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Studie: Diskriminierung von Eltern und Pflegenden im Job weit verbreitet 24.05.2022

Antidiskriminierungsstelle mahnt gesetzliche Verbesserungen an


Diskriminierung von Eltern und Pflegepersonen im Job ist weit verbreitet. 41 Prozent der Eltern und 27 Prozent der Pflegepersonen geben in einer am Dienstag veröffentlichten Befragung im Auftrag der Antidiskriminierungsstelle des Bundes an, am Arbeitsplatz aufgrund der Elternschaft oder Kinderbetreuung bzw. der Pflege von Angehörigen nach eigener Wahrnehmung Diskriminierung erlebt zu haben. „Die Zahlen belegen deutlich, was viele Eltern und Pflegepersonen auch unserem Beratungsteam schildern: Wer Fürsorgeverantwortung übernimmt, muss im Job mit Nachteilen rechnen“, sagte der kommissarische Leiter der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, Bernhard Franke, zu den Ergebnissen. „Damit schaden Arbeitgeber*innen sich letztlich auch selbst, weil sie Mitarbeitende demotivieren."

Für die vom Forschungsinstitut Prognos durchgeführte-Studie „Diskriminierungserfahrungen von fürsorgenden Erwerbstätigen im Kontext von Schwangerschaft, Elternzeit und Pflege von Angehörigen“ wurden 2.500 Eltern und 504 Pflegepersonen online befragt sowie Interviews mit Expert*innen und Fokusgruppen geführt. Befragt wurden Eltern, deren jüngstes Kind unter 7 Jahre alt war sowie Personen, die regelmäßig Angehörige pflegen. Im Fragebogen wurden sie auch auf konkrete Einzelerfahrungen aus den vergangenen sechs Jahren angesprochen.

Während der Schwangerschaft haben demnach 56 Prozent der befragten Eltern mindestens eine diskriminierende Situation erlebt. 26 Prozent der Mütter und 15 Prozent der werdenden Väter erlebten beispielsweise, dass ihnen Verantwortlichkeiten entzogen, weniger anspruchsvolle Aufgaben zugeteilt oder Aufstiegsmöglichkeiten verhindert bzw. auf Eis gelegt wurden. Insgesamt knapp vier von zehn Müttern (39 Prozent) berichten von negativen Erfahrungen im Zusammenhang mit dem Mutterschutz. So wurden beispielsweise erforderliche Gesundheitsschutzmaßnahmen nicht ausreichend getroffen.

Bei der Anmeldung der Elternzeit berichten Väter häufiger als Mütter von diskriminierenden Erfahrungen. 19 Prozent der Väter und 11 Prozent der Mütter fühlten sich beispielsweise unter Druck gesetzt, keine Elternzeit zu nehmen oder den Umfang zu reduzieren. Andere berichten, auf die Bekanntgabe der Elternzeit sei abfällig oder negativ reagiert worden (24 % der Frauen, 30 % der Männer). Beim Wiedereinstieg nach der Elternzeit berichten sechs von zehn (62 %) Befragten von mindestens einer negativen Erfahrung, hier wiederum häufiger Mütter (69 %) als Väter (48 %). Oftmals wird genannt, dass flexible Arbeitszeiten nicht oder nicht in gewünschtem Umfang gestattet wurden, auch bei Homeoffice-Regelungen sowie Urlaub während der Kita-Schließzeiten und Schulferien erlebten viele Eltern nach eigenen Angaben zu wenig Entgegenkommen.

Im Zusammenhang mit der Pflege von Angehörigen berichten 48 Prozent der Pflegepersonen von mindestens einer diskriminierenden Erfahrung am Arbeitsplatz. So wird etwa das Ausbleiben von Gehaltserhöhungen (Frauen 15 %, Männer 17 %) oder eine schlechtere Leistungsbewertung (Frauen 12 %, Männer 16 %) genannt, aber auch fehlende Rücksichtnahme auf Pflegeaufgaben bei der Terminierung von Sitzungen (Frauen 16 %, Männer 19 %). In der Gruppe derer, die Pflegezeit nehmen wollten (n=86), geben 54 Prozent an, dass Vorgesetzte abfällig oder negativ auf die Dauer der Pflegezeit reagiert haben. 48 Prozent der Mütter, die in den letzten sechs Jahren befristet beschäftigt waren, geben außerdem an, dass ihr Arbeitsvertrag im Zusammenhang mit Schwangerschaft, Elternzeit oder Kinderbetreuung nicht verlängert oder nicht entfristet wurde (Väter 15 %). 15 Prozent der Mütter berichten von Kündigungen oder einer Streichung ihres Arbeitsplatzes (Väter 6 %).

Bernhard Franke sprach sich vor dem Hintergrund der Ergebnisse für gesetzliche Verbesserungen aus. Es sei wichtig, den Diskriminierungsschutz von Beschäftigten aufgrund von Elternschaft und Pflege zu stärken: Franke plädierte für eine Ausweitung der in Paragraf 1 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) geschützten Diskriminierungsgründe um den Begriff der „familiären Fürsorgeverantwortung“: „Damit wären Arbeitgebende verpflichtet, Beschäftigte vor Diskriminierungen wegen der Wahrnehmung familiärer Fürsorgeverantwortung zu schützen. Diese Pflicht ist ein fester Bestandteil des Diskriminierungsschutzes “, sagte er.

Eine derartige Ergänzung des rechtlichen Schutzes wird von dem Rechtsgutachten „Diskriminierungsschutz von Fürsorgeleistenden – Caregiver Discrimination“ von Prof. Dr. Gregor Thüsing und Lena Bleckmann (beide Universität Bonn) gestützt, das ebenfalls am Dienstag veröffentlicht wurde. Das Gutachten zeigt, dass im AGG bisher Schutzlücken zulasten Fürsorgeleistender bestehen. Denn bisher kann eine Diskriminierung in Zusammenhang mit Elternschaft nur teilweise und bei der Pflege fast gar nicht als Diskriminierung nach dem AGG erfasst werden.

Sinnvoll sei überdies der Ausbau betrieblicher Maßnahmen zum Schutz vor Diskriminierung und für mehr Vereinbarkeit. Dies könne zum Beispiel über Schulungen geschehen, die Personalverantwortliche und Führungskräfte zum Thema sensibilisieren sowie durch den Ausbau innerbetrieblicher Beschwerdestellen.

Die Studie finden Sie hier. Und hier finden Sie einen Steckbrief zur Studie.

Das Rechtsgutachten finden Sie hier. Zudem finden Sie hier einen Steckbrief zum Rechtsgutachten.

Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) ist mit Inkrafttreten des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) im August 2006 gegründet worden. Ziel des Gesetzes ist es, Diskriminierung aus rassistischen Gründen oder wegen ethnischer Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen.