Verzeichnis der Stiftung trias (vergleiche XENION Seite 150), das Erstellen eines Eintrags ist für Nutzer*innen möglich.
Medienberichterstattung über inklusives Wohnen wird gezielt gefördert und unterstützt durch Kontaktmöglichkeiten, Fotomaterial, Informationen, Pressemitteilungen und bisherige Berichterstattungen sowie einen Link zu Tipps für klischeefreien Journalismus. WOHN:SINN bietet verschiedene Veranstaltungen wie Vorträge, Workshops und Fortbildungen an, viele davon digital. So gibt es monatlich eine Infoveranstaltung Inklusives Wohnen für Einsteiger, für die Vernetzung digitale Regionaltreffen in Süd-/Nord-/Ostund Westdeutschland, eine Arbeitsgruppe Inklusiv wohnen mit komplexem Unterstützungsbedarf, einen Zirkel für Führungskräfte in Trägern und Diensten inklusiver Wohnformen und kollegiale Beratung für Fachkräfte. Zudem werden Fortbildungen für erfahrene Bewohner*innen von inklusiven WGs als Botschafter* innen für inklusives Wohnen und für Berater*innen und Verbände als Multiplikator*innen für inklusives Wohnen angeboten.
Ein weiterer Schwerpunkt der Arbeit ist die konkrete Unterstützung bei der Gründung einer eigenen inklusiven Wohnform, in der Startphase und im laufenden Betrieb. WOHN:SINN leistet dafür über die Regionalstellen Beratung und Begleitung. Eine Erstberatung ist für alle Organisationen und Gruppen kostenfrei. Aufgrund der Projektförderung von Aktion Mensch kann WOHN:SINN nichtgewerblichen Anbietern auch begleitende Beratung, Workshops, Begleitung zu Terminen, Beurteilung von Plänen und Inhouse-Fortbildungen kostenfrei bis maximal zehn Stunden pro Jahr und Projekt anbieten. Bei darüber hinausgehendem Bedarf und für gewerbliche Anbieter wird ein Honorar berechnet.
Stimmen aus der Praxis und Wirksamkeit
Die Evangelische Hochschule in Ludwigsburg ist bis 2024 mit der externen Evaluation der von der Aktion Mensch geförderten Aktivitäten von WOHN:SINN beauftragt. Zum Stand 2022 kann die Zuständige, Prof. Sandra Fietkau, eine erste Einschätzung zur Wirksamkeit formulieren. Aus ihrer Sicht ist der wesentliche Nutzen von WOHN:SINN, dass dort gebündelt Informationen, Ressourcen und Netzwerke zum Thema inklusives Wohnen zielgruppenspezifisch aufbereitet und zur Verfügung gestellt werden, die andernfalls nicht ohne Weiteres verfügbar wären. Mit den vier Regionalstellen bietet aus ihrer Sicht WOHN:SINN Personengruppen, die inklusives Wohnen entwickeln wollen, eine gute Beratungs-, Anlauf- und Kontaktstelle. Im Rahmen des Bündnisses können sie auf Gleichgesinnte treffen und von Erfahrungen anderer profitieren. WOHN:SINN wirke positiv gegen Diskriminierung, da das Bündnis selbst eine hochdiverse Gruppe sei, die offen für alle und den unterschiedlichen Personen gegenüber wertschätzend sei, zudem sehr diversitätssensibel und sensibel im Hinblick auf Vorurteile und Diskriminierungen nach außen auftrete. Initiativen wie WOHN:SINN tragen aus ihrer Sicht zu Inklusion bei. Positiv bewertet sie die Öffnung des Bündnisses hin zu einer Vielfalt verschiedener inklusiver Wohnformen, die den unterschiedlichen Menschen in ihren verschiedenen Lebenslagen gerecht werden. Eine ständige Herausforderung ist für die Projekte aus ihrer Erfahrung, wie sie aktiv Gemeinschaft bilden und sich gegenseitig unterstützen können.
Der stellvertretende Vorstand des Vereins Pierre Zinke – der selbst früher in einer inklusiven Wohngemeinschaft gelebt hat und die mit dem Aufbau verbundenen Schwierigkeiten gut kennt – sieht eine wichtige Funktion von WOHN:SINN darin, das Wissen über inklusive Wohnformen zu verbreiten, damit es mehr Alternativen zu Wohnheimen gibt. Die Resonanz auf die Angebote spricht aus seiner Sicht dafür, dass WOHN:SINN auf dem richtigen Weg ist. In den Jahren 2020 bis 2021 gab es 421 Anfragen über das Kontaktformular, es wurden 2.045 Personen durch Vorträge und Veranstaltungen erreicht, 181 Projektgruppen und Organisationen haben die Erstberatung genutzt, und 60 Projektgruppen wurden auch weiter gehend bei der Gründung einer inklusiven Wohnform begleitet.
Mit dem Angebot insgesamt sind die befragten Akteur*innen von WOHN:SINN zufrieden. Woran es allerdings konkret immer wieder fehlt, seien individuelle Wohnberatung und die konkrete Unterstützung bei den sozialrechtlichen Klärungen, so Pierre Zinke. Allerdings sei es im Rahmen von WOHN:SINN nicht möglich, dies zu leisten. Die Initiative von WOHN:SINN bekam bereits viel öffentliche Aufmerksamkeit. Die Website erhielt 2017 die Auszeichnung Smart Hero Award von Facebook und der Stiftung Digitale Chancen.
Einbettung der Maßnahme
WOHN:SINN funktioniert als Gesamtkonzept und verfolgt keine weiteren eigenen Maßnahmen. Im Gefüge der Träger der Wohnraumversorgung und Behindertenhilfe nimmt WOHN:SINN eine wichtige Vermittlungsfunktion ein. Bislang – so die Erfahrung des Koordinators – sind es vor allem private Initiativen, die aufgrund fehlender Alternativen selbst Angebote für inklusives Wohnen anschieben und die Unterstützung von WOHN:SINN suchen. Sowohl Träger der Behindertenhilfe als auch die Wohnungswirtschaft seien zwar grundsätzlich interessiert, allerdings werde der personelle und finanzielle Mehraufwand gescheut. Tobias Polsfuß sieht WOHN:SINN als geeigneten Akteur, um der Behindertenhilfe und Wohnungsunternehmen in Zukunft verstärkt mit Expertise als Partner zur Seite zu stehen. Gesetze wie das Bundesteilhabegesetz, so Tobias Polsfuß, könnten sich nur in der Praxis entfalten, wenn es dafür den geeigneten Wohnraum gibt, und dafür brauche es Beratung für die Wohnungsbaugesellschaften. Zudem, so der Koordinator, liege ein wichtiger Schlüssel in politischen Rahmenbedingungen, das heißt, entsprechende Bau- Auflagen und gezielte Förderung für inklusives Wohnen seien erforderlich.
Tipps für die Übertragung
In Bezug auf WOHN:SINN stehen nicht die Möglichkeiten einer Übertragung im Vordergrund, sondern die einer Nutzung der Angebote und eventuellen Ausweitung. Denkbar ist aber durchaus, dass vergleichbare Bündnisse auch für die Überwindung von wohnraumbezogener Diskriminierung aufgrund anderer (zugeschriebener) Merkmale aufgebaut werden. Das Angebot und die Aufbereitung auf der Homepage sind diesbezüglich beispielhaft.